Wins

Wins oder Winstn?

von Sebastian Kirsch 6. September 2023

Das Winsviertel zählt zu den schönsten Wohngegenden in Prenzlauer Berg. Kein Wunder, dass es schon seit Jahren durch Verdrängung und Mietkämpfe geprägt ist.


Wer nach Prenzlauer-Berg-Klischees suchen will, wird hier problemlos fündig. Bei der Bäckerei, die mit „biodynamischen Weizensorten“ wirbt, bei diversen Naturkosmetik-Läden oder bei einem ansässigen Marktforschungsinstitut, das „Zugang zu der Meinung
 von Tausenden von bioaffinen Endverbrauchern“ verspricht – das Winsviertel liebt es bio- und ökologisch. Inzwischen auch in der Variante Brooklyn-Style, etwa mit dem Obst- und Gemüseladen „Greengrocery and More“: Hier kaufen die Expats ein, die ansonsten bei „Town Mouse Coffee“ in der Marienburger Straße sitzen. Und wer es mit dem Bio-Eis übertreibt, dem hilft ein Besuch bei der laut Eigenwerbung „ersten nachhaltigen Zahnarztpraxis in Deutschland“ weiter.

Gerahmt wird das bunte Bio-Treiben – jedenfalls im Zentrum des Viertels, um die Marienburger und die Immanuelkirchstraße herum – von prachtvollen Gründerzeithäusern, denen man nicht mehr ansieht, wie heruntergekommen sie noch Anfang der 1990er Jahre waren: wundervoll sanierte Altbauten, mit fantasievollen Ornamenten und ebenso fantasievollen Quadratmeterpreisen. Immerhin, seit 2014 ist das Winsviertel auch Milieuschutzgebiet; und wer sich hier öfter aufhält, kann sich durchaus an einer gewachsenen Kiezkultur freuen.

___STEADY_PAYWALL___

Foto: Sebastian Kirsch

 

Nach wie vor gibt es etwa in der Winsstraße 12 das PiB („Projekt intergenerationelle Begegnungen“). Inhaberin Ursula Kriese wandelte die ehemalige Boutique „La Bohème“ schon vor bald 20 Jahren in einen Nachbarschaftstreff mit Café, Kinderprogramm, Kursangeboten und vielfältigen Kulturveranstaltungen um. Die 2010 gegründete „Gesellschaft zur Pflege des Kulturerbes“ zeigt jeden Donnerstag im „Kaffe“ in der Immanuelkirchstraße ausgewählte DEFA-Filme. Und gleich nebenan liegt mit „mutabor“ eines der wohl schönsten Antiquariate des Bezirks. Überhaupt – an Lesestoff hält das Viertel so einige Schätze bereit: Gibt es hier doch auch noch die Theaterbuchhandlung „Einar & Bert“ und, nur ein paar Meter weiter, „Viel Gluck mit die Bücher“, wo ausschließlich Bücher aus unabhängigen Verlagen verkauft werden.

 

Die kleinere Schwester von Kollwitz- und Helmholtzkiez

Insgesamt tut man der Gegend vielleicht nicht ganz Unrecht, wenn man sie als die kleinere, ruhigere Schwester der angrenzenden Kollwitz- und Helmholtzkieze bezeichnet. Vor allem dürfte sie, trotz aller Verdrängungsprozesse, noch nicht so homogen sein wie diese beiden Quartiere. Immerhin weist das Winsviertel insbesondere nach Nordosten hin, wo es von der Danziger Straße begrenzt wird, auch so manche schnörkellosere Ecke auf. Im Südwesten hingegen stehen Plattenbauten, unterhalb der Friedhofsanlagen und Grünflächen des Leise-Parks: Auch sie zählen offiziell noch zum Viertel, dessen Grenzen gleichwohl meistens nur mit Anfang und Ende der namensgebenden Winsstraße selbst assoziiert werden.

Ansonsten macht der Kiez an vielen Stellen den Eindruck einer bedächtigen Wohngegend – nur dass die Stille des Öfteren durch den Autoverkehr gestört wird. Gerne wird die Winsstraße nämlich als Alternative zu ihren beiden, ungleich stärker befahrenen Parallelstraßen genutzt, die das Viertel westlich und östlich definieren: der Prenzlauer Allee und der Greifswalder Straße. Zumindest in diesem Punkt ist aber Abhilfe in Sicht: Gerade konnte die Initiative „Wins-Kiezblock“, mit der sich Anwohner*innen schon seit einigen Jahren für Diagonalsperren und Einbahnstraßen engagieren, einen Erfolg für sich verbuchen: Sie konnte ausreichend Unterschriften für einen Einwohnerantrag in der Bezirksverordnetenversammlung sammeln, die Verordneten diskutieren in den kommenden Wochen über einen möglichen Kiezblock in den Ausschüssen.

