„Die Vermieter fühlen sich wie Kriminelle behandelt“

von Sarah Schaefer 11. Dezember 2019

Nizana Brautmann ist Immobiliengutachterin und lebt seit 20 Jahren in Prenzlauer Berg. Ein Gespräch über den Mietendeckel, die deutsche Mentalität beim Wohnungskauf und den Neubau in Berlin.


Schon jetzt verliere Berlin zahlreiche Mietwohnungen, weil Vermieter*innen und Investor*innen den Mietendeckel fürchten, sagt Immobiliengutachterin und Maklerin Nizana Brautmann: In der Branche sorge das geplante Gesetz für große Unruhe.

Nizana Brautmann stammt aus Frankfurt (Main) und ist teilweise in Israel aufgewachsen. Im Jahr 2000 kam sie nach Berlin und wohnt seitdem in Prenzlauer Berg, ihre erste Wohnung hatte noch einen Kohleofen. Sie hat als Prokuristin bei verschiedenen Immobilienfirmen gearbeitet, bis sie 2016 ihr eigenes Unternehmen gegründet hat. Mit ihrem Team betreut sie Menschen, die Immobilien verkaufen oder kaufen wollen. Die Käufer*innen stammen meist aus dem Ausland und sind laut Brautmann „Kleinanleger, für die Berlin noch günstig ist“.

Brautmann ist selbst Vermieterin, mit uns wollte sie aber aus ihrer beruflichen Perspektive über den Mietendeckel sprechen.

 

Wie nehmen Sie die Stimmung der Vermieter*innen wahr, seitdem die rot-rot-grüne Koalition angekündigt hat, den Mietendeckel einzuführen?

Ich beobachte bei den Vermietern, dass sie das Gefühl haben, wie Kriminelle behandelt zu werden, dass sie zu einem Feindbild geworden sind. Aber bei den meisten Menschen, mit denen ich zu tun habe, handelt es sich um Kleinvermieter, die über die Mieteinnahmen ihre Rente sichern wollen. Ein Großteil von ihnen hat diesen Wohnungskauf finanziert. Und nun sind sie in der Situation, dass sie ihre Darlehen nicht mehr tilgen können, wenn die Mieten auf das Niveau von 2013 zurückgeschraubt werden, weil die Banken die Darlehen nach der bisherigen Mietpreisentwicklung berechnet haben.

 

Wie reagieren die Vermieter*innen darauf?

Viele Vermieter, die eine momentan unvermietete Wohnung haben, lassen diese Wohnung leer stehen und warten erst mal ab. Das erscheint ihnen derzeit sicherer, als die Wohnung jetzt neu zu vermieten – auch, weil sie Angst haben, von ihren Mietern verklagt zu werden. Ich erlebe außerdem oft, dass gerade Kleinvermieter nicht länger vermieten wollen und ihre Wohnung abstoßen, wenn die Mieter ausziehen oder der Mietvertrag ausläuft. Diese Wohnungen standen bislang dem Mietmarkt zur Verfügung, nun werden sie meist an Eigennutzer verkauft. Eigennutzer sind in Berlin in der Regel immer noch Fremdinvestoren, also Menschen, die aus Ländern kommen, in denen es normal ist, sich Eigentum zu kaufen.

 

Das heißt, immer weniger Berliner*innen wohnen in den Wohnungen?

Ich würde vermuten, an die 90 Prozent der Käufer von unvermieteten Wohnungen zum Eigennutz in Berlin sind keine Ur-Berliner. Hierzulande fehlt ein wenig das wirtschaftliche Verständnis – und die Mieten waren so lange so niedrig, dass man sich um dieses Thema keine Gedanken gemacht hat. Für jemanden, der zum Beispiel aus Italien oder aus Israel kommt, ist ganz klar: Anstatt in die Miete zu investieren, nehme ich ein Darlehen auf. Deutsche machen das seltener. Ich konnte praktisch dabei zusehen, wie man den Berlinern Berlin unterm Arsch weggekauft hat, wenn ich das mal so formulieren darf.

 

Sie meinen: Hätten die Berliner*innen vor 15 Jahren angefangen, sich die Wohnungen zu kaufen, in denen sie lebten, dann hätten wir das Problem nicht?

