Schule

„Hätten Sie ein gutes Gefühl?“

von Julia Schmitz 27. Juni 2019

Weil ihr Sohn nach den Ferien auf eine Schule in Grunewald gehen soll, schrieb Josefine Nowack einen offenen Brief an Schulstadtrat Kühne. Der versteckt sich in seiner Antwort hinter Zahlen.


Als vor ein paar Wochen die Bescheide für weiterführenden Schulen verschickt wurden, war der Frust groß: Etliche Schüler*innen hatten keinen Platz an ihrer Wunschschule bekommen, auch für die Zweit- und Drittwünsche gab es keine Chance – die Oberschulen und Gymnasien waren bereits mit den Erstwünschen ausgelastet. Wer Glück hatte, dem wurde zumindest eine Schule im eigenen Bezirk Pankow zugewiesen; weniger begeistert waren die Eltern, deren Kinder ab Herbst jeden Morgen quer durch die Stadt pendeln sollen.

Vor Kurzem haben wir mit einigen Betroffenen gesprochen, die uns ihren Frust über die Bildungspolitik und den Schulmangel im Bezirk schilderten. Dazu gehörte auch Josefine Nowack, deren Sohn Tim, geht es nach dem Schulamt, künftig in Grunewald pauken soll. Nun hat sie sich mit einem offenen Brief an das Bezirksamt Pankow gewandt.

An einem Morgen, schreibt sie, habe sie die Strecke getestet, die ihr Sohn nach den Sommerferien jeden Tag fahren soll:

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Die Ringbahn fiel aus, der Bahnsteig füllte sich immer weiter, so dass nach einigen Minuten Wartezeit klar war, dass in den nächsten Zug (in 10 Minuten) nicht alle Fahrgäste hineinpassen würden. Ich lief zur Straßenbahn, um damit bis zum Hackeschen Markt zu fahren. Die Bahn war ebenfalls völlig überfüllt und ich war froh, keinen Schulrucksack dabei zu haben. Die Tram hatte aufgrund der vielen Fahrgäste eine Verspätung von fünf Minuten – den Anschluss an die S7 verpasste ich also und wartete wieder 8 Minuten auf die Bahn. Am S-Bahnhof Grunewald hatte ich also schon eine Verspätung von über 20 Minuten. Mein Kind müsste jetzt noch in den Bus umsteigen, um irgendwie in der Schule, die ihm zugewiesen wurde, anzukommen. Ganz zu schweigen davon, dass er nicht nur die Stammstrecke, sondern auch sämtliche Ersatzstrecken kennen muss, um überhaupt sicher das Ziel zu erreichen.

 

So schildert sie ihre Odyssee und setzt hinterher: „Hätten Sie ein gutes Gefühl, ihr Kind täglich so durch die Stadt zu schicken?“

Josefine Nowack ist selbst in Prenzlauer Berg aufgewachsen und erinnert sich, dass zu ihren Schulzeiten ihre größte Sorge gewesen sei, nicht mit ihrer besten Freundin in eine Klasse zu kommen. Ihr Sohn müsse nun sogar seine Hobbys mit Freunden aufgeben, weil das Pendeln zur Schule und nach Hause rund zwei Stunden pro Tag einnehme. Ihrem Ärger macht sie deutlich Luft:

Bitte erklären Sie uns, wie noch im Geburtsjahr unseres Kindes Schulen geschlossen werden konnten, warum die Rechnung von Geburtsraten auf Schulplätze offensichtlich nicht möglich ist und wer bitte auf die grandiose Idee kam, dass zwei Stunden Schulweg, in einem Bezirk mit neun Gymnasien (+ISS), für Siebtklässler zumutbar sind?

Bezirksstadtrat Thorsten Kühne (CDU) macht in seiner Antwort deutlich, dass er Verständnis für die Wut der Eltern hat: Ihm sei bewusst, wie unbefriedigend die derzeitige Situation sei. Als Bezirksamt wollte man grundsätzlich allen Pankower Schüler*innen einen Schulplatz anbieten können, im Rahmen der Berliner Schulbauoffensive arbeite man daran mit Hochdruck. Doch persönliches Mitgefühl beiseite: Die rechtliche Situation sei „eindeutig geklärt“, schreibt er weiter:

Im Oberschulbereich ist ganz Berlin als ein Einschulungsbereich zu betrachten. Mir ist durchaus bewusst, dass die Ihnen zugewiesene Schule rund 17 km von Ihrer Wohnadresse entfernt liegt. Diese ist jedoch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln grundsätzlich gut zu erreichen. […] Ein Schulweg von rund 45 Minuten stellt nach ständiger Rechtsprechung einen altersangemessenen Schulweg in Berlin dar. Einen Rechtsanspruch auf wohnortnahe Beschulung gibt es ab Jahrgangsstufe 7 im Land Berlin nicht mehr.

Im Bezirksamt arbeite man mit allen Mitteln daran, neue Schulplätze im Bezirk zu schaffen. In Pankow habe man schon vor zehn Jahren auf den drohenden Schulplatzmangel hingewiesen, das Land Berlin habe dies aber erst 2014/15 erkannt. Bis dahin sei man im Senat überzeugt gewesen, „dass die Entwicklung sich berlinweit irgendwie auswachsen wird.“

Nun werde kräftig gebaut, so Kühne: Noch in diesem und dem kommenden Jahr sollen zwei neue Grundschulen teilweise fertig werden, bis 2022 sechs weitere Neu- oder Erweiterungsbauten. Auch greife man derzeit verstärkt auf Modulare Ergänzungsbauten zurück, um zusätzliche Kapazitäten zu schaffen. Über 12.000 zusätzliche Schulplätze seien in Planung, die sich an der Bevölkerungsprognose für Pankow – bis zu 460.000 Einwohner*innen bis 2030 –  orientieren.

Josefine Nowack und ihr Sohn Tim haben davon selbstverständlich wenig. Sie müssen weiterhin darauf hoffen, dass ihr Widerspruch beim Schulamt zu ihren Gunsten bearbeitet wird und Tim nach den Sommerferien die Pendelei erspart bleibt.

 

Foto: Flickr / Dirk Vorderstraße

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