Pratergarten

Auf ein Bier in der Kastanienallee

von Sonja Koller 5. Oktober 2022

Der Pratergarten ist nicht nur der älteste Biergarten Berlins. Seine Geschichte erzählt auch jene von Prenzlauer Berg und die der Emanzipation der Berliner*innen.


Wer von der Eberswalder Straße in die Kastanienallee einbiegt, kann den Pratergarten kaum übersehen. Er ist das niedrigste und älteste Gebäude auf der Kastanienallee und einer der wenigen Stätten öffentlichen Lebens, die aus der Zeit Prenzlauer Bergs als Arbeiterbezirk erhalten sind. Wer an dem bunten Schild am Eingang vorbeigeht, betritt ein Gelände, dessen Größe von außen wohl die Wenigsten erahnen. Unter den Bäumen stehen unzählige Tische und fast 800 Gartenstühle, links eine größere Gaststätte, rechts ein Selbstbedienungstresen. Dort gehen Wurst, Kartoffeln mit Quark und vor allem viel Bier vom Fass über die Theke. Dahinter steht eine Bühne, die heute etwas verloren wirkt. Auf diesem Gelände lässt sich die Geschichte Prenzlauer Bergs erzählen. 

1852 eröffnete Johann Kalbo hier einen Bierausschank. Und das, obwohl in der Gegend eigentlich wenig los war. Die Berliner*innen trafen sich damals Unter den Linden, am Alexanderplatz oder an der Friedrichstraße. Wenige von ihnen fuhren zum Prenzlauer Tor oder gar durch, um sich außerhalb der Stadt im sandigen Prenzlauer Berg herumzutreiben. 

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Die Kundschaft kam mit der Pferdebahn

Trotzdem funktionierte Kalbos Bierausschank. Denn die Pferdekutscher, die aus Berlin ausreisten, kamen auf ihrem Weg in den Norden hier vorbei und kehrten ein. Das Timing Kalbos war perfekt: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts explodierte die Bevölkerung Berlins und vor allem Arbeiter*innen zogen in die Stadt. Prenzlauer Berg wurde zum Arbeiter*innenbezirk und der Pratergarten hatte auf einen Schlag eine große potenzielle Kundschaft.  

1881 dann die nächste positive Entwicklung für den Pratergarten: Weil die erste Pferdebahnlinie durch die Kastanienallee führte, wurde der Berliner Norden zu einem beliebten Ausflugsziel. Besonders am Wochenende kamen nun auch Berliner*innen aus anderen Bezirken in den Prater. Offiziell hieß dieser damals aber noch gar nicht so. Die Bewohner*innen Prenzlauer Bergs tauften die Gaststätte vermutlich einfach selbst so, wahrscheinlich mit dem Wiener Prater im Hinterkopf. 

 

Ein Prater wie in Wien?

Hatten die Berliner*innen also einfach die Wiener Version nachgemacht? Nein, das Wort Prater kommt von dem lateinischen „prato“, was übersetzt Wiese bedeutet. Obwohl der Berliner Prater deutlich kleiner war, als die Wiener Version hatten seine Besucher*innen ähnliche Freizeitbedürfnisse. Wie in der österreichischen Hauptstadt wurden hier ein Park mit Wiese und eine sogenannte „Lustanstalt“ kombiniert. Dort allerdings wurde anderes aufgeführt als im noblen Wien, der Berliner Prater war eine volkstümlichere Variante. So drehten sich die Stücke oft um schwierige Schwiegermütter oder Affären. Schließlich waren es in Prenzlauer Berg vor allem Arbeiter*innen, die unterhalten werden wollten. 

Obwohl der Begriff „Lustanstalt“ einen etwas schmuddeligen Beigeschmack hat, handelte es sich um ein damals weit verbreitetes Konzept. Berlinweit tauchten daher in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr „Café chantant“ auf, eine Form dieser Lustanstalten. Übersetzt bedeutet der Begriff so viel wie „singende Cafés“. Dort wurde aber nicht nur gesungen, sondern auch Operetten und Theater aufgeführt. Bereits 1867 bat auch Kalbo für sein Etablissement, das auch er damals „Café chantant“ nannte, beim preußischen Polizeipräsidiums um eine Erlaubnis zur Aufführung solcher Lustspiele, die nach zwei Jahren schließlich genehmigt wurde. Wahrscheinlich ist also, dass der Pratergarten, damals offiziell „Café chantant“, seinen Namen von den Berliner*innen bekam, um ihn von den anderen Cafés mit demselben Namen zu unterscheiden. 

 

Der Prater als Ort der Emanzipation

Der Prater wurde durch seine „Sommergartenbühne“ in den warmen Monaten immer beliebter – auch bei Frauen. Damals war das besonders, weil sich Frauen möglichst selten in der Öffentlichkeit zeigen durften. Tagsüber waren es vor allem Männer, die arbeiteten; die Frauen sollten sich um den Haushalt kümmern. Wenn sie in der Öffentlichkeit zu sehen waren, dann am Markt oder in der Kirche und nicht in einem Ausflugslokal. Weil der Pratergarten aber außerhalb der Berliner Stadtgrenze lag, widersetzen sich immer mehr Frauen den damals gültigen Regeln und gingen in das Ausflugslokal. Ein Schritt zu mehr Sichtbarkeit im Alltag und in Richtung Selbstbestimmtheit. 

Das dürfte daran liegen, dass dort ein Freizeitangebot geboten wurde, dass Ende des 19. Jahrhunderts als unglaublich spektakulär galt. Statt wie früher auf Jahrmärkte zu warten, die nur ein oder zweimal jährlich stattfanden, konnten Berliner*innen nun ihre Unterhaltung in den Alltag einbauen. Der Pratergarten vereinte mit seinem großen Angebot gleich mehrere Elemente der damaligen Freizeitgestaltung: Es gab Theater, Musik, Bier und etwas zu Essen.

Dies ist der erste Teil der Geschichte des Pratergartens. Wie es nach 1900 weiter ging, erfahrt ihr hier.

 

Titelbild: Sonja Koller

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