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Wer es sich leisten kann, sollte den Mut haben, sich etwas zu kaufen – das würde ich den Menschen wünschen, und in diese Richtung berate ich auch. Aber das ist natürlich nur ein Teil des Puzzles. Die Mieter hätten schon viel früher besser geschützt werden müssen. Meiner Meinung nach dürfte es grundsätzlich nicht möglich sein, in vermieteten Wohnungen Eigenbedarf anzumelden. Das ist für mich der direkte Weg zur Gentrifizierung. Wir sehen ja in Prenzlauer Berg, dass die Durchmischung nicht mehr besteht, dass es beispielsweise kaum noch alte Leute hier gibt. Deswegen ist es wichtig, dass die Politik hier echte Lösungen schafft, und nicht nur Scheinlösungen wie den Mietendeckel, um ihre Wähler zu beruhigen.

 

Haben Sie nicht auch Verständnis dafür, dass Menschen, die ständig mit Mietsteigerungen zu kämpfen haben, wütend auf Vermieter*innen und Investor*innen sind und sich über den Mietendeckel freuen?

Ich wohne selber zur Miete, ich kann das schon verstehen. Ich weiß auch, dass es eklige Vermieter gibt, und die sind in der Branche nicht gut angesehen. Aber einfach davon auszugehen, dass der Vermieter Profit über alles stellt und den Menschen gar nicht mehr sieht, das ist Bullshit. Ich bin auch absolut dafür, dass hier Gesetze geschaffen werden, die die Mieter schützen. Aber der Mietendeckel, so wie er jetzt geplant ist, ist Quatsch. Dadurch hat man zwar plastisch die Mieten gesenkt, aber noch keine einzige Wohnung gebaut.

 

Das stimmt. Aber gebaut werden kann ja trotzdem, bei Neubauten greift der Mietendeckel nicht.

Zumindest noch. Was sich beim Mietendeckel jeder fragt, ist doch: Was passiert in zwei, drei Jahren? Wer jetzt bauen will, muss dafür sehr viel Geld hinlegen, weil Grundstücke rar und entsprechend teuer sind. Wir haben jetzt das Problem, dass diejenigen, die Pläne hatten zu bauen, es nicht mehr tun, weil sie nicht abschätzen können, was in Zukunft passiert. Da sind viele Pläne für Neubau und für Entwicklung einfach den Bach runtergegangen.

 

Wissen Sie von solchen Fällen?

Ja. Wir haben mittlerweile eine absolut investorenfeindliche Atmosphäre, man kann geradezu von einer No-Go-Area für Investoren sprechen. Ich kann mir schon vorstellen, dass viele verärgerte Mieter jetzt sagen: Ist doch super, wenn die weg sind. Das bedeutet aber, dass die Stadt Berlin sich allein um Neubau und Erhaltung bestehender Gebäude kümmern muss. Und da sehe ich keine Chance. Das werden wir in mindestens zwei, drei Jahren ein böses Erwachen haben.

 

Weil Berlin das nicht hinbekommt?

Auf gar keinen Fall. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie lange es zum Beispiel dauert, in Berlin eine Baugenehmigung für eine einfache Sache wie einen Dach-Ausbau zu bekommen. Da ist viel zu wenig Personal. Und ich erlebe auch, dass innovative Bauprojekte oft keine Chance haben, weil die Bauämter damit keine Erfahrung haben. Ich war mal an einem Projekt beteiligt, da wollten wir Gemeinschaftsflächen auf dem Dach schaffen, alles nach neuesten Umweltstandards – das wurde abgelehnt. Man muss sich ja nur mal den Neubau in Berlin anschauen. Das sieht alles gleich aus. Und das liegt nicht daran, dass die Architekten keine Ideen haben, sondern dass das Bauamt sagt: „Kennen wir nicht, machen wir nicht.“ Das ist für das Stadtbild von Berlin total traurig.

 

Ab 2022 wird es möglich sein, trotz Mietendeckels die Miete um 1,3 % im Jahr zu erhöhen. Entlastet das die Kleinvermieter*innen nicht?

