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Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben 

von Mona Linke 30. März 2020

Bleiben die Einkünfte aufgrund der Corona-Beschränkungen aus, wird bald auch das Geld für die Miete knapp. Mieter*innen dürfen nach einem neuen Gesetz deswegen ihre Schulden jetzt stunden. Doch wie sinnvoll ist das?


Wer zwei Monate seine Miete nicht zahlt, dem droht normalerweise die fristlose Kündigung. Nicht so in Corona-Zeiten. Denn um aus der Pandemie-Krise keine „Krise der Wohnungslosen” werden zu lassen, hat das Bundeskabinett jetzt einen neuen Gesetzesentwurf zum Schutz von Mieter*innen auf den Weg gebracht. Wer zwischen Anfang April und Ende Juni aufgrund der Pandemie seine Wohnung nicht mehr bezahlen kann, darf von seinem Vermieter nicht auf die Straße gesetzt werden, so eine der zentralen Regelungen. 

Auf einen solchen Schutzschirm für Mieter*innen hat sich inzwischen auch der Berliner Senat geeinigt. Bei den landeseigenen Wohnungsbauunternehmen habe man auf einen „kulanten Umgang” mit privaten und Gewerbemieter*innen hingewirkt, heißt es aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Und tatsächlich: „Niemand muss sich wegen des Coronavirus Sorgen um seine Wohnung machen”, versichert zum Beispiel die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gesobau. 

Auch solle niemand mehr um seine Wohnung bangen müssen, wenn er die Kosten für Gas, Strom und Telefon nicht mehr bezahlen kann, so die Beschlüsse auf Bundes- und Senatsebene. Voraussetzung: Der Zusammenhang zwischen Covid-19 und der Nichtleistung ist nachweisbar. 

 

Mietschulden müssen später beglichen werden 

Das klingt soweit erst einmal nach einer tollen Sache. Tatsächlich aber haben die staatlichen Hilfeleistungen einen Haken: Die Kosten für Miete und Energie werden keineswegs aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Die Verpflichtung der Mieter*innen zur Zahlung bleibt im Grundgesetz bestehen. Bis spätestens Juli 2022 müssen Mieter*innen ihre angehäuften Mietschulden zurückgezahlt haben – dann endet auch der Kündigungsschutz und sie können gegebenenfalls doch auf die Straße gesetzt werden.

Und weil die Mieten weiter regulär fällig bleiben, kommen die Mieter*innen in Verzug. Der Vermieter ist also berechtigt, Verzugszinsen zu verlangen. „Diese belaufen sich derzeit auf vier Prozent”, teilt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz auf seiner Website mit. Mietminderungen oder gar das Aussetzen von Mietzahlungen stehen dagegen nicht zur Debatte. Denn laut Gesetzbuch darf eine Miete nur gemindert werden, wenn ein Mietmangel vorliegt. Und einen solchen stellt die Covid-19-Krise nicht dar. 

Stattdessen setzen die landeseigenen Wohnungsunternehmen auf „individuelle” Lösungen – und dabei vor allem auf Ratenzahlungen und Stundungen der Mietschulden. Auch verweisen alle Unternehmen auf die schon vorhandenen staatlichen Hilfen wie das Wohngeld: Auf den Zuschuss zur Miete haben Bürger*innen mit einem geringen Einkommen schon seit jeher Anspruch. 

 

Pankow fordert Mietminderungen 

Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) geht der Gesetzesentwurf nicht weit genug: Er sieht auch die Immobilienwirtschaft in der Verantwortung, die Mieter*innen zu unterstützen. „Außerdem müssen jetzt sofort Mietminderungen für alle gewährt werden, die krisenbedingt Einnahmeausfälle haben”, so Benn in einer Pressemitteilung des Bezirks von Freitag. Mietschulden, die sich jetzt aufgrund der Krise anhäufen, sollten von den Immobilienunternehmen getragen werden.

Auf Stundungen und Ratenzahlungen setzen allerdings auch die meisten privaten Wohnungskonzerne. Das schwedische Immobilienunternehmen Akelius zum Beispiel steht nach eigenen Angaben aktuell mit 20 Berliner Mieter*innen in Verbindung, die Zahlungsschwierigkeiten angemeldet haben. Die Mehrzahl stamme aus Friedrichshain-Kreuzberg, so ein Pressesprecher. Vier Anfragen kamen bislang aus Pankow, davon drei aus Prenzlauer Berg (Stand: 24. März). 

