„Ich bin da gelassen“

von Thomas Trappe 7. März 2016

Der Grünen-Politiker Andreas Otto lebt seit 30 Jahren in Prenzlauer Berg. Es gäbe hier ein ständiges Auf und Ab der Prognosen, sagt er im Interview. Was die Zukunft bringe, könne niemand verlässlich voraussagen.

Andreas Otto lebt seit mehr als 30 Jahren in Prenzlauer Berg, seit 1990 engagiert er sich als Lokalpolitiker. Zunächst in der Prenzlauer Berger Stadtbezirksversammlung beziehungsweise der Pankower Bezirksverordnetenversammlung, 2006 zog der Grünen-Politiker mit Direktmandat ins Berliner Abgeordnetenhaus. Lange war er hier Sprecher unter anderem für Stadtentwicklung, Umwelt und Immobilien, heute für Bau- und Wohnungspolitik. Andreas Otto ist zudem Parteifreund des Pankower Stadtrats für Stadtentwicklung Jens-Holger Kirchner. Im Interview plädiert Otto dafür, die Bevölkerungsprognosen für die Zukunft gelassen zu betrachten. Räumt aber ein, dass es in Prenzlauer Berg kaum noch Verdichtungspotenzial gebe.

 

Herr Otto, Sie sind Experte für Stadtentwicklung, und Sie kennen die Berliner Prognose der Bevölkerungsentwicklung für das Jahr 2030. Wie wird Prenzlauer Berg als 2030 Ihrer Meinung nach aussehen?

Es werden mehr Menschen hier leben. Es wird, hoffentlich, weniger Autoverkehr geben und mehr Radfahrer. Wir werden mehr Jobs haben, vor allem im Bereich der IT-Branche. Und wir werden hoffentlich auch immer noch so viele Kinder haben, für die wir in den nächsten Jahren Schulen und Kitas bauen müssen.

 

Sie sind da nicht so sicher, ob das so bleibt?

Naja, es sind immer Wellen, ich beobachte das ja schon eine ganze Weile. Anfang der 90er ging hier die Kinderzahl deutlich zurück, alle dachten damals, wir bräuchten weniger Schulen und Kitas im Bezirk. Dann gab es den massiven Gegentrend, und wir könnten jetzt auf der Stelle im Bezirk zehn neue Schulen eröffnen. Und heute sehen wir, dass die Fluktuationsquote im Bezirk sinkt, also die Bedeutung von Zu- und Wegzügen. Das wiederum legt nahe, dass die Eltern von heute in 15 Jahren nicht durch neue Familien ersetzt werden. Aber das ist alles Spekulation, auch, was die Kinder der Eltern dann machen – ob sie etwa neue Familien in Prenzlauer Berg gründen.

 

Das ist ja das Dilemma an allen Berliner Bevölkerungsprognosen der vergangenen Jahre: Man lag eigentlich immer daneben und konnte nie die Zukunftstrends wirklich voraussehen.

Die Prognosen gehen derzeit davon aus, dass in naher Zukunft vier Millionen Menschen in Berlin leben. Weil ich dieses Auf und Ab der Erwartungen in den 90er Jahren schon einmal erlebt habe, bin ich da gelassen. Schauen Sie mal, wie viele EU-Ausländer in Prenzlauer Berg wohnen, aus Polen oder Spanien zum Beispiel. Die sind ja häufig hergekommen, weil es in Deutschland mehr freie Jobs gibt. Wenn es in den Heimatländern wirtschaftlich wieder besser läuft, können die auch ganz schnell wieder weg sein. Die europäische Situation spielt eine große Rolle, und die ist ja bekanntlich sehr unberechenbar. Das gilt auch mit Blick auf die Flüchtlinge – wer kann schon zuverlässig sagen, wie in einem Jahr die Situation ist? Die Prognosen haben eine große Unsicherheit und müssen regelmäßig überprüft werden.

 

Aber dass Wohnraum knapp werden wird, kann man wohl schon sagen – er ist es ja jetzt schon, vor allem in Prenzlauer Berg. Was sehen Sie für Möglichkeiten, noch Wohnraum zu schaffen?

Verdichtungspotenzial gibt es hier sicher nur bedingt. Auf jeden Fall werden mehr Dachgeschosse ausgebaut werden, den Weg geht man schon. Neben den größeren Neubauprojekten am S-Bahnhof Greifswalder Straße und in der Michelangelostraße sehe ich das meiste Potenzial zur Nachverdichtung schon weiter nördlich im Bezirk, wo man jetzt teilweise noch eine gewisse ländliche Idylle verspürt. Wichtig ist mir, dass in bestehenden Strukturen neue Wohnungen entstehen und nicht zuerst Satellitenstädte auf der grünen Wiese.

 

Man kann ja auch in die Höhe bauen. Wäre das nicht ein Weg, den man in Prenzlauer Berg einschlagen könnte?

Die Frage muss man stellen. Es gibt zum Beispiel noch viele Supermärkte, die allein für sich stehen. Da ist gar nichts gegen einzuwenden, wenn man auf diesen Grundstücken Wohnungen baut mit einem Supermarkt im Erdgeschoss. Ein Negativbeispiel haben wir gerade in der Schivelbeiner Straße, wo unten Supermarkt und oben Parkplatz errichtet wurde. Aber auch hier ist nur begrenzt Luft nach oben, im Wortsinne. Das heißt, wahrscheinlich kann in Zukunft nicht jeder nach Prenzlauer Berg ziehen, der das gerne möchte. Andererseits muss man auch den Trend sehen, dass sich Menschen mit weniger Wohnraum zufrieden geben oder auch mit anderen teilen. Das ist jetzt noch kein Megatrend, könnte aber in Zukunft auch eine Rolle spielen in hochverdichteten Gegenden.

 

Was, abgesehen von Wohnungen, muss in den kommenden Jahren in Prenzlauer Berg noch auf den Prüfstand, wenn die Bevölkerung wächst?

Ganz akut natürlich die Schulen. Hier muss saniert und auch neu gebaut werden. Dann muss man sich auch die Verkehrsinfrastruktur anschauen. Wenn man mit der M4 die Greifswalder lang fährt, kann man ja durchaus die Idee bekommen, ob da nicht doch ein U-Bahn nötig wäre – oder wenigstens größere Trams mit längeren Bahnsteigen. Das Problem wird sich an vielen Punkten der Verkehrsinfrastruktur stellen, denken wir nur an die Radwege, die jetzt schon oft zu klein sind.

 

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