Nein. Die Darlehen für den Wohnungskauf sind so gestrickt, dass die aktuellen Mietsteigerungen einberechnet wurden. Und mit einer Miete von 2013, wie sie beim Mietendeckel vorgesehen ist, kann man ein solches Darlehen nicht zurückzahlen.

 

Bei diesen Krediten wurde auf steigende Mieten gesetzt. Nun kann man sagen: Wer mit Mieten spekuliert, muss auch damit rechnen, dass sie sinken können.

Was heißt Spekulation? Man hat sich hier auf eine völlig normale und gesetzlich geregelte Entwicklung verlassen.

 

Ist es denn ein Naturgesetz, dass Mieten steigen?

Die Miete muss steigen, wenn die Kosten für die Instandhaltung einer Immobilie steigen – und das tun sie andauernd. Vermieter erbringen eine Leistung und sind in der Pflicht, die Immobilie instand zu halten. Im Gegenzug darf man erwarten, dass der Mieter da mithält.

 

Ich kenne viele Leute, die sagen, ich bin froh, wenn bei mir in der Wohnung nichts gemacht wird, Hauptsache, ich kann hier wohnen bleiben.

Das kann ich verstehen. Aber es gibt Sanierungen, die müssen sein. Und wegen des Mietendeckels werden die jetzt oft verschleppt. Wir haben ja in Prenzlauer Berg noch viele Wohnungen, die von Öl- auf Gasheizung umgewandelt werden sollen. Solche Dinge werden jetzt hinausgezögert. Auch so etwas wie Sanierungen im Treppenhaus oder im Keller. In den Wohnungen selbst wird ja sowieso kaum noch etwas gemacht, es sei denn, es geht nicht anders, wie etwa bei einem Wasserschaden.

 

Wie kann denn eine sinnvolle Alternative zum Mietendeckel in Ihren Augen aussehen?

Man müsste dann wohl in Einzelfällen entscheiden. Wenn jemand die Miete nicht mehr zahlen kann, muss es Zuschüsse geben. Da sehe ich die Politik in der Verantwortung, eine Lösung zu finden. Aber man kann es nicht auf die Privaten abwälzen. Übrigens: Ich habe immer wieder mit WBS-Wohnungen zu tun, bei denen offensichtlich ist, dass die Mieter längst deutlich mehr Geld zur Verfügung haben. Sie wohnen aber immer noch in der günstigen WBS-Wohnung, in manchen Fällen wird auch wild untervermietet. Deswegen finde ich es wichtig, sich genau anzuschauen: Welche Mieter sind wirklich auf Schutz angewiesen? Und welche nicht?

 

Was raten Sie Ihren Kunden im Moment?

Ich bin selber ratlos. Ich gehe davon aus, dass sich in spätestens zwei Jahren, wenn die Auswirkungen des Mietendeckels sichtbar sind, noch mal einiges ändert. Wer diese Geduld hat, dem rate ich, erst mal abzuwarten.

 

Der Berliner Mietendeckel ist umstritten. Anfang der Woche gingen Wirtschaftsverbände gegen das von Rot-Rot-Grün geplante Gesetz auf die Straße. Auch uns haben in jüngster Zeit viele Nachrichten von Menschen erreicht, denen in der Diskussion um die Mietpreise die Perspektive der Vermieter*innen und Investor*innen zu kurz kommt. In unserem Themenschwerpunkt sprechen wir darum mit unterschiedlichen Beteiligten über ihre Sicht auf die Berliner Mietenpolitik.

Teil 1: Der Mietendeckel aus Sicht eines Vermieters.
Teil 2: Die Vermieter fühlen sich wie Kriminelle behandelt.

 

Foto: Sarah Schaefer

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1 Kommentar

Marco Baré 14. Dezember 2019 at 17:27

Es ist ja vielleicht auch mal nicht falsch in den PBN eine lupenreine FDP Meinung zu lesen, dennoch nehme ich Nizana Brautmann ihr Gejammer nicht ab. Natürlich ist mit dem Begin des Mietendeckel die große Party vorbei (wie das ein Broker es sagen würde), aber das soll doch auch des Sinn des Mietendeckel sein. Ich hätte es für sinnvoll gehalten, wenn die Redaktion den vielen Behauptungen von Nizana Brautmann auch hin und wieder einmal ein paar echte Fakten gegenüber gestellt hätte.

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