Andreas Geil lebt seit knapp drei Jahren in dem Haus (Foto: Kristina Auer)

Fristlose Kündigungen in der Schönhauser Allee 90

von Constanze Nauhaus 25. Mai 2018

Einigen Mietern der Schönhauser Allee 90 wurde fristlos gekündigt. Unsere Politiker denken laut darüber nach, ob der Bezirk die  treuhänderische Verwaltung des Hauses übernehmen könnte.


UPDATE vom 25. Mai 2018:

Es bewegt sich etwas im angeblichen „Entmietungshaus“ Schönhauser Allee Ecke Wisbyer Straße – leider nicht zu Gunsten der Mieter. Am 11. Mai ergingen an sieben Parteien im Vorderhaus fristlose Kündigungen. Die Begründung: Die Balkone seien trotz wiederholter Aufforderung nicht freigeräumt worden und hätten so Bauarbeiten verhindert, so Mieter Andres Geil. „Das ist eine Unverschämtheit“, empört sich der linke Bezirksverordnete Frederik Bordfeld. Er ist Mitglied im Stadtentwicklungsausschuss, bei dessen letzter Sitzung in der vergangenen Woche auch die Hausgemeinschaft vorsprach und die Pankower Verwaltung aufforderte, endlich tätig zu werden.

„Im Ausschuss sind sich alle darüber einig, dass die Ziele des Eigentümers keine hehren sind“, sagt Bordfeld. Gegen die Kündigungen habe das Amt nichts in der Hand, da diese in den privatrechtlichen Bereich fielen – sie werden vor Gericht verhandelt. „Die einzige Möglichkeit des Bezirks wäre, das Haus treuhänderisch zu verwalten, bis der Eigentümer wieder selbst dazu in der Lage ist“, so Bordfeld. Der Bezirk habe aber bewiesen, dass er das nicht „kann oder will“.

Die Hausverwaltung Berolina Grundbesitz widerspricht vehement: Lediglich einigen wenigen Mietern sei gekündigt worden, da „erforderliche Arbeiten am Objekt in militanter Weise massiv behindert“ worden seien, so der Anwalt der Hausverwaltung. Mit dem Großteil der Mieter herrsche ein normales und ungekündigtes Mietverhältnis.

 

Bauarbeiten trotz Baustopp?

___STEADY_PAYWALL___

Ein weiterer Streitpunkt im Haus ist der Leerstand. Nach Beobachtungen der Mieter würden im Haus illegal Gewerbeeinheiten mit Wohnungen zusammengelegt, fänden trotz verhängtem Baustopp weiterhin Bauarbeiten statt. die Hausverwaltung dementiert auch hier: „Es trifft nicht zu, dass Gewerbeeinheiten mit Wohnungen zusammengelegt worden sind. Für einen derartigen Vorwurf fehlt es bereits an einem Mindestbestand von Beweistatsachen“, so der Hausverwaltungs-Anwalt. Seine Mandanten würden von den Mietern verleumdet oder sogar zu erpressen versucht.

Eine treuhänderische Verwaltung können Bezirke bei Verstößen gegen das Zweckentfremdungsverbotsgesetz durchsetzen. Seit den jüngsten Änderungen des Gesetzes soll dies rechtlich noch einfacher geworden sein. Trotzdem lässt sich der Senat mit den Ausführungsvorschriften für die Bezirke Zeit. Im Ausschuss habe Stadtrat Kuhn versprochen, nun „eine härtere Gangart“ einzulegen, sagt Bordfeld. Der Ausschuss beschloss eine entsprechende Drucksache, die dem Stadtrat dazu die nötige politische Rückendeckung gibt.

Kuhn selbst versichert, das Wohnungsamt sei „weiter dran“ – derzeit an einer Prüfung der „nun doch seitens der Hausverwaltung übergebenen Unterlagen“. Bei der Überprüfung der Baumaßnahmen vor Ort hingegen habe man aufgrund von Personalmangel „einige Probleme“. Bei der nächsten Tagung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am 6. Juni will sich Kuhn dann aber offiziell äußern – die Hausgemeinschaft der Schönhauser 90 hat bereits eine Einwohneranfrage eingereicht.

 

ARTIKEL vom 26. April 2018:

Müll, eine defekte Stromanlage, ein Geistergerüst: Im Eckhaus Schönhauser Allee 90 und Wisbyer Straße 1 fühlen sich Mieter vom Eigentümer aus dem Haus gemobbt

Der Urin in den Ecken ist unüberriechbar. Im Erdgeschoss ein Automatencasino, daneben Nagelstudio, Späti, eine Kneipe, ein Dönerladen. Immerhin: Im ersten Stock schleift jemand mit Sandpapier Fensterrahmen ab. Doch sehr viel mehr scheint hier nicht zu passieren, in diesem abgerockten Haus Schönhauser Allee 90 Ecke Wisbyer Straße. Obwohl das Eckhaus seit zweieinhalb Jahren eingerüstet ist. „Das Gerüst steht schon so ewig hier“, sagt ein Mitarbeiter im Dönerladen. „Das ist echt schlecht für uns – die Kunden bleiben aus.“

 

29 Monate Baugerüst – ohne Bauarbeiten

„Seit Winter 2015 steht das Baugerüst hier, ohne dass irgendetwas passiert ist“, sagt Mieter Andreas Geil. Mit seiner Tochter lebt er seit knapp drei Jahren in dem Haus. Und vermutet, der Eigentümer verfolge eine knallharte Entmietungs-Strategie.  „Manchmal klopfen nachts oder frühmorgens Gerüst-Touristen ans Fenster, die dann ganz erstaunt sind, dass hier noch Leute drin leben“, erzählt Geil. Weil das Gerüst nicht gesichert ist, kann darauf herumklettern, wer möchte. 380 solcher Gäste haben die Nachbarn über die Jahre gezählt.

Nicht nur das Geistergerüst, auch die Vermüllung, illegal umgebaute Wohnungen, laut Geil gefälschte Nebenkosten-Abrechnungen, veraltete Stromanlagen – die Wohnsituation im Haus Schönhauser Allee 90/Wisbyer Straße 1 ist derart desolat, dass ein Antrag der Linksfraktion in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung  nun fordert, Zwangsmittel gegen den Eigentümer einzusetzen. Und, falls dies zu nichts führen sollte, das Haus treuhänderisch zu verwalten. Denn die Bemühungen des Bezirksamtes seien „bisher erfolglos“ geblieben.

 

„Komplettversagen“ des Bezirksamtes?

Ja, das Haus ist dem Bezirk bekannt. 15 Mal, so der grüne Baustadtrat Vollrad Kuhn auf eine Kleine Anfrage des linken Frederik Bordfeld, sei man seit 2015 vor Ort gewesen. Mängel am Baugerüst seien daraufhin auch beseitigt worden, wegen Leerstand einiger Wohnungen wurde bereits ein Amtsermittlungsverfahren wegen Zweckentfremdung eingeleitet. Und: Zwar seien auf Betreiben des Amtes seit Mitte März Sofortmaßnahmen an der mangelhaften Stromanlage im Hausflur erfolgt, doch die Bau- und Wohnungsaufsichtsbehörde (BWA) habe keine von der Stromanlage ausgehende Lebensgefahr feststellen können, sagte uns Kuhn auf Anfrage. Allerdings, schiebt er sogleich hinterher, arbeiteten in der BWA keine Fachleute für Elektrik, weshalb „die diesbezüglichen Aussagen eher einem augenscheinlichen Eindruck entsprechen“.

Seit zweieinhalb Jahren ist das Eckhaus Schönhauser/Wisbyer eingerüstet (Foto: Constanze Nauhaus)

Seit zweieinhalb Jahren ist das Eckhaus Schönhauser/Wisbyer eingerüstet (Foto: Constanze Nauhaus)

Ein „Komplettversagen“ wirft Mieter Andreas Geil dem Bezirksamt hingegen vor. Und bezeichnet die Stromversorgungssituation als „katastrophal“. Mit mehreren Mietparteien hätte er sich zwischenzeitlich eine 35-Ampere-Sicherung geteilt, die immer dann herausgeflogen sei, wenn alle zu Hause waren – abends, sonntags. Ein Elektriker habe die Anlage als „ungesetzlich veraltet“ eingestuft, „da kann man nix machen“. Irgendwann habe die Elektro-Firma sich gar geweigert, zu kommen – es sei „lebensgefährlich, an diesem Stromkasten zu arbeiten“.

Geil beantragte vor dem Amtsgericht Mitte eine einstweilige Verfügung, doch geschehen ist bislang nichts. Auch ein Gutachten der Elektro-Innung habe der Anlage „Brand- und Lebensgefahr“ bescheinigt, doch die Hausverwaltung habe alles abgestritten. Erst durch Medienberichte und politischen Druck – zwei kleine Anfragen gab es zu dem Haus bereits in der BVV – habe man angekündigt, die Anlage im April auszuwechseln. Was seitdem geschah? Nichts. Auch erging jüngst ein Schreiben an die Mieter, dass dieser Tage Arbeiten an Fassade, Fenstern und Balkonen erfolgen sollen. Doch: Still ruht der See.

Die zuständige Hausverwaltung Berolina Grundbesitz GmbH bezeichnet die Behauptungen zur Stromanlage als „nachweislich unwahr“ – weder sei diese mangelhaft noch gehe Brandgefahr von ihr aus. Die Arbeiten an der Fassade, am Dach und an den Balkonen zöge sich zudem deshalb hin, weil die Arbeiten „unbegründet durch Mieter erheblich behindert und mehrmals unterbrochen“ wurden. Was das Amtsverfahren wegen Zweckentfremdung angehe – bei dem es sich allerdings lediglich um eine „rein informatorische Anfrage“ handele -, so basiere dies auf „unwahren und diffamierenden Behauptungen einzelner Mieter“. Als Grund vermute man laufende Verfahren wegen „mehrerer Räumungsklagen u.a. wegen Nichtzahlungen und unpünktlicher Mietzahlungen“.

 

„Wer sich wehrt, wird rausgeklagt“

Laufende Verfahren gibt es tatsächlich – wegen Mietminderung befindet sich Geil gemeinsam mit Nachbarn in einem Rechtsstreit mit dem Vermieter. Die Hausverwaltung verfolge eine Alles-ignorieren-Politik. „Und wer sich wehrt, wird mithilfe irgendwelcher Winkeladvokaten rausgeklagt.“ Durch den Antrag der Linken, der am gestrigen Mittwoch von den Bezirksverordneten in zwei Ausschüsse gegeben wurde, erhofft sich Geil, dass endlich etwas geschieht in seinem Haus. „Das Bezirksamt soll aufhören, Dinge zu behaupten, ohne etwas zu tun.“

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar