In Prenzlauer Berg leisteten zahlreiche Frauen aktiven Widerstand gegen die Nationalsozialisten, doch ihre Namen kennt heute kaum jemand. Das liegt auch an traditionellen Rollenbildern.
Lilli Adel (später Wagner) hat sich nicht einschüchtern lassen. Schon als Jugendliche setzte sie sich mit ihrer Mutter Charlotte Adel gegen die Nationalsozialisten ein, beide engagierten sich in einer Oppositionsgruppe. Charlotte in der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), Lilli im Jugendverband der SAP. Gemeinsam zogen sie in eine Wohnung im dritten Stock eines Hauses in der Weißenburger Straße 79, heute läge das Haus in der Kollwitzstraße gegenüber der Einmündung der Belforter Straße.
Dort nahmen sie im Untergrund lebende Genoss*innen auf, neben Mutter und Tochter Adel zogen Karl Baier, Karl Bergner, Erika und Wolfgang Bötzer sowie Helmuth Jahr ein. Trotz des enormen Risikos empfing Lilli zusätzlich für andere Post und Geld, Charlotte leitete chiffrierte Briefe weiter. Führende Kreise der SAP trafen sich in ihrer Wohnung. Beide Frauen wurden schließlich in ihrer Wohnung verhaftet. Ein Spitzel hatte die Gruppe verraten.
Während der Untersucherungshaft setzte die Gestapo grausamste Methoden ein, um an weitere Informationen zu kommen. Auch nach der Haft bedrängten die Nationalsozialisten Mutter und Tochter. Charlotte nahm sich schließlich 1938 das Leben, Lilli überlebte die NS-Zeit, hatte aber ihr Leben lang mit den Folgen der brutalen Misshandlungen während der Haft zu kämpfen.
Denkmal für Widerstandskämpferinnen
Mutter und Tochter Adel sind nur zwei von vielen Frauen, die sich auf vielfältige Weise der politischen und gesellschaftlichen Gleichschaltung durch den Nationalsozialismus entgegenstellten. Sie verteilten Lebensmittel und Geld an Verfolgte, sie tippten und verteilten Flugblätter, sie vernetzten die Menschen im Widerstand. Alle riskierten dabei ihr Leben. Doch in der Regel kennen viele nur den Namen von Sophie Scholl und die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Heute weiß kaum jemand etwas über die Namen und Geschichten der anderen Frauen – wenn überhaupt, sind sie meist nur regional bekannt. ___STEADY_PAYWALL___
Die Historikerin Trille Schünke und die Journalistin Margit Hildebrandt recherchieren deshalb die Geschichte der Widerstandskämpferinnen. Rund 3400 Frauen haben sie mittlerweile in Berlin gefunden – auch in Prenzlauer Berg. Mit ihrem Projekt „Antifaschistinnen aus Anstand“ setzen sie den Frauen in Social-Media-Kanälen und auf einer eigenen Webseite ein digitales Denkmal. Mit den Stadtspaziergängen im Projekt „Widerstand lokal“ zeigen sie außerdem, wo sich die Frauen in den einzelnen Bezirken alltäglich engagiert haben.
Frauen bildeten Netzwerke
„Gerade für Frauen aus der Arbeiterbewegung, die schon lange so verwurzelt waren, war es völlig selbstverständlich, dass sie ab 1933 Widerstand leisteten“, sagt Trille Schünke. Die meisten seien auch nicht alleine tätig gewesen. Tatsächlich waren viele Frauen miteinander befreundet oder miteinander verwandt.
Hilde Seigewasser, die die „Rote Hilfe“ Weißensee aufbaute, ist so ein Fall. Gemeinsam mit Maria Lehmann und Erna Baartz hat sie ein Netzwerk in ganz Berlin gesponnen, alle kannten Menschen aus unterschiedlichen Zusammenhängen. „Um bereits Verhafteten und deren Angehörigen zu helfen, muss man voneinander wissen“, erklärt Schünke.
Spätestens nach der Inhaftierung ihres Mannes Hans nahm Seigewasser auch wieder Kontakt zu ihrer alten Freundin Charlotte Kirst (später Uhrig) auf und schloss Verbindungen zu anderen Widerstandskämpfer*innen rund um Robert Uhrig und Josef Römer. Über ihre Arbeit besorgte sie nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs illegal Informationen, die Robert Uhrig an die sowjetische Botschaft und die anderen Alliierten weiterleitete.
Heldengeschichten im Fokus
Trotz ihrer Leistungen sind aber vor allem Männer und ihre Geschichten im kollektiven Gedächtnis hängen geblieben. Schünke und Hildebrandt glauben, dass es auch daran liegt, dass diese als Heldengeschichten erzählt werden – so wie das Attentat vom 20. Juli 1944.
Die Leistungen der Frauen spielen in den Erzählungen darüber keine Rolle. „Da war keine Frau wirklich beim Attentat dabei. Dass aber doch nicht wenig Frauen an der Vorbereitung beteiligt waren und an der ganzen Umsetzung und dabei unterstützt haben, dass es überhaupt dazu kam, das ist wenig präsent“, sagt Schünke.
In den meisten Fällen bedeutete Widerstand aber, Informationen über Kriegsplanungen zu verbreiten, Arbeiter*innen zu Sabotagen in Betrieben aufzurufen oder Leute zu verstecken. Und daran beteilgten sich Männer und Frauen.
Frauen als Anhang eines Mannes
Lange Zeit galten Widerstandskämpfer*innen in der Bundesrepublik als Landesverräter*innen. „Es hat gedauert, bis sich das öffentliche Ansehen sich in Deutschland geändert hat“, sagt Hildebrandt. Weiblicher Widerstand spielt bis heute keine große Rolle in der Geschichtsschreibung, ihr Anteil an den historischen Ereignissen ist kaum erforscht.
Ähnlich sieht es in der Erinnerungsarbeit aus. Und das, obwohl Frauen teilweise in denselben bis heute bekannten Gruppen aktiv waren oder denselben Nachnamen trugen. So sind Straßen in Prenzlauer Berg nach Personen benannt, die Widerstand leisteten. Es gibt die Husemannstraße oder die Sredzkistraße. Doch gemeint sind nicht Marta Husemann, Margarete oder Gerda Sredzki, sondern ihre Ehemänner beziehungsweise der Schwiegervater, obwohl alle wichtige Arbeiten im Kampf gegen das NS-Regime ausführten. Für Charlotte Adel wurde deshalb 2018 ein Stolperstein in Britz verlegt.
Einige der Widerstandskämpferinnen werden zwar schon einmal erwähnt, aber meist nur als Anhang. Sie sind die Freundin, Verlobte, Frau oder Tochter von jemandem. Ihre Handlungen werden kaum erzählt oder gewürdigt.
Widerstand als Selbstverständlichkeit
Gleichzeitig bewerteten viele Frauen später ihre eigenen Leistungen gar nicht als Widerstand. Dazu gehöre auch Herta Seher, die mit ihrem Mann Paul in der Rykestraße lebte. Sie erzählte später, dass sie keinen Widerstand geleistet habe. Doch das stimme nicht, sagt Schünke. Seher habe Flugblätter hergestellt und verteilt, sie sei Teil der Uhrig-Römer-Gruppe gewesen. Auch die Antworten in Anträgen, die Frauen ausgefüllt haben, um als Opfer des Faschismus anerkannt zu werden, zeigen etwas anderes. Das stellten Schünke und Hildebrandt bei ihren Recherchen fest.
Auf die Frage, ob sie Widerstand geleistet hätten, kreuzten viele Frauen nein an. Auf die Frage aber, was sie sonst noch gemacht hätten, folgte dann eine Aufzählung an Dingen, die der Definition des Widerstands entspräche. Denn für die Frauen war ihr Handeln einfach selbstverständlich. Sie hatten Anstand.
Wer mehr über die Frauen erfahren möchte, die in Berlin Widerstand leisten, kann an einem der weiteren Stadtspaziergänge teilnehmen. Der nächste findet am 3. Oktober 2023 um 14 Uhr in Lichtenberg statt. Weitere Informationen gibt es hier.
Titelfoto: Christina Heuschen