 

Kultkneipe gerettet

Jüngst feierte das Viertel außerdem einen anderen Erfolg. Im Frühsommer konnte Martin Kaltenmaier, Betreiber der Szenekneipe „Tomsky“ in der Winsstraße, die Rettung seiner Gaststätte verkünden. Die ist eines der letzten Überbleibsel aus den neunziger Jahren und hat schon viele artverwandte Instanzen und Clubs im Kiez überlebt, vom Knaack bis zum Magnet. Doch nun schien vor kurzem auch das „Tomsky“ vor dem Aus zu stehen, weil der Mietvertrag nicht verlängert werden sollte: Hausbewohner*innen hatten sich über die Rückkehr des Kneipenlärms nach der pandemiebedingten Schließung beschwert – während der Lockdowns sei es schließlich „so schön ruhig gewesen“ …

Einige sollen auch befürchtet haben, ihre Kinder könnten durch die Gerüche aus dem „Tomsky“ (Zigarettenrauch!) drogenabhängig werden. So jedenfalls hat es Kaltenmaier berichtet, der unter anderem mit einer Petition um den Erhalt seiner Bar gekämpft hat. Tatsächlich war die drohende Schließung auch von der überregionalen Presse aufgegriffen und als Modellfall für Gentrifizierung und die berüchtigten ‚Helikopter-Eltern‘ in Prenzlauer Berg gehandelt worden. Wobei Letztere die Darstellung dann durchaus wieder dementierten. Doch welche Version nun auch genau stimmen mag – am Ende zeigten sich die Hamburger Eigentümer*innen von der großen Unterstützung für das „Tomsky“ beeindruckt und entschieden, den Mietvertrag gleich um zehn Jahre zu verlängern.

 

My Hood my Castle?

Bei dem zweiten Musterbeispiel für Gentrifizierung, mit dem das Winsviertel in den letzten Jahren von sich reden gemacht hat, ist indes ein glückliches Ende nicht mehr zu erwarten: „Winstn“, so nennen sich die Wohntürme an der Ecke Marienburger Straße/Winsstraße, die die Tengelmann-Tochter „Trei Real Estate“ dort über einem – ebenfalls neu gebauten – Edeka-Markt errichtet hat. Insgesamt 187 Wohnungen sind so entstanden, deren Quadratmeterpreise bei der Eröffnung 2022 allerdings bei rund 24 bis 25 EUR Nettokaltmiete lagen.

Da kann „Trei Real Estate“ noch so vollmundig mit dem Slogan „My Hood my Castle“ werben – dass die „Winstn“-Bauten ein steingewordenes Sinnbild für den Wahnwitz (nicht nur) des Berliner Mietmarkts sind, lässt sich nicht übersehen. Ebenso wenig lässt sich aber auch zerreden, dass mit ihnen die Annahme ein weiteres Mal Lügen gestraft worden ist, die aktuelle Wohnungsnot ließe sich schlicht durch Neubauten lösen.

Umso ironischer ist es da, dass diese Bauten – wie das Winsviertel selbst – nach Thomas Wins benannt sind, einem Berliner Bürgermeister aus dem 15. Jahrhundert. Denn der beteiligte sich seinerzeit immerhin an einem Aufruhr gegen den Markgrafen Friedrich II. von Brandenburg, der den Berliner*innen eine protzige Residenz vor die Nase bzw. in die Klosterstraße setzen wollte. Nachdem die gräfliche Baustelle 1849 von der wütenden Bevölkerung geflutet worden war, verlor Wins sein Bürgermeisteramt. Die gräfliche Residenz wurde dagegen 1451 fertiggestellt und gilt Historiker*innen heute als Keimzelle des Berliner Stadtschlosses. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

 

Dies ist ein Text aus unserer Serie „Kiezgeschichten“. Hier gelangt ihr zu den bisher erschienenen Texten über das Mühlenviertel, den Humannkiez, das Skandinavische Viertel und das Blumenviertel.

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar