Leerstand

„Wir leben in eurer Kulisse!“

von Julia Schmitz 4. Oktober 2021

Regelmäßig werden drei unsanierte Häuser in der Schwedter Straße und der Kastanienallee für Dreharbeiten genutzt. Jetzt wenden sich die Mieter*innen mit einem offenen Brief an die Filmproduktionen.


„Unser Eingangsbereich sieht unmöglich aus. Unsere Mülleimer stehen seit Wochen auf offener Straße. Unser Hauseingang ist euer Raucherbereich, […] uns wird oft der Zugang zum Haus wegen aktuellen Dreharbeiten nicht gewährt, der Strom wird ohne Ankündigung abgestellt. Wandteile lösen sich durch eure Aktivitäten und unsere Fahrräder werden ohne unsere Erlaubnis weggestellt.“
___STEADY_PAYWALL___

Es sind zahlreiche Vorwürfe, die Bewohner*innen in der Schwedter Straße – im Abschnitt zwischen Choriner Straße und Kastanienallee – in einem offenen Brief an die Filmproduktionen erheben. Dieser hängt seit an paar Tagen an Hauswänden und Eingangstüren im Kiez, um deutlich zu machen: Die Mieter*innen haben die Nase voll. Seit mehreren Wochen finden nach ihren Angaben nach in ihren Häusern Dreharbeiten statt, die Wohnungen und der Hinterhof wurden zu Kulissen umfunktioniert. Es sei mindestens die zwölfte Großproduktion, die in den letzten Jahren in dem Gebäudeensemble stattgefunden habe.

„Teilweise wird im Hinterhof bis tief in die Nacht bei Flutlicht gedreht“, erzählt uns eine Bewohnerin. Immer lägen Kabel im Weg. Kürzlich sei sogar das Licht im Flur zugebaut worden, so dass sie im Dunkeln zu ihrer Wohnung laufen müsse. Ein anderes Mal habe das Licht ununterbrochen gebrannt, bis die Elektrik so überhitzt gewesen sei, dass es fast zu einem Kabelbrand gekommen sei. „Und wer bezahlt eigentlich den Strom, den die Filmproduktionen für ihre Dreharbeiten brauchen? Vermutlich wir Mieter“, sagt sie.

Doch hinter dem offenen Brief steckt nicht nur die Wut über das Verhalten der Filmproduktionen, sondern vor allem die Angst vor der schleichenden Entmietung: „Einige von uns wohnen seit fast 20 Jahren hier, jede Mietpartei hat auf eigene Kosten die jeweilige Wohnung saniert. […] Die Hausverwaltung tätigt seit 15 Jahren keinerlei Investitionen mehr. […] Durch eure Anmietung erhalten Eigentümer/Hausverwaltung Mittel und Werkzeuge uns weiter zu gängeln und auf Dauer aus den Wohnungen zu drängen. Schaut euch mal um: von den 26 Wohneinheiten eurer Kulisse sind nur noch 11 bewohnt. Der Rest steht dauerhaft leer – bereit für euch“, heißt es in dem Brief.

Leerstand

36 Wohnungen stehen in der Schwedter Straße und der Kastanienallee leer – teilweise seit Jahren / Foto: Julia Schmitz

 

Häuser sollen abgerissen werden

Leerstehende Wohnungen für Dreharbeiten zu vermieten, ist nicht per se verboten. Seit das Gesetz für Zweckentfremdung in Berlin eingeführt wurde, muss jedoch vorübergehender oder langfristiger Leerstand durch das Bezirksamt genehmigt werden – eigentlich. Im Falle der Häuser in der Kastanienallee 67, 68 und 69 sowie in der Schwedter Straße 247 und 248 ist die Sache komplizierter: Der Eigentümer plant nämlich den Abriss der Gebäude, der ihm Ende 2019 vom zuständigen Bezirksamt in Mitte auch genehmigt wurde.

Weil dann aber keine Genehmigung für einen Neubau erteilt wurde, ist auch die Abrissgenehmigung seit Sommer 2020 hinfällig – ebenso die für den Leerstand. Der Eigentümer hat Klage dagegen eingereicht, der Prozess läuft noch. Könnten die insgesamt 36 Wohnungen in der Zwischenzeit nicht vermietet werden? Dafür gebe es keine rechtliche Grundlage, antwortete das Bezirksamt Ende Mai auf eine Anfrage der FraktionBündnis 90/Die Grünen in Mitte: „Aktuell befinden wir uns noch in einem laufenden Verwaltungsverfahren.“ Weil das Gebiet am südlichen Ende der Kastanienallee nicht als Milieuschutzgebiet ausgewiesen ist, kann der Bezirk außerdem keinen Gebrauch vom Vorkaufsrecht machen.

 

Leerstand im Skandinavischen Viertel

Aber nicht nur im Nachbarbezirk wird immer wieder über Leerstand diskutiert: Erst kürzlich berichtete die taz über etliche Wohnungen im Skandinavischen Viertel in Prenzlauer Berg, die zum Konzern Deutsche Wohnen gehören und teilweise seit Jahren unbewohnt sind. Eigentlich besagt das Zweckentfremdungsgesetz, dass Wohnungen maximal drei Monate leer stehen dürfen, ein Verstoß dagegen kann mit bis zu 500.000 Euro Bußgeld bestraft werden.

Doch eine Anfrage des Pankower Bezirksverordneten Frederik Bordfeld (Linke) ergab: 50 Wohnungen in Ibsenstraße, Bergener Straße, Nordkapstraße, Aalesunder und Stavanger Straße werden derzeit nicht genutzt – für 43 davon ist die Genehmigungsfrist für Leerstand teilweise seit drei Jahren abgelaufen. Anträge für Baugenehmigungen oder Modernisierungen wurden in dieser Zeit nicht beantragt. Auch aus der Schönhauser Allee 69 und der Raumer Straße 33 melden Anwohner*innen Wohnungen, die nicht genutzt werden – in der Schönhauser Allee 132 wird hingegen nach Jahren nun saniert.

Weil die Mieter*innen in der Schwedter Straße laut eigener Aussage „keine Handhabe gegen die Hausverwaltung“ haben, appellieren sie nun an die Vernunft der Filmproduktion. Und weisen darauf hin, dass die Situation nicht einer gewissen Ironie entbehrt: „Das Perfide an diesem gesamten Unterfangen ist, dass euer Film genau den Umstand kritisch beleuchten soll, dem ihr uns in eurer Rücksichtslosigkeit aussetzt. Nämlich die vorbehaltlose Kapitalisierung von Wohneigentum zu Renditezwecken.“

Das Verständnis scheint aber nicht groß zu sein, empört sich ein Anwohner aus der Choriner Straße: „Was ich persönlich am meisten verachte ist, dass die Filmleute ALLE Zettel von den Hausaufgängen entfernt haben und diese dann vor einem Transporter in der Chorinerstr einfach in den Dreck geworfen haben…“

 

Titelbild: Hausflur in der Schwedter Straße / Foto: Julia Schmitz

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar