Bezirk

Was bleibt von R2G in Pankow?

von Julia Schmitz 8. Juni 2021

Nach fünf Jahren Zählgemeinschaft ziehen Pankows Linke, SPD und Grüne Bilanz. Welche Themen wurden umgesetzt, was ist noch offen – und welcher Bereich bekam mehr Aufmerksamkeit, als ursprünglich gedacht?


Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen im Herbst 2016: Bei der Wahl der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zog die Linkspartei mit 21,1 Prozent knapp an den Grünen (20,6 Prozent) und der SPD (20 Prozent) vorbei. Die stärksten Parteien entschieden sich für eine Zählgemeinschaft – wie die Koalitionen auf Bezirksebene genannt werden – aus Rot-Rot-Grün. Sie löste Rot-Grün ab und wählte Sören Benn (Linke) zum Bezirksbürgermeister.

Fünf Jahre später könnten die Karten neu gemischt werden. Am 26. September wird nicht nur der Bundestag gewählt, sondern auch das Abgeordnetenhaus Berlin – und eben das Bezirksparlament. Es ist der richtige Zeitpunkt für die Parteien, Bilanz zu ziehen. Womit waren die Parteien damals angetreten? Alles stand unter dem Motto „Qualität vor Quantität“: im Bereich der sozialen Wohnraumversorgung, beim Ausbau des Angebots von Schulen und Kitas, ebenso bei Kultur und Sport. Parks und Kleingärten sollten erhalten, Spielplätze weiterentwickelt und nicht so viele Straßenbäume gefällt werden – das waren wichtige Punkte in der Vereinbarung, die Anfang 2017 unterzeichnet wurde. Was davon wurde umgesetzt?

___STEADY_PAYWALL___

Bezirk

Häuser am Teutoburger Platz / Foto: Julia Schmitz

 

Stadtentwicklung & Wohnen

Berlin verändert sich in Rekordschnelle und Pankow macht da keine Ausnahme. Immer wieder im Fokus: Die Bedrohung von Mieter*innen durch den Verkauf der Häuser, in denen sie leben. 44 Mal prüfte der Bezirk in den Jahren 2017 bis 2020, ob ein Vorkaufsrecht infrage kommt, sechsmal wurde es in dem Zeitraum ingesamt ausgeübt – dreimal allein 2020. Nicht immer konnten die betroffenen Häuser allerdings gerettet werden, so zum Beispiel in der Prenzlauer Allee 43: Der Vorgang scheiterte, weil der Bezirk laut Auskunft des Bezirksstadtrats Vollrad Kuhn (Grüne) nicht genügend Personal hatte, um den Marktwert für die Immobilie ermitteln zu lassen. Das ist für die Anwendung des Vorkaufsrecht aber unabdingbar. Immerhin zwölf Abwendungsvereinbarungen wurden in der Legislaturperiode unterzeichnet, unter anderem mit dem schwedischen Immobilienkonzern Heimstaden, der zwölf Häuser in Pankow gekauft hat. Für die nächsten zwanzig Jahre dürfen die Wohnungen nicht in Eigentum umgewandelt werden.

Deutlich unproblematischer funktionierte die Sache mit dem Mauerpark, zumindest was die Erweiterung angeht: Im Juni 2020 wuchs der beliebte Park auf die doppelte Größe, mit sattgrünem Rollrasen und funktionierenden Schaukeln. Dass der „alte“ Teil des ehemaligen Todesstreifens an der Mauer dem gegenüber gestellt ziemlich räudig aussieht, soll eine umfangreiche Sanierung beheben. Aktuell läuft eine Bürgerbeteiligung, bei der Anwohner*innen und Interessierte ihre Vorschläge einreichen können. Zum angrenzenden Jahn-Sportpark ist hingegen noch nicht das letzte Wort gesprochen: Die Bezirksverordneten befürworten einen Inklusionssportpark; was mit dem Stadion geschieht, liegt allerdings mittlerweile in den Händen der Senatsverwaltung.

 

Bezirk

Die Kreuzung an der Schönhauser Allee Ecke Danziger Straße / Foto: Julia Schmitz

 

Verkehr

Wer auf den Straßen von Prenzlauer Berg unterwegs ist, braucht Mut und Durchsetzungskraft: Hier befinden sich Autos im Konkurrenzkampf mit Fahrradfahrer*innen, die wiederum mit den Fußgänger*innen in Streit geraten. Die Unfallrate an den großen Kreuzungen – und davon gibt es einige im Stadtteil – ist hoch. Ein Thema, dass sich auch der spätere Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) im Wahlkampf vor vier Jahren weit oben auf den Zettel geschrieben hatte:

„Wir können das Verkehrsproblem in Berlin nur über eine radikale Wende lösen. Der Straßenraum wird nicht größer, also müssen wir die Straße anders aufteilen: Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass mittelfristig Parkraum und Autospuren wegfallen, weil wir breitere Radwege brauchen“,

 

sagte er im September 2016. Die radikale Wende lässt unterdessen noch auf sich warten, denn kein Thema erhitzt die Gemüter so sehr wie der Straßenverkehr: Dass die Schönhauser Allee stadtauswärts zur autofreien Zone wird, ist längst vom Tisch; immerhin könnte dort aber bald ein geschützter Fahrradstreifen auf einer der Autospuren entstehen, wie es die Grünen 2018 forderten. Den Antrag, an der Kreuzung von Eberswalder und Danziger Straße so genannte „Aufgeweitete Fahrradaufstellstreifen“ zu installieren, zog die Linkspartei unterdessen nach Einspruch der anderen Parteien zurück.

Den Kraftfahrzeugen geht es dafür an anderen Stellen zukünftig an den Kragen: An mehreren Orten in Prenzlauer Berg, unter anderem im Arnimkiez, sollen Kiezblocks eingerichtet werden. Die Stargarder- und die Gleimstraße sollten eigentlich längst zu Fahrradstraßen umgewidmet worden sein – doch die Anwohner*innen warten bis heute darauf.

Auch die Forderung der Linksfraktion, auf allen Hauptstraßen Pankows Tempo 30 einzuführen, ist vorerst gescheitert –  nicht an den Gegenstimmen der anderen Parteien, sondern weil die Entscheidung nicht im Zuständigkeitsbereich des Bezirks, sondern in dem der Senatsverkehrsverwaltung liegt. Und dann ist da noch die Sache mit den Parklets: teuer, ungeliebt und ungenutzt warten sie darauf, von der Schönhauser Allee an einen passenderen Ort versetzt zu werden.

 

Bezirk

Es herrscht hoher Sanierungsbedarf bei den Schulen in Prenzlauer Berg / Foto: Julia Schmitz

 

Schule

Pankow gilt als einer der kinderreichsten Bezirke Berlins – und früher oder später müssen diese Kinder eingeschult werden. Doch schon länger reichen die verfügbaren Plätze nicht aus, müssen Schüler*innen teilweise bis nach Steglitz fahren, um ihre weiterführende Schule zu erreichen. Rot-Rot-Grün hatte sich deshalb nach der letzten Wahl zum Ziel gesetzt, das Angebot an Schulplätzen auszubauen und die vorhandenen Schulen zu sanieren – was auch dringend nötig ist.

Damit die Kinder und Jugendlichen nicht zwischen Bauschutt pauken müssen, soll unter anderem eine „Schuldrehscheibe“ auf der Werneuchener Wiese am Volkspark Friedrichshain gebaut werden, die circa fünf Jahre als Ausweichquartier dienen soll. In die Kritik geriet das Vorhaben nicht nur, weil die dort ansässigen Beachvolleyballfelder dran glauben mussten – sondern auch, weil rund vierzig Bäume entlang der Kniprodestraße gefällt werden sollten, zwecks „verkehrlicher Erschließung“ des Übergangsgebäudes. Der Bau des Ersatzbaus verzögert sich also weiterhin.

Gegenwind bekommt der Bezirk gegenwärtig auch für seine Pläne, die Grundschule am Planetarium zu erweitern. Eine Bürgerinitiative sammelte Unterschriften dagegen – aber nicht, weil sie den Erweiterungsbau ablehnt, sondern weil dafür der Thälmann-Park hinter dem Zeiss-Großplanetarium verkleinert beziehungsweise „durchtrennt“ würde. Der Bebauungsplan für das Grundstück südlich der Ringbahn zwischen Greifswalder Straße, Lilli-Henoch-Straße und Ella-Kay-Straße steht jedoch längst und wurde von der Bezirksverordnetenversammlung abgesegnet. Mit dem Bau, der 300 neue Schulplätze schafft, soll noch dieses Jahr begonnen werden.

 

Bezirk

Protest im Mauerpark / Foto: Julia Schmitz

 

Kultur

Der Aufschrei war groß, als im Sommer 2020 bekannt wurde, dass das Kino Colosseum auch nach dem Ende der Pandemie nicht mehr öffnen würde. Noch lauter wurde die Diskussion, als die Bezirksverordneten feststellten, dass mehr oder weniger hinter ihrem Rücken ein Bauvorbescheid für das Filetgrundstück an der Schönhauser Allee Ecke Gleimstraße bewilligt worden war. Der Grund: Im Amt von Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) hatte man offensichtlich nicht nachgeschaut, welches Gebäude sich an der Hausnummer eigentlich befindet.

Für gewöhnlich müssen solche Vorhaben zunächst mit dem Bezirksparlament abgestimmt werden, was aber versäumt wurde – Kuhn erhielt dafür offiziell eine Rüge der Verordneten. Ungewohnt einig sind sich die BVVler seitdem darin, den Kulturstandort auf jeden Fall erhalten zu wollen. Ob sie das allerdings schaffen werden und in dem denkmalgeschützten Saal eines der ältesten Kinos der Stadt jemals wieder ein Film über die Leinwand flimmern wird oder ob hier doch ein Bürokomplex entsteht, ist zu diesem Zeitpunkt noch offen.

Der nächste Kulturstandort, um den sich in der bald beendeten Legislaturperiode immer wieder Streit entfachte, befindet sich nur ein paar Meter entfernt: Vor allem an den Wochenenden wird der Mauerpark zum Anlaufpunkt für Tausende von Menschen aus aller Welt, die sich hier ein bisschen Berliner Hedonismus abschauen und Straßenmusik genießen wollen. Nicht alle Anwohner*innen sind davon allerdings begeistert, immer wieder gibt es Beschwerden über Lärm. Die Bezirksverordneten sprachen sich Anfang 2019 trotzdem mehrheitlich dafür aus, dass die Karaoke-Veranstaltung im Amphitheater auch weiterhin stattfinden darf; als AfD-Stadtrat Daniel Krüger forderte, Straßenmusik künftig nur noch ohne Verstärker zu erlauben, hielten die anderen Parteien dagegen und entwickelten mit Anwohner*innen und Vereinen eigene Parkregeln. Außerdem beschlossen sie den Einsatz von so genannten Schallschutzmuscheln.

Auch die „Friedvolle Walpurgisnacht“ sollte 2020 endlich wieder stattfinden dürfen – dass daraus nichts wurde, ist allerdings nicht den Bezirksverordneten zuzuschreiben sondern der Pandemie. Ende 2018 bewirkten die BVV-Parteien darüber hinaus, dass das Theater o.N. eine Verlängerung des Mietvertrages für die Räume in der Kollwitzstraße kommt; weil der aber nur bis 2022 gültig ist, wird aktuell fieberhaft nach einer neuen Bleibe gesucht.

 

Bezirk

2019 begannen die Demos von „Fridays for Future“ – und Pankow rief den Klimanotstand aus / Foto: Julia Schmitz

 

Umwelt– & Klimaschutz

Und dann ist da noch die Sache mit dem Klima. Umweltschutz spielte in der Bezirkspolitik zwar schon länger eine Rolle. Doch als die „Fridays For Future“-Demonstrationen immer mehr Jugendliche auf die Straßen trieben, brannte auch den Bezirksverordneten das Thema unter den Nägeln. Seit zwei Jahren steht es deshalb noch stärker im Mittelpunkt: Im August 2019 rief Pankow als erster Bezirk Berlins den Klimanotstand aus. Das war zwar vorrangig ein symbolischer Akt, hat aber durchaus Einfluss auf kommende politische Entscheidungen – denn seitdem müssen alle Vorhaben im Kiez auf ihre Klimafreundlichkeit geprüft werden. Um das weitläufige Thema zu koordinieren, wurde ein Klimaausschuss gegründet, seit Januar 2021 hat Pankow außerdem eine Klimaschutzbeauftragte.

Die Grünen setzten sich anschließend dafür ein, dass in zukünftigen Bebauungsplänen der Einbau von Photovoltaik-Anlagen zur Pflicht wird und die Bornholmer Grundschule eine grüne Turnhalle bekommt; die SPD beantragte, dass der Bezirk dem Nachhaltigkeits-Netzwerk „Cradle to Cradle“ beitritt und bekam die Zustimmung der anderen Parteien. Gemeinsam forderten Linke, SPD und Grüne, dass eine Machbarkeitsstudie untersucht, inwiefern die baumlose Hagenauer Straße zur „Klimastraße“ werden kann. Und auch über das Wohl der Straßenbäume wurde wiederholt in den Bezirksverordnetenversammlungen diskutiert – und zwar durchaus kontrovers und leidenschaftlich. Dennoch kam es gerade in diesem Jahr vermehrt zur Fällung von Bäumen durch das Straßen- und Grünflächenamt.

Mitte Juni geht die Bezirksverordnetenversammlung in die Sommerpause und die Politiker*innen betreten die Zielgerade im Wahlkampf für die nächste Wahlperiode. Mit welchen Programmen und Kandidat*innen die einzelnen Parteien auf Bezirksebene antreten, darüber werden wir in den kommenden Monaten ausführlich berichten.

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar