„Es geht um die Schwächsten im Verkehr“

von Anja Mia Neumann 27. Februar 2017

Verzicht bei den Autofahrern, Gewinn für die Radfahrer und Fußgänger: Das will Vollrad Kuhn. Nur wie umsetzen? Genau bei dieser Frage strauchelt er. Ein Interview mit dem neuen Grünen-Stadtrat in Pankow. Teil 1

Das Erfreuliche zuerst: Im Bürgeramt läuft es besser. Zumindest solange keine Wahlen anstehen. Sagt Pankows neuer Stadtrat für Stadtentwicklung und Bürgerdienste Vollrad Kuhn. Der Grüne ist seit einem Monat an der Spitze von Straßen- und Grünflächenamt, Bürgeramt und Stadtentwicklungsamt. Die Prenzlauer Berg Nachrichten haben ihn zum Einstandsinterview getroffen und ihm unter anderem Eure Fragen gestellt.

In Sachen Verkehr wurde in unserem Gespräch klar: Stadtrat Kuhn traut sich bisher kaum, eine umfassende Vision vom künftigen Verkehr im Bezirk zu entwickeln. Zu gering ist seine Macht im Vergleich zum Senat, der die Hand auf die großen Straßen hält, und zu komplex scheint die Absprache der vielen Behörden untereinander. Aber lest selbst!

 

In diesem Teil des Interviews mit Vollrad Kuhn geht es um BÜRGERAMT und VERKEHR. Zu Teil 2 mit GRÜNFLÄCHEN, WOHNUNGEN und GRÜNER POLITIK geht es hier.

Danke an alle Leserinnen und Leser für ihre Fragen an den neuen Stadtrat!

 

BÜRGERAMT

 

Herr Kuhn, wann kann ich wieder direkt und ohne Termin zum Bürgeramt gehen?

 

Kuhn: „Beim Bürgeramt ist die Situation entspannter im Vergleich zum letzten Jahr. Und es kann aktuell durchaus sein, dass Sie ohne längere Wartezeiten auch mal einen Termin bekommen, wenn Sie sich hinsetzen und einfach eine Wartenummer ziehen. Ab Mai oder Juni ziehen wir allerdings wieder zehn Leute ins Wahlamt ab in Vorbereitung auf die Bundestagswahl im Herbst und dann kann es wieder zu Engpässen kommen.“

 

Wie sieht es denn personell aus?

 

Kuhn: „Personell sind wir eigentlich inzwischen gut aufgestellt, weil neue Mitarbeiter hinzu gekommen sind. Wir haben natürlich einen höheren Krankenstand – es sind ja viele Kolleginnen und Kollegen schon älter. Von 2200 Beschäftigen im Bezirksamt ist ein großer Teil über 50 Jahre alt. Im Standesamt haben wir dagegen ein Riesenproblem seit letztem Jahr. Der Krankenstand ist sehr hoch und Nachbesetzungen sind schwierig, weil es zu wenig Standesbeamte auf dem Markt gibt“

 

Und die Digitalisierung?

 

Kuhn: „Wir arbeiten überall noch viel mit Papier. Das Land will zwar die elektronische Akte einführen – angeblich bis 2018 – aber daran glaube ich nicht. Das wird sich noch lange hinziehen.“

 

VERKEHR

 

Sie haben angekündigt, Pankow zum „fahrradfreundlichsten Bezirk“ zu machen. Was heißt das – wird es überall Fahrradwege geben? Und können Sie das wirklich beeinflussen?

 

Kuhn: „Fahrradfreundlicher Bezirk“ heißt, bei der Planung von neuen Wohnungen, den Fahrradverkehr immer mitzudenken und für mehr Flächengerechtigkeit zu sorgen zwischen den Verkehrsteilnehmern. Auch mit Fahrradwegen. Uns liegt daran, Fußgänger, Fahrradfahrer und ÖPNV zu bevorzugen. Wir müssen von Anfang an autoarm planen.“

 

Das betrifft die Neubauvorhaben. Die allermeisten Straßen existieren aber schon.

