Umweltbibliothek

Opposition im Kirchenkeller

von Katharina Angus 27. Juni 2022

Sie arbeiteten als Friedhofsgärtner oder Hausmeister und druckten im Keller der Zionskirche in der DDR verbotene Zeitschriften: Ein Gründer der Umweltbibliothek in Prenzlauer Berg erinnert sich.


Als 1986 der Reaktor in Tschernobyl brennt und die DDR die Atomkatastrophe kleinredet, beschließt eine Gruppe junger Leute um Carlo Jordan und Wolfgang Rüddenklau, gegen Umweltzerstörung und Atomenergie aktiv zu werden. Jordan fährt zu dieser Zeit oft mit Freunden durch die DDR, besichtigt vernachlässigte Industrieanlagen wie das Zementwerk in Rüdersdorf, fährt durch zerfallende Altstädte und zerstörte Natur. Eine Mischung aus Reisen, Trampen und Kunst habe ihn zum Aktivismus bewegt, erzählt er.

Zu den ersten Aktionen im Prenzlauer Berg gehören Demonstrationen mit dem Fahrrad. Die Tücher, von den Aktivist*innen vor Mund und Nase gespannt, sollen dabei nicht die Identität verschleiern, sondern vor Autoabgasen schützen. In Anlehnung an die Friedensbewegung, die in der DDR gegen Ende der 1970er Jahre Fahrt aufnimmt und gegen die verstärkte Militarisierung der Gesellschaft im sozialistischen Staat aufbegehrt, fordern sie „Frieden zwischen Mensch und Natur“. Dazu gehören auch urbane Pflanzaktionen: „Viele meiner Bekannten, die einen Ausreiseantrag gestellt hatten, arbeiteten auf Friedhöfen. Dort haben wir uns oft versammelt und auch manchen Baum mitgenommen, den wir dann in Stadtruinen in Prenzlauer Berg gepflanzt haben“, erzählt Jordan.

Die jungen Oppositionellen, die in Ostberlin leben, schmieden den Plan, gezielt eine der Ostberliner Kirchengemeinden zu unterwandern, um sich strukturell zu organisieren. Diese genießen in der DDR einen Sonderstatus, beispielsweise dürfen sie Informationsschriften herausgeben. Carlo Jordan, einer der Gründer der Umweltbibliothek und Bundesverdienstkreuzträger erinnert sich, dass die Gruppe sich zunächst an die Sophien- und Marienkirche gewandt hatte. „Die Zionskirche war bereits bekannt für ihre durchlässige Struktur“, sagt Jordan.

 

Offene Türen

Der ansässige Pfarrer, Hans Simon ist begeistert. Endlich hat er Mitarbeiter, denn die Gruppe übernimmt sofort Aufgaben für die Kirche und lässt sich in den Gemeinderat wählen. Christian Halbrock Historiker und einer der Mitbegründer der Umweltbibliothek bekräftigt das Vorhaben zur „Propaganda der Tat“: „Wir haben gesagt, unser Konzept ist, mit dieser Bibliothek gezielt das Informationsmonopol des Staates zu unterspülen, symbolisch, mehr können wir nicht, aber im Laufe der Jahre noch viele andere Einrichtungen aufzubauen.“ Ein Modell, das zu dieser Zeit auch in anderen sozialistischen Staaten wächst; die Erschaffung einer Parallelgesellschaft, die sich abseits vom Staat, im halblegalen Raum ihre eigene Organisation schafft.

„Wolfgang Rüddenklau war Hausmeister, Matthias Vogt Gärtner und ich war Bauleiter“, so Jordan. „So waren wir vor Ort präsent und ansprechbar.“ Um der Gruppe ihr Druckvorhaben, die Samisdat-Zeitschrift „Umweltblätter“, zu ermöglichen, weist Pfarrer Simon seinen Schwiegersohn an, die Motorradgarage zu räumen. Hier werden die kritischen Schriften zu Umweltthemen unter dem Deckmantel „Innerkirchliche Information“ in einer Auflage von 150 Stück pro Monat herausgegeben. Auch Bücher stehen der Öffentlichkeit zur Verfügung, zwar nur als Präsenzbibliothek, allerdings gibt es hier zu Lesen, was im Rest der DDR streng verboten ist: unter anderem die Autoren Solschenizyn, Bernstein und Orwell, die von Westkontakten über die Grenze geschmuggelt werden. Vorträge und Filmvorführungen gehören ebenfalls zum Angebot der Umweltbibliothek.

 

Heimgesucht

Der Sonderstatus der kirchlichen Druckgenehmigung ist über die Bibliothek hinaus bekannt. Bald wenden sich andere Oppositionelle mit Druckwünschen ihrer Manuskripte an die Zionskirche, so wie die Samisdat-Edition „Der Grenzfall“. Die politische Samisdat-Zeitschrift um Peter Grimm, Ralf Hirsch und Peter Rölle wird 1986 gegründet und erlangt 1987 grenzübergreifende Berühmtheit durch die Operation „Falle“ der Staatssicherheit. Die Mitglieder des Blattes hatten für eine ihrer Ausgaben die Umweltbibliothek gebeten, diese bei ihnen drucken zu dürfen. Der IM (Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit) Rainer Dietrich, eingebettet in den Kreis des „Grenzfalls“, gibt die Information an die Überwachungsorgane weiter. In der Nacht vom 24. Auf den 25. November 1987 durchsucht die Stasi die Kellerräume der Zionskirche – mit wenig Erfolg; der illegale „Grenzfall“ wird in dieser Nacht nicht gedruckt.

Dennoch erfolgen Festnahmen und Beschlagnahmungen. Die Folgen: massive mediale Berichterstattungen in Fernsehen, Radio und Zeitungen. Die „Zionskirchaffäre“ schadet dem Ansehen der SED und enthüllt das Ausmaß des allgegenwärtigen Überwachungsapparates, der auch vor der Kirche nicht Halt macht. Durch die DDR rollt eine Protestwelle gegen die Verhaftungen, alle Inhaftierten kommen bis zum 28. November 1987 wieder frei.

Innerhalb der Gruppe nehmen interne Spannungen, angeheizt von einem Stasi-Spitzel, zu. Einige Mitglieder der Umweltbibliothek, darunter Carlo Jordan, wollen die Bibliothek DDR-weit stärker vernetzen, andere fürchten Hierarchie-Bildung und Zentralisierung des oppositionellen Organs. Die Gruppe zerfällt. Der verbliebene Teil bezieht 1990 neue Räumlichkeiten in der Schliemannstraße und besteht bis 1998 fort, als die finanziellen Mittel versiegen. Die Nachfolgezeitschrift der „Umweltblätter“, der „Telegraph“, erscheint bis heute.

Zwischen der Umweltbewegung in der DDR und Fridays for Future sieht Carlo Jordan sowohl Unterschiede als auch Parallelen: „Die Fridays for Future Aktivist*innen sind im Schnitt deutlich jünger, als wir es damals waren. Auch stand bei uns weniger das Klima im Vordergrund, doch die Gemeinsamkeit, die ich erkenne, ist eine apokalyptische Weltwahrnehmung, die in der Bewegung herrscht. Für uns bestand die vor allem in der Angst vor dem atomaren Supergau.“

Titelbild: Carlo Jordan / Foto: Katharina Angus

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