„Wir verstecken uns nicht“

von Katharina Angus 22. August 2022

Sie waren eine der wenigen kirchenunabhängigen Oppositionsgruppen in der DDR: die „Frauen für den Frieden“. Gemeinsam kämpften sie gegen die zunehmende Militarisierung des sozialistischen Staates. Mitbegründerin Almut Ilsen teilt ihre Erinnerungen.


Als Ende der Siebziger Jahre die Sowjetunion hochmoderne Mittelstreckenraketen mit nuklearen Sprengköpfen in Mittelosteuropa stationiert, ist die NATO alarmiert. Es beginnt eine neue Phase des Wettrüstens zwischen Ost und West. Im Jahr 1979 wird der NATO-Doppelbeschluss gefasst, der die Stationierung neuer, mit atomaren Sprengköpfen bestückter Mittelstreckenraketen in Westeuropa fordert. In der Bundesrepublik ruft diese Entscheidung den Protest von Bürger*innen auf den Plan, Friedensbewegungen entstehen. Und auch in der DDR mehren sich Stimmen gegen die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft.

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Friedensbewegung zunächst unterstützt

Das sozialistische Land gibt sich nach außen hin als friedensliebend. Almut Ilsen, eine der Mitbegründerinnen der „Frauen für den Frieden“ in Ostberlin erklärt: „Die DDR-Regierung hat offiziell die westeuropäische Friedensbewegung unterstützt. Aber als 1983 der Bundestag dem Nato-Doppelbeschluss zustimmte und die Stationierung der Mittelstreckenraketen beschlossene Sache war, musste die DDR-Regierung keine Rücksicht mehr nehmen.“

Oppositionelle Gruppierungen in der DDR befürchten ab diesem Zeitpunkt, stärker ins Visier der Staatssicherheit zu rücken. Und tatsächlich erfolgen im Dezember 1983 erste Verhaftungen einiger Mitglieder der „Frauen für den Frieden“, die sich als Protestgruppe gegen ein neues Wehrdienstgesetz der DDR formiert hat; das sieht im Fall der Mobilmachung, die Einbeziehung von Frauen zwischen 18 und 50 Jahren in die Armee .

 

Ein neues Wehrdienstgesetz

In den Achtziger Jahren ist die gesellschaftliche Struktur der DDR stark von militärischen Aktivitäten durchzogen. Für Männer gibt es die verpflichtende Grundausbildung bei der NVA, die achtzehn Monate lang dauert. Die Grenztruppen fordern ebenfalls ihr Tribut und selbst in den Betrieben gibt es paramilitärische „Betriebskampfgruppen“. Als 1982 die Wehrpflicht auf Frauen ausgeweitet werden soll, ist der Freundeskreis um Almut Ilsen und Bärbel Bohley entsetzt.

„Wir waren glühende Pazifistinnen“, sagt Ilsen. „Und wir hatten erfahren, dass in Mecklenburg-Vorpommern bereits Krankenschwestern zu den Wehrkreiskommandos bestellt und gemustert wurden und ihren Wehrpass bekamen.“ Bohley schreibt eine Eingabe. Diese Form des legalen Widerspruchs gegen politische Entscheidungen ist in der DDR die einzige Möglichkeit, einen offiziellen Weg des Protests zu beschreiten.

In der Regel haben Eingaben keine Aussicht auf Erfolg. So erhält auch Bohley nur eine nichtssagende Antwort; viele der Frauen, die ebenfalls eine eigene Angabe verfasst haben, bekommen keinerlei Rückmeldung. Als sich einige Frauen, darunter Ilsen und Bohley, im Sommer 1982 bei Katja Havemann – der Witwe des Regimekritikers Robert Havemann – treffen, sprechen sie darüber, dass man ihre individuellen Schreiben ignoriert. Sie beschließen, im Freundes- und Bekanntenkreis Unterschriften für eine gemeinsame Eingabe zu sammeln. „Das musste natürlich konspirativ passieren. Man hat nur diejenigen gefragt, von denen man sich relativ sicher war, dass sie die Aktion nicht vorzeitig verraten würden“, so Ilsen.

 

Post für Honecker

Um die 130 Unterschriften senden die Frauen im Oktober desselben Jahres an Erich Honecker. Sie berufen sich auf den Artikel 65 der DDR-Verfassung, der besagt, dass „Entwürfe grundlegender Gesetze“ den Bürger*innen „zur Erörterung unterbreitet werden“ müssen. Stasi-Mitarbeiter*innen nehmen diese Erörterung zum Vorwand, um wenige Wochen nach der Eingabe bei den Unterzeichnerinnen klingeln. Sie wollen sie davon überzeugen, ihre Unterschrift zurückzuziehen.

Trotz der Gefahr äußern viele der Frauen, die unterschrieben haben, den Wunsch, als Gruppe weiter zu arbeiten. Viele von ihnen leben in Prenzlauer Berg. Die Initiative „Frauen für den Frieden“ ist geboren. Sie rechnen damit, bespitzelt zu werden und nehmen das Risiko in Kauf. „Wir wussten und sind davon ausgegangen, dass die Stasi Frauen bei uns einschleusen wird und das ist auch passiert. Wir haben aber den bewussten Entschluss gefasst, dass wir nicht jeder neuen Frau in unserer Nähe mit Argwohn entgegentreten und unsere Kräfte an Misstrauen verschwenden. Der Tenor lautete: Wir verstecken uns nicht.“

Unter anderen wird die IM Monika Haeger in die Gruppe eingeschmuggelt. Bei einer der Friedenswerkstätten, die zwischen 1982 und 1988 von der evangelischen Erlöserkirche in Berlin-Rummelsburg organisiert wird, und die auch den „Frauen für den Frieden“ einen Stand bietet, entwendet Haeger einen ganzen Karton voller Adressen von Sympathisantinnen.

 

Im Visier der Staatssicherheit

Auch andere Aktionen der Initiative werden von der Stasi erschwert. So entkommt Ulrike Poppe, eine der Mitbegründerinnen der „Frauen für den Frieden“, der Stasi auf ihrem Weg zu einer Protestaktion im Oktober 1983 in einer abenteuerlichen Verfolgungsjagd. Sie kann den Wagen der Beamten schließlich abhängen, indem sie auf ihrem Fahrrad den Prenzlauer Berg hinunter rast.

Sie fährt zum Alexanderplatz, wo die „Verweigerung in Schwarz“ stattfindet. Die „Frauen für den Frieden“ haben einen gemeinsamen Posteinwurf ihrer individuellen Verweigerungsschreiben der militärischen Musterung organisiert. Die Gruppe hat den Ort strategisch klug gewählt: Den Beamten der Staatssicherheit ist der Alexanderplatz zu voll, um öffentliches Aufsehen und das Interesse westlicher Medien zu erregen. Insgesamt ist die Organisation regimekritischer Veranstaltungen noch immer schwierig und bedarf meistens die Unterstützung der Kirche.

„Wir waren eine kirchenunabhängige Gruppe, aber kirchliche Orte waren die einzige Chance, eine Art Halböffentlichkeit herzustellen“, erklärt Ilsen. Insbesondere die Form des „politischen Nachtgebets“ ist beliebt. Hier muss zwar die liturgische Struktur bestehen bleiben, um im legalen Raum zu bleiben, die Gestaltung der Inhalte bietet jedoch Freiheiten und ermöglicht den Anwesenden, mitzuwirken. „Wir kannten Christa Sengespeick, die Pastorin der Auferstehungskirche in Friedrichshain. Sie hatte den Gemeindekirchenrat auf ihrer Seite, sodass wir dort Veranstaltungen durchführen konnten. Die Kirche war immer voll“, so Ilsen.

 

Verhaftungen von Oppositionellen

Im Spätsommer 1983 erreichen Hinweise aus Geheimdienstkreisen die Gruppe, dass für den Zeitraum nach dem Bundestagsvotum zum Nato-Doppelbeschluss im Herbst Verhaftungen Oppositioneller in der DDR geplant werden. Die „Frauen für den Frieden“ verfassen Vollmachten, wer ihre Kinder betreuen soll, falls sie inhaftiert werden sollten. Im Dezember 1983 werden vier Mitglieder der Gruppe, darunter Bärbel Bohley und Ulrike Poppe, verhaftet. Gegen sie wird ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats eingeleitet.

Aus Westeuropa kommt Unterstützung in Form von medialer Aufmerksamkeit und Protest gegen die Verhaftungen. Diese Aufmerksamkeit ist es, die der DDR-Führung in den Achtziger Jahren Druck macht. Die noch inhaftierten Frauen kommen im Januar 1984 wieder frei. „Alleine hätte ich das mental nicht durchgestanden und ich glaube, den anderen ging es ähnlich. Nur durch unseren starken Zusammenhalt haben wir das geschafft“, erinnert sich Ilsen. Ab 1985 erhöht sich durch den operativen Vorgang „Wespen“ der Staatssicherheit der Druck auf die Frauen. Einigen erteilt man Berufsverbote, andere dürfen nicht studieren. Für die Stasi besteht die Gruppe 1988 nicht länger. Die Mitglieder engagieren sich allerdings weiterhin.

Wie beurteilt Almut Ilsen heute ihre pazifistische Position von damals? „Durch den Krieg gegen die Ukraine bin ich der Meinung, dass wir eine wehrhafte Demokratie brauchen. Wir hatten hier, in Europa, so lange Frieden, dass wir nicht damit gerechnet haben, dass wieder ein Krieg ausbricht. Früher war meine pazifistische Haltung richtig, aber heute wäre sie falsch.“

Foto: Almut Ilsen hat die „Frauen für den Frieden“ mitbegründet / Foto: Tobia Nooke

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2 Kommentare

Knut 2. September 2022 at 7:48

Ich lese euch gerne, auch wenn ich nicht immer mit allen geäußerten Meinungen übereinstimme. Doch heute war ich geschockt. Warum benutzt ihr Wehrmachtsgesetz als Synonym für Wehrdienstgesetz? Die NVA, die ich bei weitem nicht mochte, somit bewusst oder unbewusst mit der von den Nazis gegründeten Wehrmacht gleichzusetzen ist weit über das Ziel hinaus geschossen.

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Julia Schmitz 5. September 2022 at 13:21

Lieber Knut, danke für den Hinweis. Das war ein unbeabsichtigter Verschreiber, den wir mittlerweile korrigiert haben.

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