 

Kuhn: „Das, was schon existiert, ist ein großes Problem. Wir als Bezirk können nur bei den bezirklichen Straßen versuchen, Planungen für Radwege, Ampelschaltungen und Gehwege umzusetzen. Das betrifft Nebenstraßen, Seitenstraßen und Wohngebietsstraßen. Alles andere sind übergeordnete Straßen. Es gibt im Bezirk die Untere Verkehrsbehörde, die untersteht mir aber nicht. Sondern dem Ordnungsamt, also dem Ressort, das der AfD-Kollege bekommen soll. Diese Behörde muss Veränderungen anordnen. Und diejenigen, die dann bauen, sitzen wieder bei mir, beim Straßen- und Grünflächenamt. Dafür gibt es auch nur begrenzte Mittel, die Jahre im Voraus angemeldet werden müssen. Wir bekommen jetzt immerhin zwei Verkehrsplaner pro Bezirk, die sich vor allem um den Radverkehr kümmern sollen. Wohl aber nicht vor September.“

 

Das klingt sehr umständlich. Zumal die übergeordneten Straßen wiederum in Senatshand liegen. Was wollen Sie denn konkret mit den bezirklichen Straßen machen?

 

Kuhn: „Ich wünsche mir, dass die Straßen in den Wohngebieten verkehrsberuhigt werden: Tempo 30, aber auch Barrieren, um Autofahrer auszubremsen. Leuchtschilder mit Smileys machen vor allem vor Schulen Sinn. Es gibt auch Einwohnerinitiativen, die Fahrradstreifen auf Kopfsteinpflaster haben wollen. Das ist eine gute Idee, lässt sich aber nicht so einfach machen und wäre eine große Investitionsmaßnahme. Abstellanlagen für Fahrräder sind auch wichtig, zum Beispiel wie am Bahnhof Pankow. Es geht alles nur Schritt für Schritt und erst mal punktuell, wo wir die Zuständigkeit und die Möglichkeit haben.“

 

Ein Beispiel, von dem seit Jahren gesprochen wird: Wann bekommt die Danziger Straße zwischen Prenzlauer und Landsberger Allee Fahrradstreifen?

 

Kuhn: „Das ist eine übergeordnete Straße, also da muss man mit der Verkehrssenatorin und dem Verkehrsstaatssekretär reden. Bei konkreten Projekten müssen wir immer wieder hinterfragen: Wo hapert es? Ist es die Verkehrslenkung Berlin, die chronisch unterbesetzt ist? Sind es Abstimmungsprobleme mit anderen Behörden? Die Danziger Straße ist eine Hauptverkehrsstraße – ich wohne ja selber da – und ich sehe immer wieder wie gefährdet die Radfahrer dort sind. Es ist eine breite Straße mit Mittelstreifen. Für meinen Begriff, eignet sich da eine Fahrradspur auf jeden Fall.“

 

Wollen Sie an den Umbauplänen für die Schönhauser Allee, wie von seinem Vorgänger skizziert, festhalten?

 

Kuhn: „Ich kann es mir vorstellen, streckenweise eine Seite nur für Fahrräder zur Verfügung zu stellen und ich fahre da auch selber manchmal lang. Ob es Sinn macht, soll nun untersucht werden, wie der neue Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner angekündigt hat. Wenn es die Ergebnisse gibt und es nachgewiesen wird, dass es machbar ist, werden sich die Autofahrer auch daran gewöhnen. Es wird viel geschimpft in Berlin, keiner ist bereit, zu verzichten. Aber hier geht es wirklich um Flächengerechtigkeit und um die schwächsten Verkehrsteilnehmer – und das sind die Radfahrer und die Fußgänger.“

 

Und wie geht es weiter mit den temporären Spielstraßen? Eigentlich wollte Pankow eine Vorreiter-Rolle übernehmen.

 

Kuhn: „Generell kann ich nur sagen: Man muss alle Anwohner gut informieren, dann kann ein solches Vorhaben gelingen. Ich bin dafür, Kindern Spielflächen zu ermöglichen. Zuständig sind aber hier aber auch wieder die Untere Verkehrsbehörde und das Jugendamt, beides nicht meine Ressorts.“

 

Hier geht es zu Teil 2 des Interviews mit Stadtrat Vollrad Kuhn (Grüne). Über GRÜNFLÄCHEN, WOHNUNGEN und GRÜNE POLITIK.

 

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