Humannkiez

Hinter den Fassaden des Humannkiezes

von Katharina Angus 2. Juni 2023

Der Humannkiez ist eine der prominentesten Gegenden im Prenzlauer Berg, mit vielen Cafés, Bäumen und Familien. Doch hinter dem ruhigen Charme bewegt sich einiges.


In den Schönhauser Arkaden nehme ich den Fahrstuhl in die fünfte Etage. Hier liegt die Strandbar „Deck5“. Der Boden ist mit Sand überschüttet, weiße Schirme und Cabanas ziehen sich über die gesamte Fläche. An den Außenseiten kann ich auf die Stadt und den Humannkiez blicken. Dies ist nicht mehr der improvisierte Freiraum der Nachwendezeit, der einst auf den Dächern herrschte. Heute ist hier Latino-Party, der Eintritt kostet jetzt zehn Euro.


Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Kiezgeschichten“


Der Humannkiez ist ein Kiez der Gegensätze – nicht nur zwischen Vergangenheit und Zukunft. Der entspannten Atmosphäre im Viertel mit seinen Bars und Lokalen stehen die Herausforderungen einer sich wandelnden Stadt entgegen.

___STEADY_PAYWALL___

Ein langwieriges Alltagsdrama

Eines der langwierigsten Alltagsdramen der Gegenwart in Prenzlauer Berg drehte sich um die Spielstraße in der Gudvanger Straße. Anfang 2015 wurde einstimmig in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) beschlossen, in der Gudvanger Straße dienstags eine temporäre Spielstraße für Kinder einzurichten. Die temporäre Spielstraße sollte auf die nachgewiesene Unterversorgung mit Spielplätzen im Kiez reagieren und auch Beispielcharakter für folgende Projekte haben.

Eine Anwohnerin der Straße reichte daraufhin einen Eilantrag gegen die Spielstraße ein, dem das Berliner Verwaltungsgericht im Juli 2015 nachgab. Das Vorhaben Spielstraße wurde zunächst gestoppt. Bis ins Jahr 2018 stritt man vor Gericht um Sinn und Form des Projekts. Nach der Einigung vergingen weitere zwei Jahre, bis 2020 die ersten Anläufe für die temporäre Spielstraße genommen wurden. Nun bietet sich, in der hellen Jahreszeit, an jedem ersten Mittwoch im Monat ein Teil der Gudvanger Straße zum Spielen an.

 

Forderungen nach Verkehrssicherheit

Einen zynischen Beigeschmack bekommt die langwierige Diskussion um die Spielstraße, betrachtet man die mangelhafte Verkehrssicherheit – insbesondere für Kinder im Humannkiez. In den letzten Jahren und Monaten ereigneten sich hier wiederholt schwere Unfälle zwischen PkW-Fahrer*innen und Fußgänger*innen bzw. Radfahrer*innen. So erfasste erst im Juli 2022 ein 79-Jähriger PKW-Fahrer einen fünfjährigen Jungen, der am nächsten Tag im Krankenhaus verstarb.

„Trampeln für Ampeln“, eine Initiative für sichere Schulwege am Humannplatz, fordert sichere Schulwege, insbesondere an der gefährlichen Kreuzung Stahlheimer Straße / Erich-Weinert-Straße, hinter der das Schultor der Carl-Humann-Schule liegt. Hier wurde im September 2021 sogar eine Ampel entfernt, die inzwischen nicht länger zur Verkehrssicherheit beiträgt. Der Forderungskatalog der Initiative umfasst deshalb eine vierseitige Ampel-Vollsignalisierung für die Stahlheimer Straße / Erich-Weinert-Straße, einen Zebrastreifen auf der Stahlheimer Straße und eine Ausweitung des Tempo 30-Limits auf alle Wochentage und Uhrzeiten.

 

Humannplatz

Die Anwohner*innen im Humannkiez setzen sich für mehr Verkehrssicherheit ein / Foto: Julia Schmitz

Nicht nur beim Thema Verkehr regt sich Widerstand. Mediales Aufsehen erregte 2020 auch das Geburtshaus Maja. Das Haus am Arnimplatz, das zu den ältesten Geburtshäusern Berlins zählt, war nach der Übernahme der Immobilie durch einen Investor von der Schließung bedroht: Denn der Münchner Investor kündigte dem Hebammenteam und verlangte eine erhebliche Mieterhöhung. Das Geburtshaus organisierte daraufhin einen Protest, dem sich sogar der damalige Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) anschloss. Am Ende erzielten alle eine Einigung, die zur Grundlage hatte, dass die Hebammen die neuen Konditionen des Vermieters akzeptierten.

 

Kritische Namensgeber

Auch die Geschichte des Humannkiezes lohnt eine nähere Betrachtung. Die Namensgeber zahlreicher Plätze und Straßen im Kiez durchaus keine ganz unproblematischen Charaktere. Carl Humann, Namensgeber des Viertels und Humannplatzes, entdeckte als Archäologe den Pergamonaltar im Osmanischen Reich im Jahr 1878 und ließ in per Marine nach Deutschland transportieren – aus heutiger Sicht eine äußerst fragwürdige Transaktion.

Erich Weinert, Namensgeber der Erich-Weinart-Straße ist ebenfalls eine vielschichtige Figur: einerseits Widerstandskämpfer gegen die Nazis, andererseits Denunziant im Zuge der Stalinistischen Säuberungen während seiner Zeit im Russland der 1930er Jahre.

Die Straße, die seinen Namen trägt, ist in der Carl-Legien-Siedlung beheimatet. Die Wohnstadt, in den Jahren 1929–1930 von den Architekten Bruno Taut und Franz Hillinger erbaut, gehört zum UNESCO-Welterbe. Während des Zweiten Weltkrieges gab man den Straßen die Namen belgischer Kriegsschauplätze aus dem Ersten Weltkrieg, weswegen die Bevölkerung sie in diesen Jahren als „Flammensiedlung“ bezeichnete. In den 1950er Jahren wurden sie durch eine kommunistisch geprägte Namengebung ersetzt.

Der Humannkiez ist auf den ersten Blick das, was viele Menschen in Prenzlauer Berg sehen: eine Gegend, deren Rauheit und Kreativität während der Nachwendejahre sich in einen ruhigen Charme gewandelt hat. Doch hinter den Fassaden finden sich Dramen der Gegenwart und der Geschichte.

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar