Punk

„Wir waren der Split im Getriebe des Systems“

von Julia Schmitz 9. September 2020

Als Teenager rebellierte Henryk Gericke als Punkrocker gegen den erstarrten Alltag in der DDR. Vierzig Jahre später hat er unter dem Titel „too much future“ eine Vinyl-Compilation herausgebracht, die diese Zeit aufleben lässt.


Sie trugen Namen wie Wutanfall, Betonromantik, Zerfall oder DDR Terrorstaat: Wer in der DDR eine Punkrockband gründete, gab damit ein eindeutiges politisches Statement ab. Anfang der 1980er Jahre erreichte die Szene, die trotz allem immer überschaubar blieb, ihren Höhepunkt und sorgte nicht nur für hochgezogene Augenbrauen der Bevölkerung, sondern auch für Repressionen und Verfolgungen durch Polizei und Stasi.

Henryk Gericke, in Prenzlauer Berg aufgewachsen, befand sich nur wenige Jahre mittendrin im Pulk dieser Freiheitsliebenden – doch die Ereignisse von damals beschäftigen ihn bis heute. Aus Erfahrungen und Erinnerungen von ihm und einigen Weggefährten entstanden deshalb 2005 unter dem Titel „too much future“ eine Ausstellung und ein Buch, 2007 folgte die gleichnamige Dokumentation. In diesem Jahr kommt das mehrteilige Projekt mit der Vinyl-Compilation zum Abschluss.

 

„Too much future“: Zu diesem Titel gehören mittlerweile Ausstellung, Buch, Dokumentation und jetzt auch ein Vinyl-Sampler. Wie bist du auf die Idee für diese Reihe gekommen?

Henryk Gericke: 2004 erschien das Buch von John Savage, England’s Dreaming, in der deutschen Übersetzung; es ging um die Geschichte des Punkrock in England und ich habe das damals verschlungen. Kurz darauf schrieb Jürgen Teipel Verschwende deine Jugend, das in Form eines Cut-up-Romans vom Punkrock in Westdeutschland handelt. Da wurde mir noch einmal klar, dass vom Punk in der DDR niemand weiß – also wirklich niemand. Mein Kollege Maik Reichenbach und ich waren uns sicher, dass die Geschichte es wert ist, erzählt zu werden. Und so haben wir angefangen.

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Was bedeutete es, in der DDR Punk zu sein?

Es war vermutlich noch mehr als in der Punkszene im Westen ein unglaublicher Akt der Selbstbefreiung! Das war eine Selbstermächtigung in einem Staat, der in jeder Beziehung die Macht über dich hatte. Im Grunde genommen lief das im Westen und Osten mit Punk am Anfang sehr ähnlich: Es waren ein paar Wenige, die gemeinsam auf- und ausgebrochen sind, um sich zu befreien. Aber das in einer Diktatur zu unternehmen, hatte natürlich eine ganz andere politische Brisanz, die wir damals gar nicht überschaut haben. Wir waren ja Kinder. Zu Beginn war es eine extrem bizarre Angelegenheit, weil die Bürger und die Polizei dachten, wir seien aus dem Westen. Die konnten das im Osten gar nicht verorten. Später setzte dann allmählich eine Kriminalisierung und massive Verfolgung durch den Staat ein.

 

Wann bist du mit dem Thema in Berührung gekommen?

Ziemlich früh! Ich hatte das Glück – oder Pech, wenn man so will – 13 Jahre alt zu sein, als das 1977 mit Punk in England richtig losging. Als es 1978 im Osten bekannt wurde, war ich also im besten Alter. Ich hab übrigens nicht über Westmedien davon gehört, sondern tatsächlich über eine DDR-Pionierzeitschrift; da war ein Foto drin und unter dem stand, das Punks Leute sind, die sich auf Konzerten gegenseitig umbringen und die Leichen in die Kanalisation werfen. Das habe ich zwar nicht angestrebt – aber es war so schrill, dass es mich sofort begeistert hat.

Punk

Henryk Gericke in seiner Zeit als Punk / Foto: Henryk Gericke

 

Hast du schnell Anschluss gefunden an andere Punks?

Nein, das war ein langer Prozess. Bei mir ging es 1979 richtig los, aber ich war noch ein totaler Einzelgänger und dementsprechend angreifbar. Wenn ich einen Punk in der U-Bahn getroffen habe, haben wir uns gegenseitig belauert und dann irgendwann angesprochen. Selbst 1980 war die Szene noch ganz klein. In Berlin gab es am Anfang vielleicht zwanzig oder dreißig Leute. Als es dann ungefähr 1983 zu einer Bewegung wurde, sofern man überhaupt von einer Bewegung reden kann, war die frühe Generation an Punks schon wieder verschwunden.

 

Du bist in Prenzlauer Berg aufgewachsen. Spielte der Stadtteil eine Rolle für die Punk-Szene?

Teilweise. Eigentlich hat sich aber viel mehr in Mitte abgespielt, zum Beispiel an den Wasserspielen am Fernsehturm oder in den Kneipen „Tutti Frutti“ und „Posthorn“. Im Haus der jungen Talente gab es eine Disko, wo man sich am Wochenende getroffen hat. Aber Mitte war extrem überwacht. Es war ja auch das touristische Zentrum, und da wollten sie uns raushaben.

 

Was ist dir aus dieser Zeit am stärksten in Erinnerung geblieben?

Es gab ja dreierlei Gewalt: Die Gewalt des Staates, die Gewalt des Bürgers und die Gewalt untereinander. Natürlich war die Punk-Szene auch eine Art Schlangengrube, in der Menschen ihre Macken ausgelebt haben. Am deutlichsten ist mir aber der Anfang im Gedächtnis geblieben: Wie wir zum Beispiel unsere Outfits selbst gebastelt haben, weil es nichts zu kaufen gab. Wir haben uns Krawatten angekokelt und Jackets zerfetzt. Die ersten Monate waren extrem intensiv, auch die Diskussionen mit Menschen, die uns „ins Gas“ gewünscht haben.

 

Gab es viele Auseinandersetzungen mit Polizei und Stasi?

Auf jeden Fall mit beiden. Ab 1984 aber vor allem auch mit der aufkommenden Skinhead-Bewegung. Da war ich allerdings schon raus, für mich war Punk eine Art Intensiv-Kurs von 1979-1983. Danach bin ich als Debütant in die Ostberliner-Literatenszene geraten. Ich hatte zwar noch mit der Musik, aber nicht mehr mit der Szene zu tun – denn die meisten meiner Leute waren entweder bei der Armee, im Knast oder im Westen.

 

Die Punks im Westen hatten den Slogan „No Future“, bei euch hieß es „Too much future“. Warum?

Das ist ein ganz bewusstes Spiel mit der Parole „No Future“ und sowas wie eine Gegendarstellung. Unser Problem war ja nicht die Perspektivlosigkeit in Bezug auf Arbeitsmöglichkeiten oder andere Zukunftsaussichten; wir hatten ja eine Aussicht, die über eine sehr weite Ebene reichte. Der Horizont dieser Ebene war die Rente und bis dahin konntest du schon sehen. Wenn man wie ich Buchbinder an der Maschine gelernt hatte und in der Industrie arbeitete, dann war klar, dass du dein Leben lang an dieser Maschine stehen wirst. Die Männer hatten eine Unterbrechung von anderthalb Jahren, wo sie zur Armee mussten – am besten sollten sie sich natürlich gleich für drei, noch besser für zehn oder gleich fünfundzwanzig Jahre verpflichten. Uns stand also ein extremes Maß an Langeweile bevor. Wenn man jung ist, empfindet man das als zweimal lebenslänglich! Es war eine meiner größten Ängste, an die ich mich erinnern kann: Die Welt nicht zu sehen, nichts aufregendes zu erleben und in diesem Kaff namens DDR zu versauern.

 

Mithilfe der Musik konntest du aus dieser Angst ausbrechen?

Die Musik die wir konsumiert haben, war natürlich Portfolio für den Exzess, den wir gelebt haben. In der DDR gab es ja keinen Exzess, außer vielleicht mit Alkohol auf den Betriebsfeiern. Für mich gehörte es als Punk dazu, auch Musik zu machen. Also habe ich eine Band gegründet – The Leistungsleichen –, die natürlich grottenschlecht war. Aber darum ging es auch nicht, sondern um die Performance und das Statement: Ich bin nicht nur Punk, ich bin Punkrocker!

 

Du hast erzählt, dass du eigentlich seit 1983 kein Punk mehr bist. Wie kommt es, dass du fast vierzig Jahre danach den Vinyl-Sampler rausbringst? Ist das Nostalgie oder Aufarbeitung?

Ich weiß nicht, ob man mir das glauben wird, aber: Nostalgie ist es wirklich nicht. Ich bin froh mit allem, was ich später gemacht habe, zum Beispiel die fünf Jahre Staatsgalerie Prenzlauer Berg. In das Projekt „too much future“ bin ich reingerutscht, weil mich mein Freund Pankow damals fragte, ob ich diese Ausstellung mitmachen möchte. Und da ich mich immer für Kunst interessiert habe und Punk auch immer eine Kunstform für mich gewesen ist, hab ich zugesagt. Wir haben damals auch Arbeiten von Künstlern ausgestellt, die schon zu Punkzeiten gemalt haben und es noch immer tun; uns war wichtig, dass wir nicht ’89 stehen bleiben. Durch das ganze Material der Ausstellung konnte ich auch Forschung an der eigenen Person betreiben. Ich wollte wissen: Wer waren wir damals eigentlich?

 

Wie habt ihr die Bands und Titel für die Compilation ausgewählt?

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Uns waren ein paar Dinge wichtig. Zum einen sollten die Stücke, so gut es geht, auch als Song funktionieren, das ist nämlich auch nicht immer selbstverständlich. Es gibt ein paar bewusste Ausnahmen, übrigens auch bei meiner eigenen Band The Leistungsleichen, die sind ein einziger Schreikrampf und eigentlich unhörbar. Auch wenn ich das mag, weil ich die ganze Energie und die Verzweiflung dieser Zeit raushöre. Wobei ich es nicht auf diese Verzweiflung reduzieren möchte, denn es hat auch großen Spaß gemacht, der Split im Getriebe dieses Systems zu sein. Unsere wichtigste Prämisse war aber, dass alle Bands auf der Compilation keine staatliche Spielerlaubnis gehabt haben dürfen, also illegal gewesen sein mussten. Die Bands mit der Erlaubnis hatten natürlich ganz andere Möglichkeiten, ihre Stücke aufzunehmen.

Wir haben mit The Leistungsleichen im Wohnzimmer meines Vaters geprobt, haben einen Mono-Rekorder in die Mitte gestellt und mitlaufen lassen. Feeling B zum Beispiel haben im Studio Platten für Amiga aufgenommen und haben dadurch einen ganz anderen Sound. Für die Anfänge des DDR-Punk spielten sie aber keine Rolle, es war eher so Fun-Punk und uns nicht heftig genug. Für die Compilation haben wir die Songs bewusst nicht aufgehübscht, wir haben nur, weil sie sehr unterschiedliche Qualität hatten, eine Tonangleichung vorgenommen. Alle Kratzer und Störgeräusche sind deshalb noch drin – aber die gehören auch einfach dazu.

 

„too much future. Punkrock GDR 1980-1989“ enthält 3 LPs und ein Booklet mit Anekdoten rund um die Punkszene der DDR und erscheint am 18. September. Die Release-Party, bei der die Bands L’Attentat, Planlos und Betonromantik noch einmal spielen werden, wurde aufgrund von Corona auf Herbst 2021 verschoben.

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