Melancholie unter Pappeln

von Juliane Schader 21. November 2014

Kulissenschiebende Autoren, ausreisewillige Nachbarn und bierselige Debatten zum Gesang von Freddy Quinn: So beschreibt Andreas H. Apelt den Prenzlauer Berg des Jahres 1989 in seinem neuen Roman „Pappelallee“.

Die Welt des Hans Hülsmann umfasst nur ein paar Straßenecken. Da ist die Wohnung in der Gethsemanestraße mit einem Set an nachbarschaftlichen Charakteren, das vom Hauswart Gretschmer über den Theologiestudenten Graustock mit dem ewigen Heimweh nach der Niederlausitz bis hin zu Frau Stolten reicht, die seit dem Verlust ihrer Beine im Krieg ihre Wohnung nicht mehr verlassen hat. 

Da sind der Job als Theaterhandwerker an der Volksbühne und das Wiener Café in der Schönhauser Allee, wo Jakob Hemmlinger seine Audienzen hält, der seit zwei Dachboden-Ausstellungen in der Lychener und Raumerstraße als berühmter Künstler gilt. Und da ist das Luftikus in der Pappelallee, das vielleicht auch der Luftikus heißen müsste und wo die Musikbox immer Freddy Quinn spielt.

„Fährt ein weißes Schiff nach Hongkong.

Hab ich Sehnsucht nach der Ferne.

Aber dann in weiter Ferne.

Hab ich Sehnsucht nach zu Haus.“

 

Die Zeit versteckt sich in Hinterhöfen

 

Doch Hülsmann, der darf nicht einmal in die nahe Ferne reisen, nicht mal zum Großvater nach Templin in der Uckermark. Im Polizeirevier in der Schönhauser haben sie ihm seinen Ausweis abgenommen, ohne Gründe dafür zu nennen. Seitdem bleiben ihm nur die paar Straßen. Am Ende des Jahres wird die Mauer aufgehen und das wird kleine Rolle mehr spielen. Doch Hülsmann, der sich durch den Prenzlauer Berg des Jahres 1989 bewegt, weiß das noch nicht.

Es schwingt ein großes Stücke Melancholie mit in der „Pappelallee“, dem neuen Roman Andreas H. Apelts, der zuletzt gemeinsam mit Ron Jagers und dem Prosa-/Bildband „Hinter der Stille“ für Aufmerksamkeit sorgte. Apelt lebt seit 1977 in Prenzlauer Berg; sein Lebenslauf liest sich wie der vieler Künstler aus dieser Zeit: Studium der Germanistik, Forstarbeiter, Theaterarbeiter, Maurergehilfe, Gerüstbauer, Publizist. Ein bisschen von ihm selbst mag also auch in seinem Protagonisten Hülsmann stecken, der als Autor sein Notizbuch aus Schweinsleder stets in der Tasche hat, sein Geld aber mit dem Schieben von Kulissen verdient. Viel braucht er eh nicht, denn die Mieten sind billig und das Bier ist es auch.

 

„Honecker muss weg“ muss weg

 

So erlebt man beim Lesen noch einmal die sagenumwobene Enklave, in der Ausreisewillige mit Studenten, Lastwagenfahrern und Parteigetreuen Tür an Tür leben. In der ein Schriftzug an der Friedhofsmauser in der Pappelallee, „Honecker muss weg“, wochenlang für Gesprächsstoff sorgt, weil er sich einfach nicht übermalen lässt und die Mauer abzureißen als Lösung nicht in Frage kommt. Und in der sich schöne Kellnerinnen von Männern mit Mercedes Feinstrumpfhosen und Parfüm schenken lassen. „Hier gehen die Uhren anders“, heißt es an einer Stelle. „Die Zeit verkriecht sich in den Hinterhöfen der Mietskasernen. Nur um stillzustehen. Denn da findet weder die Sonne noch der Fortschritt hin.“

Doch alles bröckelt. „Es ist ein stilles Sterben hier“, schreibt Hülsmann in sein Notizbuch. Lange kann es so nicht mehr weitergehen. Doch was kommt danach?

Apelts Sprache ist lakonisch, darauf muss man sich einlassen. Doch sie passt gut zum Fatalismus der Geschichte, die eigentlich nur eine von vielen ist. Denn Hülsmann engagiert sich nicht in der Opposition, er geht nicht in die Gethsemanekirche vor seiner Haustür und zählt auch keine Stimmen bei der Kommunalwahl. Er lebt einfach und gerät nur am Rande in den Strudel der Ereignisse. Am Abend des 9. November fährt er nicht zur Bornholmer Straße und nicht zum Brandenburger Tor, er sitzt im Luftikus und trinkt bis zum Morgen. Die Welt wird sich schon früh genug verändern. Ein wenig wehmütig kann man da schon werden.

 

Andreas H. Apelt: Pappelallee. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2014, 304 Seiten, 17,95 Euro.

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