Skandinavisches Viertel

Auf Spurensuche

von Christina Heuschen 28. Juni 2023

Die Bornholmer Straße im Skandinavischen Viertel schrieb einst mit der Grenzöffnung Geschichte. Heute sorgt die Gegend für andere Schlagzeilen.


Im Skandinavischen Viertel steht ein Altbau aus der Gründerzeit neben dem anderen, ein pastellfarbenes Haus reiht sich an das nächste: rosa, blassgelb, beige oder hellgrau. Zwischendurch tauchen immer mal wieder kräftigere Farben wie ocker oder dunkelgrau auf. Der Großteil hat ein Vorderhaus, einen Seitenflügel und einen Innenhof.

Die Seitenstraßen bestehen aus Kopfsteinpflaster, an deren Rändern Bäume stehen. Vereinzelt gibt es hier Geschäfte, in Richtung Schönhauser Allee werden es mehr. Mal ist es ein Café, eine Apotheke, ein Frisörsalon oder ein Supermarkt.


Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Kiezgeschichten“


Eigentlich ist der Name des Gebiets, das auch Nordisches Viertel genannt wird, nicht offiziell. Seinen Spitznamen trägt es wegen der vielen Straßen, die nach nordeuropäischen Ländern und Städten benannt sind. Hier reihen sich die Bornholmer, an die Malmöer, die Dänen an die Kopenhagener Straße. Auf den ersten Blick wirkt das Skandinavische Viertel wie ein typisches Wohnviertel in Prenzlauer Berg.

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Die Bornholmer Straße schreibt Geschichte

Doch das Viertel hat in der DDR Geschichte geschrieben – vor allem in der Bornholmer Straße und an der Bösebrücke. Am Abend des 9. November 1989 kündigt das DDR-Regime überraschend eine neue Reiseregelung an. Sie soll die direkte Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland ermöglichen. Die Richtlinie enthalte auch eine Besuchsregelung, die „sofort“ und „unverzüglich“ gelten solle, wie Günter Schabowski auf einer internationalen Pressekonferenz der SED irrtümlich stotternd verkündet.

Es sind folgenschwere Sätze, denn DDR-Fernsehen und Hörfunk übertragen die Pressekonferenz live. Nur kurze Zeit später versammeln sich immer mehr Ost-Berliner*innen vor den Grenzübergängen nach West-Berlin. Auch an der Bornholmer Straße kommen Hunderte Menschen zusammen, sie wollen sofort von ihrem Recht Gebrauch machen. „Tor auf, Tor auf“, rufen sie.

Die Angst der Grenzposten vor einem gewaltsamen Durchbruch wächst. Der diensthabende Leiter der „Passkontrolleinheit“ beschließt, die Kontrollen einzustellen. Um 23.30 Uhr heißt es: „Wir fluten jetzt“. 20.000 Menschen laufen in der Folge über die Bösebrücke. Die Mauer fällt im Skandinavischen Viertel zuerst – und öffnet sich erstmals seit dem Bau am 13. August 1961.

 

Früher Grenzkontrollen, heute Supermarkt

Heute existieren nur noch wenige physische Spuren der Ereignisse von damals. Vielmehr sorgte das Viertel in den letzten Jahren vor allem auf dem Wohnungsmarkt für Aufregung. Seit Jahren steigen die Mieten rasant an, Investor*innen kaufen Häuser auf, trotz Wohnungsmangel stehen hier Wohnungen leer. 2021 waren es allein in der Ibsenstraße, Bergener Straße, Nordkapstraße, Aalesunder und Stavanger Straße 50 Wohnungen, wie eine Anfrage des Bezirksverordneten Fred Bordfeld (Linke) ergab.

Einstige Lücken wurden jedoch schon längst geschlossen. Auch auf einem Platz, den die Malmöer Straße, der Finnländischen Straße und der Bornholmer Straße begrenzen. Inzwischen stehen hier Wohnhäuser und ein Supermarkt, auf dessen Dach weitere Wohnungen errichtet wurden.

In der DDR befindet sich auf dem Gelände die Zollabfertigung für Westdeutsche. Wer zu dem Zeitpunkt über den Grenzübergang Bornholmer Straße einreisen möchte, muss zunächst die Bösebrücke passieren und dann direkt dahinter rechts abbiegen. Grenzbeamte führen hier Fahrzeug- und Personenkontrollen durch.

 

Spuren der Vergangenheit

Bis vor wenigen Jahren fühlte sich der Platz wie ein lebendiges Museum an, zeigte, was das Regime der DDR gemacht hat. Anwohner*innen der Häuser in der Malmöer und der Finnländischen Straße konnten von ihren Wohnungen noch lange die Markierungsstreifen auf dem Platz sehen. Mittlerweile gibt es auch diese ebenfalls nicht mehr. Die Baracken und Abfertigungshäusschen wurden schon Jahre vorher abgerissen.

Ein Straßenschild erinnert an den 9. November 1989. / Foto: Christina Heuschen

 

Stattdessen erinnert auf der anderen Straßenseite bis kurz vor der Bösebrücke, die in den Nachbarbezirk Wedding führt, der „Platz des 9. November 1989“ an die historischen Ereignisse. Hier stehen Straßenschilder und drei große Tafeln. Sie zeigen die historischen Bilder, die auch einmal im Jahr über die Bildschirme laufen.

Parallel zur Straße steht hinter dem Gedenkort ein übrig gebliebener Teil der Begrenzungsmauer der Grenzübergangsstelle. Mittlerweile zieren zahlreiche Graffitis die Wand, Wein wächst von der Kleingartenanlage Bornholm I hinüber. Mehrere Stahlbänder sind in den Boden eingelassen. Auf ihnen stehen Zitate, die damals um die Welt gingen. Sie listen chronologisch auf, was in den Abendstunden des 9. Novembers 1989 passierte.

Inzwischen fahren hier Autos vorbei, die Tram rattert über die Gleise auf der Mittelinsel, Fußgänger*innen laufen über die Brücke. Der Übergang von Prenzlauer Berg in den Wedding ist problemlos möglich.

 

Titelfoto: Der Platz des 9. November 1989 im Skandinavische Viertel an den Mauerfall. / Foto: Christina Heuschen

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