Diktatur

Die Diktatur riechen

von Christina Heuschen 28. Mai 2021

Zwei Frauen, zwei Generationen, zwei verschiedene Länder: Dima Al-Bitar Kalaji und Annett Gröschner haben vollkommen verschiedene Leben in Syrien und in der DDR geführt. Und dennoch haben sie eines gemeinsam: Sie wissen, was es bedeutet in einer Diktatur zu leben.


Das Gebäude ist groß und grau. Ein riesiger Gebäudekomplex in Lichtenberg. 40 Jahre lang war es die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in der DDR. Für Dima Al-Bitar Kalaji sieht es aus wie das Gebäude der Geheimpolizei in Damaskus. Auch als sie das erste Mal in eines der Zimmer im heutigen Stasi-Museum reingeht, fühlt sie sich, als ob sie in einem Büro der syrischen Geheimpolizei ist. Die Möbel, ihr Geruch und die Dinge, die dort stehen. Alles erinnert sie an früher.

___STEADY_PAYWALL___

„Ich hatte das Gefühl, dass sogar das Licht, das durch die Vorhänge vor dem Fenster kam, dasselbe war. Es war wirklich unangenehm und ein komisches Gefühl“, sagt sie. Dann macht sie eine lange Pause. „Ich hatte wirklich das Gefühl, dass ich raus muss.“ Als sie dann endlich draußen war, saß sie mit Annett Gröschner zusammen. Die beiden tranken einen Kaffee und dachten über ihren gemeinsamen Besuch im heutigen Stasi-Museum nach. Eine Zeit lang hätten sie nur ruhig da gesessen, in Gedanken vertieft. „Wir fühlten uns beide, als wären wir wieder dort gewesen. Es war, als wäre etwas in uns aktiviert worden und es brauchte einige Zeit, damit wir es realisieren, verarbeiten und erkennen“, sagt Kalaji.

 

Gerüche, die Erinnerungen auslösen

Das war 2018. Da war Dima Al-Bitar Kalaji bereits fünf Jahre in Deutschland. Es kam ihr vor, als ob sie in Damaskus ist. Mitten in Berlin. Annett Gröschner sagt, dass es ihr ähnlich gegangen sei. Der Geruch im Stasi-Museum habe sie an damals erinnert. Ein Geruch nach Desinfektionsmittel, sagt sie. Manchmal braucht es nur Kleinigkeiten: ein Gegenstand, ein Geruch, ein Lichteinfall. Und schon befinden sich die beiden Frauen weit weg. An einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit.

Dima Al-Bitar Kalaji wurde 1982 geboren. Anne Gröschner 1964. Die eine in Damaskus in Syrien. Die andere in Magdeburg in der DDR. Unterschiedlichere Leben könnten die beiden Frauen nicht geführt haben. Und dennoch haben beide erlebt, was es bedeutet in einer Diktatur zu leben. Die eine unter dem Assad-Regime. Die andere in der SED-Diktatur.

Kalaji studierte Angewandte Kunst und Journalismus in Damaskus. Nach dem Beginn der Revolution im Jahr 2011 gründete sie schließlich den Radiosender Souriali. Eine alternative Medienplattform, die mit zu den medialen Aushängeschildern gehörte. Doch dann musste die Kulturjournalistin flüchten. Ende 2013 kam sie nach Deutschland. Hier produzierte sie unter anderem die Sendung „Syrmania“ in Kooperation mit dem Deutschlandfunk Kultur. Seitdem arbeitet sie als freie Journalistin und lebt in Prenzlauer Berg.

Diktatur

links: Dima Al-Bitar Kalaji (Foto: Juliette Moarbes), rechts: Annett Gröschner (Foto: Susanne Schleyer)

 

Gröschner hingegen hat in Magdeburg ihr Abitur gemacht und dann ein Jahr am Theater gearbeitet, weil sie keinen Studienplatz bekommen hatte. 1983 sei sie dann mit meinem Freund nach Berlin gegangen. Magdeburg sei sehr restriktiv gewesen, sagt sie. In Berlin besetzten die beiden eine Wohnung in der Schönhauser Allee im Hinterhof. Seitdem wohnt die Schriftstellerin und Kulturjournalistin im Prenzlauer Berg.

Sie studierte schließlich Germanistik, schrieb zahlreiche, teilweise preisgekrönte Bücher. Unmittelbar nach dem Fall der Mauer habe sie angefangen, in Archiven zu recherchieren, erzählt sie. Sie versuchte alles über die DDR rauszubekommen, was möglich war. Auch als sie für das Prenzlauer Berg Museum, dem heutigen Museum Pankow, arbeitete, habe sie ein Projekt dazu gemacht: die Geschichte der Gleimstraße oder die Geschichte des Kriegsendes und dem Einmarsch der Roten Armee in den Prenzlauer Berg. Bis heute sitzt sie an solchen Rechercheprojekten. Es gebe immer noch Sachen, die ich noch immer nicht aufgearbeitet seien, sagt sie.

