Kramberger

Von Misteln und Thymian

von Katharina Angus 30. November 2021

Von Prenzlauer Berg auf einen slowenischen Bauernhof: In ihrem neuen Roman „Verfluchte Misteln“ erzählt Nataša Kramberger von den Herausforderungen einer jungen Landwirtin. Wir haben die „famose Frau“ auf einen Kaffee getroffen.


Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Famose Frauen aus Prenzlauer Berg“


Ich erkenne Nataša Kramberger an ihrem Jutebeutel, der das Logo des Verbrecher Verlags zeigt – dort ist kürzlich ihr neuer Roman Verfluchte Misteln erschienen. Wir treffen uns vor einem Café in der Kastanienallee, einem Kiez, der ihr aus ihrer Anfangszeit in der Stadt gut bekannt ist. 2004 kam die gebürtige Slowenin zufällig nach Berlin und stellte fest, dass die Wohnungen hier günstiger waren als in Ljubljana. „Damals konnte man auch noch gut vom freiberuflichen Journalismus leben“, erzählt sie. Für eine Tageszeitung in Maribor verfasste sie Artikel als Deutschland-Korrespondentin. Es folgten ihr Debütroman Nebesa v robidah im Jahr 2007, für den sie den Preis der Europäischen Union für Literatur erhielt, sowie zahlreiche Essays. In Berlin gründete sie gemeinsam mit anderen Slowen*innen den Kulturverein Periskop e.V., der unter anderem ein jährliches Filmfestival organisiert.

Ihre ersten Berliner Jahre verbrachte Kramberger im Kollwitzkiez in Prenzlauer Berg, denkt gerne an die Späti-Kultur und die improvisierten Kneipen zurück. Heute pendelt sie zwischen Berlin und ihrem slowenischen Heimatdorf, wo sie vor einigen Jahren den Bauernhof ihrer Mutter übernommen hat. Von dieser Geschichte, ihrer neuen Tätigkeit als junge Landwirtin und den Herausforderungen die damit verbunden sind, erzählt ihr Roman Verfluchte Misteln, der im Oktober dieses Jahres in deutscher Übersetzung erschienen ist. „Es ist ein sehr persönliches Buch“, sagt Kramberger. Die Erzählweise folgt keiner linearen Struktur, was die Autorin mit der Erzählkultur ihrer Kindheit verbindet. „In meiner Familie nahmen Geschichten einen wichtigen Platz ein. Dabei spielten assoziative Verknüpfungen eine wichtigere Rolle als glatte Strukturen.“

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Mühsame Ernte

Für die Autorin geht es sowohl in der Landwirtschaft als auch beim Schreiben um den Umgang mit Kontrolle. „Beim Schreiben versucht man meistens, alles zu kontrollieren. Dabei entstehen die besten Passagen oftmals in Momenten des intuitiven Arbeitens. In der Landwirtschaft lassen sich die meisten Faktoren, zum Beispiel das Wetter, nicht einkalkulieren. Da lernt man, Kontrolle abzugeben.“ Auf beiden Tätigkeitsfeldern gedeihen Selbstzweifel, betont sie. Aber am Ende einen Apfel oder ein Buch in den Händen zu halten, sei die Belohnung, weitergemacht zu haben. Schreiben und körperliche Arbeit in der Natur ergänzen sich für Kramberger perfekt. „Auf dem Feld kann ich nachdenken“, sagt sie.

An der Übertragung des Buches ins Deutsche hat die Autorin gemeinsam mit ihrer Übersetzerin, Liza Linde, gearbeitet. Besonders schwierig waren hierbei Auszüge, in denen Volkslieder und Kinderreime vorkommen, die sich nicht einfach verändern lassen. Für die Autorin lässt sich an ihnen ablesen, in welchem Teil Sloweniens die Geschichte spielt. Übersetzungen, so Kramberger, stellen die Beteiligten oft vor die Entscheidung zwischen Klang und Bedeutung. Was am Ende entsteht, sei ein im Grunde neu geschriebener Text.


Das Leben der Bäume

Ein Teil des Romans spielt in Berlin und handelt vom Protest gegen den Neubau des Suhrkamp Verlags am Rosa-Luxemburg-Platz, für den auf dem Grundstück Bäume gefällt werden mussten. Kramberger beteiligte sich an der Bürgerinitiative, die sich für den Erhalt der Grünfläche einsetzte. Zum einen, so Kramberger, sei ihr im Laufe der landwirtschaftlichen Arbeit bewusst geworden, was für ein schwieriger und langwieriger Prozess das Wachstum eines Baumes sei. Wenn dieser dann leichtfertig beseitigt werde, sei das schwer nachzuvollziehen. Zum anderen hatte der Protest auch einen sozialkritischen Aspekt. „Auf der Grünfläche hielten sich viele Menschen auf, die keinen anderen Platz für sich gefunden hatten. Mit dem Verschwinden der Anlage verloren auch sie einen Bezugspunkt im Alltag. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, warum soziale Gerechtigkeit und Ökologie zusammen gedacht werden sollten“, ist sie überzeugt.

Für Ökologie hatte sie sich immer schon begeistert, erntete aber vor allem Skepsis, als sie sich entschloss, als Landwirtin tätig zu werden. „Im Roman gibt es einige Stellen, die ich beim Schreiben sehr witzig fand; beispielsweise, wenn alte Männer des Dorfes sich um die junge Bäuerin scharen und erklären, was sie alles falsch macht. Als ich die Stelle später wieder las, wurde mir bewusst, dass es überhaupt nicht lustig ist, sondern von einem gesellschaftlichen Problem berichtet.“


Zurück zu den Wurzeln

Die neue Faszination für das Landleben, das sich auch in der deutschen zeitgenössischen Literatur widerspiegelt, erklärt sich Kramberger nicht nur damit, dass wir in Zeiten leben, die immer abstrakter werden und die Menschen sich nach Konkretem sehnen. Es hat ihrer Meinung nach auch mit unserer Geschichte zu tun: „Die Urgroßeltern der meisten Europäer waren Bauern“, stellt sie fest. Ganz auf das Landleben zurückziehen möchte sich die Autorin aber nicht. Früher habe sie sich unter Druck gesetzt gefühlt, eine Entscheidung zu treffen, wo sie sich endgültig niederlassen wolle. Heute pflegt sie ihr freiwilliges Nomadentum, wie sie es augenzwinkernd nennt.

Als Kind weigerte sich die Autorin, den Kindergarten zu besuchen. Bei ihren Großeltern aufwachsend, lernte sie die Gesetzmäßigkeiten des bäuerlichen Lebens kennen. Viele davon vergaß sie später – und entdeckt sie nun erneut. „Meine Großmutter“, sagt sie, „achtet automatisch auf bestimmte Planetenkonstellationen im Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Prozessen. Meine Generation muss sich dieses Wissen erst wieder aneignen und überzieht teilweise pragmatische Herangehensweisen mit einem esoterischen Schleier, der gar nicht notwendig wäre.“ Unter anderem beschäftigt sich Nataša Kramberger mit Naturheilkunde. Zu unserem Treffen hat sie mir eine Thymiantinktur aus eigener Herstellung mitgebracht. Thymian wirkt besonders gegen Atemwegserkrankungen und Husten – genau das Richtige also für diesen Winter.

Titelbild:  Katharina Angus

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