Neben Zwangsräumungen würden auch Mieterhöhungen für die Zeit der Corona-Krise ausgesetzt. Ansonsten gilt auch hier das Credo: Entscheidend ist der Einzelfall. Lösungen werden individuell mit den Mieter*innen vereinbart. 

Der Immobilien-Riese Deutsche Wohnen dagegen geht tatsächlich noch einen Schritt weiter und kündigt an, Mieter*innen auch direkt „und unbürokratisch” unter die Arme greifen zu wollen – und gegebenenfalls sogar auf Mietforderungen zu verzichten, sollte keine staatliche Hilfe greifen. 30 Mio. Euro stellt das börsennotierte Unternehmen dafür zur Verfügung. Finanzieren sollen den Mega-Hilfsfonds die Aktionäre, indem sie eine reduzierte Dividende auf ihre Anteile akzeptieren. Demnächst wollte man der Hauptversammlung die Idee unterbreiten. „Wir gehen davon aus, dass unsere Aktionäre unserem Vorschlag zustimmen und ein starkes Signal der Unterstützung senden”, so der Deutsche-Wohnen-Chef Michael Zahn. „Wir sind fest davon überzeugt, dass wir in Krisenzeiten Solidarität zeigen müssen”. 

 

Immobilienbesitzer blicken in düstere Zukunft 

Eine Solidarität, die nicht von ungefähr kommt. Denn dass sich Deutsche Wohnen und Co. dieser Tage so für ihre privaten, vor allem aber für ihre gewerblichen Mieter*innen ins Zeug legen, hat keinesfalls nur mit Nächstenliebe zu tun – sondern mit knallharten wirtschaftlichen Interessen. Insbesondere die Existenzkrise von Gewerbemietern könnte dem Konzern langfristig zu schaffen machen, sollten diese schlagartig in großer Zahl als Kunden wegfallen. Überhaupt wird befürchtet, dass etliche kleine und mittelständische Firmen durch die Corona-Krise von der Bildfläche verschwinden werden. Der Andrang auf Büros, Lagerhallen und Restaurants dürfte dann deutlich nachlassen. Die Folge: Leerstand, Überangebot, sinkende Preise. 

Nun ist bei Weitem nicht jeder Immobilienbesitzer in der Lage, mal eben einen Millionen-Fonds für seine Mieter*innen einzurichten. Schon gar nicht private Kleinvermieter, die nun ihrerseits um die Existenz bangen. Schließlich wollen Darlehen und Zinszahlungen von Wohnungskäufen ebenfalls abbezahlt werden. 

Haus-und-Grund-Präsident fordert direkte Hilfen 

Kai Warnecke, Präsident des Eigentümerverbands Haus und Grund, fürchtet gar den finanziellen Ruin Tausender Kleinvermieter, die durch das Mietenmoratorium in Zahlungsschwierigkeiten kommen könnten. 

Tatsächlich sieht der Gesetzesentwurf der Regierung an einer Stelle Entlastungen für Vermieter vor: Auch sie können ihre Kreditzahlungen aufschieben. Allerdings gilt das nur für Vermieter, die nicht als Unternehmer tätig sind, sprich: kein Büro oder Mitarbeiter für die Vermietung und Verwaltung unterhalten.

Dem Eigentümerverband geht all das nicht weit genug. Bevor Mietschulden monatelang aufgeschoben werden, fordert Warnecke die Einrichtung eines Wohn- und Mietenfonds, aus dem die Schulden beglichen werden. Nur so könnten langfristige Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt vermieden werden, kommentiert er auf der Website von Haus & Grund. Sören Benn hat er damit auf seiner Seite. 

Denn der Bezirksbürgermeister fordert zwar, die Immobilienwirtschaft solle den entstanden Schaden tragen. Sollten  Vermieter aber nachweislich durch fehlende Mieteinnahmen nicht dazu in der Lage sein, sollten auch sie aus dem Hilfsfonds schöpfen können, so Benns Wunsch. 

 

Foto: Mona Linke

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