Kennengelernt haben die beiden sich durch „Wir machen das“. Seit 2018 arbeitet Kalaji dort als Redakteurin. Gröschner gehört zu dem Netzwerk von 100 Frauen aus Kunst, Kultur, Wissenschaft und Journalismus, die „Wir machen das“ initiiert haben. Gemeinsam trafen sie sich für das Projekt „Mapping Berlin“. Sie besuchten Berliner Orte, die an Syrien erinnern. Darunter war auch das Stasi-Museum.

 

„Geruch der Diktatur“

Nicht nur der Geruch und die Büromöbel in einem ehemaligen Stasi-Büro ähnelten denen in Damaskus. Auch die ausgestellten Pionierhalstücher gab es in ähnlicher Form in Syrien. Die Angst in eine Behörde vorgeladen zu werden. Pässe. Es gab immer mehr Ähnlichkeiten. Ähnlichkeiten, die sie fühlen, sehen, riechen konnten.

„Das ist eine seltsame Nähe, aber gleichzeitig auch dieses sich wieder erinnern an Zeiten, die eher erstmal vorbei sind“, versucht Gröschner das Gefühl zu erklären. „Wir haben plötzlich gemerkt, vieles von dem, was wir denken, was wir fühlen, was uns Angst macht, ist ähnlich“, ergänzt Kalaji.

Wenn die beiden darüber reden, klingt es manchmal so, als ob sie den Gedanken der anderen beenden. Tatsächlich tauchte ihr Erlebnis später in ihren jeweiligen Texten zum Mapping-Projekt auf. Sie begannen, sich darüber zu unterhalten. Je länger sie sich unterhielten, desto mehr Verbindungen fanden sie. Ihre Beobachtungen und Gefühle wollen die beiden nun in einem Projekt festhalten: in Geruch der Diktatur.

Dafür recherchieren die beiden in Archiven und führen Gespräche mit Zeitzeug*innen, die in beiden Systemen gelebt haben. Sie suchen nach Verbindungen zwischen Syrien und der DDR: Verflechtungen der politischen Systeme, Studierende, Diplomat*innen. Und sie suchen nach gemeinsamen Spuren aus den Diktaturen. In Gegenständen, Erlebnissen oder sogar Träumen.

 

Diktaturträume

Gröschner schreibt ihre Träume seit ihrem 16. Lebensjahr auf. Auch ihre Diktaturträume, wie sie die Albträume nennt. So weiß Gröschner auch noch genau, was sie am 12. Juli 1985 geträumt hat. „Die Universität hatte beschlossen, um die Studenten in Schach zu halten, einmal im Jahr eine Studentin oder einen Studenten aufzuhängen. Das Opfer sollte verlost werden. (…) Viele hatten sich für den Anlass schön gemacht, besonders Kirsten Kaiser. Auf sie fiel das Los. Ich sehe noch ihr Gesicht, wie sie das Los herauszog, aufrollte und plötzlich alles an ihr erstarrte. Sie mußte auf eine Bühne und stand dort fassungslos, ohne einen Ton zu sagen“, schreibt sie damals.

Auch Kalaji fehlt in ihren Träumen ihre Stimme. Sie erinnert sich, dass sie in einem ihrer Träume versucht zu sprechen. Immer wieder. „Aber es fühlt sich so an, als ob die Luft meine Stimme nicht mehr halten kann. Jedes Wort fällt auf den Boden“, versucht sie das Gefühl zu beschreiben. „Das ist eine der Formen, wie du realisierst, dass du dich nicht ausdrücken kannst und du keine Stimme in einer Diktatur hast.“

 

Erinnerungen sind wichtig

Heute nutzen beide ihre Stimme. In Podcasts, in Artikeln, in Büchern halten sie für die kommenden Generationen fest, was es bedeutet, in einer Diktatur zu leben. Die Ergebnisse ihres neuen Projektes wollen sie online veröffentlichen. Gröschner sagt, dass das eine ambivalente Sache sei. „Einerseits will man, wenn man eine Diktatur überwunden hat, auch nichts mehr damit zu tun haben.“ Andererseits sei es für die Erinnerung wichtig.

Kalaji stimmt dem zu. Auf die Frage, ob sie in Prenzlauer Berg etwas an ihr Leben unter dem Assad-Regime erinnere, antwortet sie eine Zeit lang nicht. Sie sagt, dass sie hier keine Verbindung zur Diktatur findet. Und das sei gut. Der Prenzlauer Berg und ihre Wohnung seien die ersten Orte in der Stadt, in denen sie sich ein wenig zu Hause fühlt.

 

Titelbild: Christina Heuschen

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar