DDR

„Man hat versucht, sich die Politik vom Leibe zu halten“

von Julia Schmitz 21. Juni 2019

Als Chronist hat Jürgen Hohmuth den Prenzlauer Berg in den 1980er Jahren fotografisch dokumentiert. Das Museum Pankow zeigt eine Auswahl seiner Bilder – und lässt den Alltag in der DDR lebendig werden.


Die DDR war ein relativ kleiner Staat, hat sich aber immer versucht größer zu machen als sie eigentlich war“, sagt Jürgen Hohmuth schmunzelnd, als er versucht, einer Gruppe Schüler*innen das Land zu erklären, in dem er aufgewachsen ist. Er sitzt dabei auf einer grünen Multicar M21, einem Gefährt, mit dem früher die Kohlebriketts vor die Haustüren in Berlin geliefert wurden, und das jetzt Teil der Ausstellung „Graustufen. Innenansichten aus der DDR“ im Museum Pankow auf der Prenzlauer Allee ist.

Quer durch den Raum zieht sich eine Schnur, an der Dederon-Beutel in allen Farben und Mustern hängen, in einer Ecke wecken ein geblümtes Sofa und ein wuchtiges Buffet aus Nussbaum der VEB Ostthüringer Möbelwerke Assoziationen an Sonntagnachmittage mit Kaffee und Kuchen bei Oma. In der Mitte thront ein schwarz-glänzendes Simson-Motorrad.

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Grau sind hier also allerhöchstens die Fotografien von Jürgen Hohmuth, die Ende 2017 unter eben jenem Titel „Graustufen“ als Buch erschienen sind und der Ausstellung nun ihren Namen geben. Sie entstanden in den 1980er Jahren und zeigen Alltagsszenen auf der Straße, Innenansichten von Wohnungen und Porträts von Menschen in privatem und politischen Umfeld. Statt ausschweifender Bildunterschriften werden die Fotografien von kurzen Texten bekannter Autor*innen begleitet, mal sind es Fakten, mal poetisch angehauchte Erinnerungen. Wie fühlt es sich an, diese Aufnahmen 30 Jahre nach dem Mauerfall wieder anzusehen, Herr Hohmuth?

 

„Ich habe jahrzehntelang mit diesen Bildern nichts gemacht. Jetzt fällt mir auf, dass wir damals gar nicht wussten, wie kaputt die Gebäude tatsächlich waren und wie bescheiden das Leben war. Grundnahrungsmittel und Arbeit waren vorhanden, aber eben auch nicht viel mehr – und die Häuser zerfielen. Es gibt ja immer mal wieder nostalgische Momente, aber wenn man die Bilder sieht, dann kann das schon – vorausgesetzt, man ist dafür offen – die Sicht über die DDR gerade rücken.“

 

Mit einer über Verwandte eines Freundes im Westen erworbenen Pentax-Kamera zog Hohmuth, der hauptberuflich als Forstarbeiter und Zapfensteiger arbeitete, durch den Osten, fotografierte in Jena, Dessau, Halle – und immer wieder in Berlin.

 

„Ich hatte damals ein sehr lustiges Leben, wir haben nicht gelitten, sondern gelebt und geliebt, wie man das als junger Mensch eben so macht. Vor allem hier in Prenzlauer Berg haben wir uns unsere Freiräume genommen und das Beste daraus gemacht. Es hat uns nicht gekümmert, ob das jemanden stört oder nicht, auch wenn wir natürlich an Grenzen gestoßen sind. Und das sieht man auf diesen Bildern.“

 

Er dokumentierte die Modenschauen der Gruppe „chic, charmant & dauerhaft, die aus Mangel an schwarzem Plastik ihre Kostüme aus Leichensäcken der Charité nähten, fotografierte die Schlangen vor den Lebensmittelgeschäften – „bei denen man sich einfach anstellte, ohne zu wissen, was es überhaupt gab – und die Ausreisehochzeit einer Freundin. Das Politische ist in seinen Fotografien unübersehbar präsent, und doch spielt es nicht die Hauptrolle: „Im Alltag hat man versucht, sich diese Politik vom Leibe zu halten“, so Hohmuth.

Er selbst habe außerdem nie Probleme mit der Stasi gehabt, erst bei Durchsicht seiner Akte erfuhr er, dass er über lange Zeit in zwei Viererschichten observiert wurde. „Ich habe nie Tagebuch geführt, aber für das Jahr 1985 kann ich meinen Tagesablauf über Monate hinweg nachvollziehen, weil die Stasi alles notiert und mit einer kleinen Spionage-Kamera fotografiert hat“, sagt er und grinst.

 

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„Man hatte immer einen Dederon-Beutel dabei, falls man sich irgendwo anstellen musste. Was es dort gab, wusste man oft nicht“ / © Julia Schmitz

 

Zeitweise geriet er sogar ins Visier der Auslandsabteilung, da ihn ein Kollege aufgrund seiner fotografischen Fähigkeiten als Zweitspion für den Westen anheuern wollte. Hätte er das Angebot angenommen? „Ich bin froh, dass dieser Kelch an mir vorübergegangen ist, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich es nicht doch gemacht hatte. Die Versuchung wäre riesig gewesen.“ An eine Ausreise dachte er erst, als er am 7. Oktober 1989 von seinem Balkon nahe der Gethsemanekirche beobachtete, wie die Polizei mit Gewalt eine friedliche Demonstration auflöste. Doch kurz danach fiel die Mauer.

Wie kann man das Leben in der DDR heute noch nachvollziehbar darstellen? „Die Atmosphäre war ja eher unterschwellig spürbar. Man kann zum Beispiel eine Ausstellung wie diese hier machen, in der man das Politische am Rande auch erwähnt, aber nicht die große Keule schwingt. Es muss nicht unbedingt ein roter Banner im Raum hängen, um das verständlich zu machen.“ Dennoch finden sich neben Emaille-Kochtopf und BMX-Fahrrad Definitionen wichtiger Begriffe wie Stasi, NVA, Mangelwirtschaft und Trabant, um die Generation, die ohne trennende Mauer aufgewachsen ist, nicht auszuschließen. Aber auch Zeitzeugen sollen einbezogen werden:

 

„Ich weiß, dass die Menschen aus der DDR die Bilder in der Wendezeit nicht gerne gesehen haben. Viele haben damals eine Art freiwillige Heimatenteignung mitgemacht, als sie mit offenen Armen den Idealen im Westen hinterhergerannt sind. In der Zeit haben sich aber andere Leute ihrer Vergangenheit bemächtigt. Auch heute noch findet sich ein Großteil der Bevölkerung in den Berichten über der offiziellen Erinnerungskultur an die DDR gar nicht wieder.“

 

„Graustufen“ bietet also eine Möglichkeit, die eigene Erinnerung an die Vergangenheit aufleben zu lassen – ganz ohne die Bevormundung, die seitens des DDR-Staates herrschte. „Und man darf hier trotzdem durchaus nostalgisch werden“, sagt Hohmuth lachend.

 

Die Ausstellung „Graustufen. Innenansichten aus der DDR“ ist noch bis zum 19. Januar 2020 im Museum Pankow, Prenzlauer Allee 227/228 zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, der Eintritt ist frei.

Foto oben: Jürgen Hohmuth mit seinem Sohn in einer alten DDR-Telefonzelle
© Julia Schmitz

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