Mühlenkiez

Zwischen Bäumen und Blumen

von Julia Schmitz 9. Juni 2023

Obwohl er von vier Hauptstraßen eingefasst ist, gehört der Mühlenkiez zu den ruhigsten Gegenden von Prenzlauer Berg. Die Bewohner*innen leben teilweise seit der Entstehung in den 1970er-Jahren hier.


An der Kreuzung Greifswalder Straße und Storkower Straße zeigt sich Berlin von seiner lauten Seite: Die S-Bahn rattert über die Hochgleise, an deren Fuß die Schaubude in einem pittoresken Steinhaus ihr Zuhause hat. Fußgänger*innen warten auf den Mittelinseln darauf, dass die Tram vorbeifährt und Autofahrende um die Ecken biegen. Es scheppert, dröhnt und summt. Über allem thront das Hochhaus, an dessen Seite das Künstlerduo Herakut ein überlebensgroßes Streetart-Bild einer Frau mit zwei kleinen Kindern gemalt hat und in dessen Erdgeschoss sich die Heinrich-Böll-Bibliothek befindet.


Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Kiezgeschichten“


Nimmt man einen kleinen Weg, der zwischen Plattenbau und Supermarktparkplatz in den Pieskower Weg führt, herrscht plötzlich Ruhe. Der Mühlenkiez, der von Greifswalder, Storkower, Kniprode- und Michelangelostraße umgeben ist, wirkt wie eine grüne Idylle inmitten der tosenden Großstadt. Im Vergleich zum restlichen Prenzlauer Berg mit seinen Gründerzeitbauten aus dem späten 19. Jahrhundert ist das Viertel ziemlich jung. Bis einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg befanden sich hier vor allem Kleingärten, in den 1950er-Jahren kam dann eine kleine Kaufhalle in der Storkower Straße hinzu, erste Mehrfamilienhäuser im Q3A-Format der DDR entstanden.

Anfang der 1970er-Jahre starteten die Planungen für das Wohngebiet, wie es jetzt noch aussieht: Mehrgeschosser in Pastellfarben, dazwischen viel Platz für Bäume und Wiesen. Manche Menschen, die damals zu den Erstbezieher*innen der modernen Plattenbauten gehörten, leben noch immer hier. „Jedes Mal, wenn ich dahinkomme, rutscht das Herz eine Etage tiefer. Alles in Berlin ändert sich ständig, vor allem im Prenzlauer Berg, wo ganze Bevölkerungsschichten ausgetauscht wurden – nur hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein“, sagt Christiane Lötsch, die hier aufgewachsen ist.

___STEADY_PAYWALL___

Ein Kiez im Grünen

Mitten im Kiez liegt der kleine Einsteinpark, zahlreiche Balkone öffnen sich in Richtung der Wiese. In der Mitte steht eine Skulptur des Namensgebers, am Rande sitzen ein paar Schüler*innen der nahegelegenen Gustave-Eiffel-Schule an den öffentlichen Sportgeräten. Zwei ältere Damen ruhen sich auf den Liegebänken aus, die unter einem großen Ahorn aufgestellt sind. Noch spielt niemand an den Tischtennisplatten; es ist Mittagszeit und durch das Viertel zieht der Duft verschiedener Speisen.

Mühlenkiez

Mittagsruhe im Einsteinpark / Foto: Julia Schmitz

 

Welche Themen beschäftigen die Bewohner*innen im Mühlenkiez, der sich von den Altbauvierteln im Kollwitz- und Helmholtzkiez unterscheidet wie Tag und Nacht? Vor allem eines steht dabei im Vordergrund: die geplante Verdichtung an der Michelangelostraße. Jahrelang war dort eine Fläche, die heute als Parkplatz dient, für die geplante Verlängerung der Stadtautobahn freigehalten worden. Das Land Berlin wollte hier insgesamt 1.500 bezahlbare Wohnungen bauen, um die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt zu lindern.

Der Verein für Lebensqualität an der Michelangelostraße e.V. forderte daraufhin ein Beteiligungsverfahren, als dessen Ergebnis die Zahl auf 1.200 reduziert wurde. Ursprünglich war die Fertigstellung des neuen Quartiers für 2026 geplant – mittlerweile wurde sie auf 2035 verschoben. Um die dann gestiegene Zahl der Bewohner*innen – aktuell leben hier etwa 10.000 Menschen – aufzufangen, entsteht an der Kniprodestraße außerdem bis 2026 eine neue Gesamtschule.

Mühlenkiez

Das Hochhaus an der Greifswalder Straße prägt ein Streetart-Bild vom Künstlerduo Herakut / Foto: Julia Schmitz

 

Doch nicht alle Projekte verzögern sich. Im vergangenen Sommer weihte das Bezirksamt den Mehrgenerationenplatz „Drei Grazien“ an der Hanns-Eisler-Straße 58-74 ein. Auch der Spielplatz an der Thomas-Mann-Straße, der im Jahr vor der Pandemie überraschend gesperrt werden musste, ist mittlerweile repariert und wieder zugänglich. Im Einsteinpark können nun Sportler*innen an der frischen Luft trainieren. Als Nächstes will das Bezirksamt den Bolzplatz an der Gürtelstraße und die Nordpromenade sanieren.

Der Zusammenhalt im Kiez ist groß. Seit 2017 bündelt die Kulturmarkthalle in der Hanns-Eisler-Straße, die sich in einer ehemaligen DDR-Kaufhalle befindet, Initiativen und Projekte im Kiez und bringt Menschen aller Altersgruppen zusammen – seit März ist sie außerdem ein offizielles Stadtteilzentrum. Hier finden regelmäßig Veranstaltungen aus Literatur und Kultur statt, ebenso stehen ein Sprachcafé, ein Malzirkel, eine Öko-AG und der beliebte Tanztee auf dem Programm. Der Mühlenkiez mag die im Durchschnitt ältesten Bewohner*innen von ganz Prenzlauer Berg beheimaten – doch im Herzen bleibt er jung und engagiert.

 

Titelbild: Julia Schmitz

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar