Schnittmuster und Endzeitstimmung

von Sarah Schaefer 17. Juni 2019

In den 80er Jahren öffnete sich die „Sibylle“, das legendäre DDR-Modemagazin, für die Subkultur in Prenzlauer Berg. Auch davor spielte der Stadtteil eine große Rolle für das Magazin, wie eine Ausstellung zeigt. 


Sie war stets vergriffen, wurde im Freundes- und Bekanntenkreis weitergereicht und gehütet wie ein Schatz: Die „Sibylle“ prägte in der DDR Stil und Geschmack, galt Leserinnen (und Lesern) als „Fenster zur Welt“. Für die Redakteur*innen, Fotograf*innen, Designer*innen und Models war die Zeitschrift ein Ort, an dem sie ihre Kreativität ausleben konnten – auch wenn die Staats- und Parteiführung immer mal wieder Einspruch erhob, beispielsweise, wenn die „Sibylle“-Verantwortlichen es wagten, Frauen in Miniröcken zu zeigen. 

24 Jahre nach dem Ende der „Sibylle“ widmet der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus dem legendären Modemagazin eine Ausstellung. Im Mittelpunkt stehen die Werke von 13 Sibylle-Fotograf*innen, darunter Sibylle Bergemann, Ute und Werner Mahler, Arno Fischer, Roger Melis und Sven Marquardt.

Die Fotos zeigen Frauen in zarten Kleidern, ausladenden Mänteln oder bequemer Alltagskleidung an allen möglichen Orten: in Straßencafés in Budapest oder Karlsbad, in der Landschaft Armeniens und natürlich auf den Straßen, in den Häusern und Hinterhöfen Ostberlins. Und Ostberlin bedeutet hier oft: Prenzlauer Berg.

 

Eine Primaballerina am Bahnhof Prenzlauer Allee

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1967, Schönhauser Allee: Eine Frau in Kostüm und weißen Stiefeln steht am Straßenrand. Sie scheint sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen, im Hintergrund der Fotografie von Arno Fischer sehen wir Autos und Fußgänger*innen, die die Straße überqueren.

1980, Bahnhof Prenzlauer Allee: Am Bahnsteig warten Menschen auf die Bahn, mittendrin die Ballett-Tänzerin Jutta Deutschland im schwarzen Kleid mit weitem weißen Kragen. In Spitzenschuhen lehnt sie elegant an einer Bank.

In der „Sibylle“ erschienen die Fotos, die Ute Mahler von Jutta Deutschland machte, mit einem Hinweis auf Stoffverbrauch und Maße der Kleider, die die Primaballerina trug. Denn kaufen konnten die Leserinnen die gezeigte Mode in der Regel nicht. Stattdessen gab es zu den Fotostrecken Hinweise auf Schnittmuster, mit denen die Frauen sich die Kleider, Blazer und Hosen selbst nähen konnten.

 

Annäherung an Subkultur

Weit entfernt von Schnittmustern scheinen hingegen die Fotografien von Sven Marquardt, der mit seiner Kamera die Subkultur in Prenzlauer Berg dokumentierte. Für die „Sibylle“ arbeitete Marquardt, der heute auch als Türsteher des Berghain bekannt ist, ab 1987. 

Foto: Sibylle Bergemann, Maren, Berlin, 1989 © LOOCK Galerie, Berlin

Möglich wurde das, weil sich die „Sibylle“ in dieser Zeit der Prenzlauer Berger Szene annäherte und so auch die Arbeiten von Marquardt aufnahm, „die in ihrer düsteren Ausstrahlung keinen Konsens mit dem Bildungsauftrag der ‚Sibylle‘ mehr anstrebten, sondern eine Art Endzeitstimmung verbreiteten“, wie es in der Ausstellung heißt.

Marquardt fotografierte häufig seine Freunde, so auch seine gute Freundin Ines – eine Frau, deren Rundungen nichts mit den dürren Körpern von heutigen Size-Zero-Models gemein hatten. Über sein Porträt von Ines, das ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist, sagte Marquardt in der Vogue: „Das Thema war ‚Spitze‘. Also habe ich sie einfach nur mit dem Stoff eingewickelt – weil sie eben eine so tolle Form hatte. Es war früher mutig von der ‚Sibylle‘, meine Fotos genau so zu drucken.“

 

„Miami heiß“ und Hinterhöfe in Prenzlauer Berg

Nach der Wende kamen neue Orte hinzu: „Miami heiß“ war der Titel einer Modestrecke, für die die „Sibylle“-Models 1991 in knappen Kleidern vor der Kulisse der US-amerikanischen Stadt posierten. Doch immer wieder ging es zurück nach Ostberlin, etwa im Jahr 1994, als Ute Mahler ihr Model in schweren Mänteln, mal mit Hut, mal mit Regenschirm in den Hinterhöfen Prenzlauer Bergs ablichtete.

Aelrun Goette, früher „Sibylle“-Model, heute Regisseurin, sagte bei der Ausstellungseröffnung, die gezeigten Bilder seien für sie eine „furchtbar persönliche Angelegenheit“. Denn: „Drei Jahrzehnte lang wurde uns erklärt, wie die ostdeutsche Frau ist, und warum sie so ist. Selber deuten durften wir unser Leben nicht. Mit dieser Ausstellung holen wir uns ein Stück weit die Deutung zurück.“

Die Ausstellung ist noch bis zum 25. August im Willy-Brandt-Haus in Kreuzberg zu sehen (Di-So 12-18 Uhr). Der Eintritt ist frei, ein Ausweis ist erforderlich.

 

Großes Bild: Sibylle 4/1962, Foto: Arno Fischer, Reprofoto: Werner Mahler

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