Pandemie

„Ich bin müde und ausgelaugt“

von Julia Schmitz 12. April 2021

Die einen genießen das entschleunigte Leben, die anderen fühlen sich wie ein Tiger im Käfig: Nach einem Jahr Pandemie haben wir euch nach einem Stimmungsbild aus Prenzlauer Berg gefragt. Das sind die Antworten.


Als Mitte März der erste „Lockdown“ in Kraft trat, hätten die meisten von uns wohl kaum gedacht, dass uns die Pandemie das komplette Jahr und sogar auch noch das Jahr darauf begleiten würde. Gefühlt täglich gibt es neue Maßnahmen, gleichzeitig wird in der Politik nach noch härteren Einschränkungen gerufen und nach mehr Einheitlichkeit – und dann kocht doch jedes Bundesland sein eigenes Süppchen. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Bundesregierung ist deutlich angeknackst, viele Menschen sind einfach nur noch erschöpft.

 

Wie geht es dir nach einem Jahr Pandemie?

Das schlug sich auch deutlich in den Antworten in unserer Umfrage nieder. Wir wollten wissen, wie es euch nach einem Jahr Corona geht: Nicht gut, schlecht oder sogar beschissen habt ihr genannt, und mittlerweile habe ich resigniert. „Ich bin müde und ausgelaugt vom Home-Schooling/Home-Office/Home-Everything-Wahnsinn“, schreibt eine Teilnehmerin; „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Depressionen und Angststörungen, die medikamentös behandelt werden“, jemand anderes.

Vor allem die Kontaktbeschränkungen machen einigen zu schaffen: „Als Single ist es die totale Vereinsamung. Und keinerlei Entspannung von der Arbeit möglich – keine Massage, Sauna, Sport, Schwimmbad, Kino, Kultur, Theater, Kneipe – nix.“ Dass der sonst so lebhafte Stadtteil vor allem in den Abend- und Nachtstunden einer Geisterstadt gleicht, daran will sich so mancher einfach nicht gewöhnen: „Mitternacht oder 1, 2 Uhr nachts mal schnell runter weil man noch ne Brause braucht vom Späti – alles dicht, Bürgersteige hochgeklappt, Spätis zu, keine Sau draußen. Direkt an der Kreuzung Eberswalder. Selbst Samstagnacht ist Totentanz.“

Auch Kritik an der Kommunikationsstrategie der Regierung ist darunter: „Ich komme mir vor wie ein Kind, dem seit einem Jahr mit erhobenem Zeigefinger gedroht wird, man solle Eigenverantwortlichkeit zeigen- als wenn das die Mehrheit nicht eh schon seit langem tut. Statt mit einem zu reden, wird nur von oben herab zu uns gesprochen.“

Für andere scheinen die Corona-Maßnahmen wiederum positive Effekte zu haben: „Durch das Homeoffice habe ich endlich eine lebenswerte Work-Life-Balance als alleinerziehende Mama mit zwei Kids, wovon eins einen Pflegegrad hat“, schreibt eine Teilnehmerin. „Sehr gut, ich genieße die Ruhe“, heißt es in einer anderen Antwort.

Pandemie

Etliche Cafés und Restaurants werden die Pandemie-Maßnahmen wohl nicht überstehen, fürchten viele von euch / Foto: Julia Schmitz

 

Was hat sich für dich persönlich verändert?

Für manche hat sich auch mit den Kontaktbeschränkungen und Home Office nur wenig geändert. Bei anderen wurde das Leben komplett auf den Kopf gestellt: Von zu vielen Stunden vor dem Fernseher, kaum sozialen Kontakten und Einsamkeit über finanzielle Einbußen bis hin zum Verlust der Arbeitsstelle habt ihr uns in den Antworten berichtet. Auch der Ausgleich zwischen Beruf- und Privatleben leidet: „Ich bewege mich weniger, was mir gesundheitlich nicht gut tut und arbeite doppelt bis dreimal wie vorher, da virtuelles Unterrichten einen unglaublich hohen Zeitaufwand mit bringt“, schreibt ein Teilnehmer.

Hinzu kommt bei Vielen die Doppelbelastung zwischen Beruf und Kindern, die zuhause betreut und unterrichtet werden müssen. Wie soll man das stemmen können, fragt jemand: „Ich bin fassungslos, dass im Home-Office arbeitende Eltern wie selbstverständlich nebenher Home-Schooling & Home-Kita wuppen und dabei noch Gute-Laune verbreiten sollen“, heißt es und: „Arbeiten (im psychosozialen Bereich, nie im Homeoffice) und parallel zwei jüngere schulpflichtige Kinder stemmen ist SOOOO hart gewesen.“ Doch die Pandemie habe auch ihre positiven Seiten, meint jemand: Die Menschen waschen sich häufiger die Hände und umarmen sich weniger. „Dadurch war ich erfreulicherweise gar nicht krank.“

 

Tanzen gehen, im Café oder der Sauna sitzen: Was fehlt dir am meisten?

Alles Luxusprobleme, rufen manche schnell, wenn man erzählt, dass man sich unheimlich gerne mal wieder die Nacht in einer verrauchten Bar um die Ohren schlagen würde. Doch natürlich ist es erlaubt – und logisch – dass wir etliche Dinge vermissen, die vor der Pandemie zu unserem Alltag gehörten. Zum Beispiel? Ins Museum, ins  Theater oder auf ein Konzert gehen, lange Gespräche beim Essen im Restaurant, Bahnen ziehen im Hallenbad oder schwitzen in Fitnessstudio und Sauna habt ihr genannt, ebenso wie die bereits erwähnten Abende in Bars und Kneipen mit dem dazugehörigen, ungezwungenen „Tresen-Talk“, mit der Option auf durchtanzte Stunden in einem der zahlreichen Clubs. Oder mal wieder Berlin verlassen und auf Reisen gehen?

„Mir fehlt die Abwechslung und die Inspiration“, schreibt eine Teilnehmerin, eine andere hätte gerne mal wieder ihre Kinder in der Schule und ein bisschen Auszeit vom Alltag. Und auch wenn wir uns mittlerweile daran gewöhnt haben, Freund*innen nur einzeln und mit Abstand zu treffen: Einfach mal wieder ungezwungen mit mehreren Menschen in einem Raum sein, quatschen und sich umarmen, ohne das Gegenüber auf die potentielle Ansteckungsgefahr abzuklopfen – das fehlt vielen von euch.

 

Und was läuft in Prenzlauer Berg gut, was weniger gut?

Notwendigerweise – oder auch erfreulicherweise – verbringen wir seit einem Jahr viel mehr Zeit im eigenen Kiez. Was hat sich in Prenzlauer Berg verändert, wollten wir von euch wissen: Die Parks und Spielplätze sind – verständlicherweise –überfüllt und dementsprechend sehen sie auch aus, weil viele ihren Müll hinterlassen, meint jemand. Außerdem hielten sich etliche Prenzlauer Berger*innen nicht an die Abstandsregeln, die Stimmung sei auch aggressiver und die Menschen rücksichtsloser geworden, kritisiert ihr – und zwar ganz deutlich: „Es hat sich gezeigt, dass ach so liebevolle, non-elitär-erziehende und durch ihre Ernährung weltrettende Bio-Muttis und -Vatis teilweise zum egoistischsten und weltfremdesten Verhalten fähig sind. Nach dem Motto ‚Alte und Vorerkrankte können ruhig sterben, ist ja nur natürlich, solange ich mich nicht einschränken oder gar Rücksicht nehmen muss. Mich trifft es ja eh nicht.'“ 

Hingegen wurde der häufigere Kontakt zu den Nachbar*innen als positiv genannt, ebenso wie die flächendeckende Versorgung mit Ärzt*innen, Supermärkten und Lieferdiensten. Und nicht zuletzt: Der Widerstand gegen eine Gruppe Querschwurbler*innen, die im Scotch & Sofa eine zweifelhafte Partei gründen wollten, funktioniere nach wie vor, bemerkt jemand zuversichtlich. 

Danke euch allen fürs Mitmachen!


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3 Kommentare

F.G. 16. April 2021 at 12:20

Also ich lebe seit zwei Jahren in Prenzlauer Berg und ich kann die veränderte Stimmung nur bestätigen. Ich habe den Eindruck dass jeder vom anderen Rücksicht erwartet, aber selber nicht bereit dazu ist seinen Teil dazu beizutragen. Es fängt schon beim harmlosen Spaziergang an. Nur die wenigsten achten auf genügend Abstand und schauen einen dann böse an wenn es dann dementsprechend keine 1,5m Abstand gibt. Aber ich kann nunmal keine Hauswände hochspringen und dementsprechend muss jeder seinen Teil dazu beitragen. Aber gefühlt bleibt alles an einem selbst hängen und jeder erwartet dass der andere das schon irgendwie regelt. Oder auch im Supermarkt, einkaufen ist eine pure Folter geworden. Ich gehe inzwischen nur noch spät Abends einkaufen um wenigstens halbwegs meine Ruhe zu haben. Generell empfinde ich die Stimmung als stark gereizt. Ich war eigentlich immer sehr glücklich hier, aber die Pandemie-Zeit und die rücksichtslosigkeit der Menschen hat mir das mächtig verdorben. In anderen Stadtteilen klappt das ehrlich gesagt besser.
Und auch wenn ich verstehe dass das alles nicht leicht ist, (für mich auch nicht) würde ich erwarten dass man dennoch den Respekt voreinander bewahrt. Ich habe leider nur wenige positive Erfahrungen gemacht, von Solidarität kann leider wirklich keine Rede sein. Ich hoffe wirklich das es noch andere Erfahrungen gibt, aber das ist zumindest (leider) meine Erfahrung. Ich habe inzwischen schweren Herzens beschlossen Prenzlauer Berg zu verlassen, da ich mir selbst nach Corona durch all diese negativen Erfahrungen nicht weiter vorstellen kann hier wieder glücklich zu werden. Ich möchte im keiner Nachbarschaft leben wo ich weiß, dass wenn es hart auf hart kommt die meisten nur an sich selber denken. Ich hoffe es gibt vielleicht die eine oder andere Person die vielleicht dadurch auch mal ihr eigenes Verhalten hinterfragt.

Antworten
Yo 26. April 2021 at 19:25

Vom Leben verwöhnte Menschen sind halt oft die rücksichtslosesten, weil sie sich eh für etwas besseres halten.
Ja, schlimm, was man alles nicht mehr machen kann. Für Hartz 4 Empfänger etc. Ist DAS ALLTAG. Plus oft Krankheit, wegen der man nicht arbeiten kann. Schön, was als normal empfunden wird, aber nicht alle Menschen verdienen. Klasse. Wir haben nicht viel auf das wir uns nach der Pandemie freuen können.

Antworten
Roland Schmid 27. April 2021 at 15:24

Ein schlauer Mensch soll einmal festgestellt haben: „Satisfaction means management of expectatiosn“

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