„Es kann nicht immer alles bleiben, wie es ist.“

von Anja Mia Neumann 27. Februar 2017

Für neue Kinder müssen die alten manchmal zurückstecken. Und: Gegen Verdrängung reichen die Instrumente nicht aus. Das sagt der neue Grünen-Stadtrat Vollrad Kuhn im Interview übers Bauen und Wohnen. Teil 2

Besucher vom neuen Grünen-Stadtrat für Stadtentwicklung und Bürgerdienste müssen erst einmal vor einem Regal voller Ordner Platz nehmen. Auf ihren Rücken stehen handschriftlich die Bauprojekte des Bezirks: Stadtbad Oderberger Straße, Kastanienallee, Michelangelostraße.

Seit einem Monat ist Vollrad Kuhn der Herr über Pankows Straßen- und Grünflächenamt, das Bürgeramt und das Stadtentwicklungsamt. Die Prenzlauer Berg Nachrichten haben ihn zum Einstandsinterview getroffen und ihm unter anderem Eure Fragen gestellt.

Und er kündigt an: Wie vor Gericht will es Kuhn mit den Bürgern halten. Alles ist ein Abwägen ihrer Interessen gegen die der Allgemeinheit. Sei es in Sachen Neubau an der Michelangelostraße, auf dem ehemaligen Güterbahnhof Greifswalder Straße oder auf dem alten Ökogarten der Bornholmer Grundschule.

 

In diesem Teil des Interviews mit Vollrad Kuhn geht es um GRÜNFLÄCHEN, WOHNUNGEN und GRÜNE POLITIK. Zu Teil 1 mit BÜRGERAMT und VERKEHR geht es hier.

Danke an alle Leserinnen und Leser für ihre Fragen an den neuen Stadtrat!

 

GRÜNFLÄCHEN

 

Herr Kuhn, als Verantwortlicher für die Grünflächen: Wie sollen am Wasserturm, der eigentlich kein Hundelaufplatz ist, die Hundebesitzer zur Kooperation angehalten werden? Gleiches gilt für die Vermüllung in Parks und auf Spielplätzen.

 

Kuhn: „Die Hundeproblematik ist Sache des Ordnungsamtes. Das müssen die durchsetzen und Bußgelder verhängen. Wir können vom Straßen- und Grünflächenamt nur sehen, dass die Grünflächen und Spielplätze instand gehalten, gereinigt und gepflegt werden. Es gibt bezirkliche Mittel, um bestimmte Dinge zu entfernen. Aber es kann ja nicht immer Sache der öffentlichen Hand sein, den Dreck der Leute wegzuräumen.“

 

Oft gibt es einfach zu kleine Mülleimer zum Beispiel auf dem Humannplatz, so dass der Müll zwangsläufig daneben oder im Gebüsch landet.

 

Kuhn: „Da muss ich noch im Einzelnen schauen, ob das Thema schon im Amt angekommen ist und inwiefern es ein Beschaffungsprogramm für größere Müllbehälter gibt. Aber wichtig ist das.“

 

WOHNUNGEN

 

Die Gentrifizierung geht weiter und ist schwer zu stoppen. Was können Sie als Stadtrat machen, um sie wenigstens ein bisschen aufzuhalten? Neubaupläne und Mietpreisbremse werden es nicht richten, wenn man nicht auch im Bestand etwas für die nicht so reichen Mieter tut.

 

Kuhn: „Wir haben ja das Instrument der sozialen Erhaltungsgebiete. Pankow hat zehn davon. Dort sind Modernisierungsmaßnahmen genehmigungspflichtig, wie Aufzug, Zusammenlegung von Wohnungen oder ein zweiter Balkon. Und es gilt die Umwandlungsverbotsverordnung – das ist das schärfste Instrument, das verhindern soll, dass Eigentümer Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umwandeln und verkaufen. Das ist die Gelddruckmaschine bei den Altbauten. Es gibt dabei auch Lücken, zum Beispiel wenn der Eigentümer an den Mieter verkauft. Und das können ja auch Strohgeschäfte sein. Da haben wir keine Handhabe. Deshalb sollte diese Verordnung verschärft werden.“

 

Reichen diese Instrumente aus?

 

Kuhn: „Nein, das reicht sicher nicht aus. Das sind nur Hilfsmittel, die ausgehebelt werden können. Weil Eigentümer teilweise auch ein Anrecht auf eine Genehmigung haben, muss man im Einzelfall auch für die Eigentümer entscheiden. Und dann werden einige Mieter doch verdrängt. Gerade im Altbaubereich sind das natürlich lukrative Geschäfte.“

 

Was können Sie denn noch gegen Verdrängung tun?

 

Kuhn: „Jetzt sofort habe ich keinen Vorschlag. Wir können sehen, dass man noch mehr Gebiete in das soziale Erhaltungsrecht reinbringt. Und die Gebiete, die schon drin sind, möglichst lange drin zu halten und möglichst gut zu kontrollieren. Dafür brauche ich auch Personal.“

 

Die großen Neubauprojekte in Prenzlauer Berg sind an der Michelangelostraße und auf dem ehemaligen Gelände des Güterbahnhofs Greifswalder Straße am Thälmannpark. Hier sollen 1500 bzw. 600 neue Wohnungen entstehen. Wie wollen Sie mit den Protesten derjenigen umgehen, die in der Nachbarschaft wohnen? Wie wollen Sie sie einbeziehen?

 

Kuhn: „Wir haben dazu in der Zählgemeinschaft (Anm. der Redaktion: bestehend aus Linke, Grünen und SPD) vereinbart, dass wir noch mal eine Bürgerbeteiligung beginnen und rechtzeitig informieren. Bei der Michelangelostraße wird es im Frühjahr eine Auftaktveranstaltung geben, die die Möglichkeiten aufzeigt, wie sich Nachbarn einbringen können. Beim Güterbahnhof Greifswalder Straße soll es so etwas wie ein Werkstattverfahren mit Workshops geben. Aber nicht für jeden Teil des Gebietes – der Schulstandort ist extra – aber für den Wohnbereich, wo die Parkplätze liegen. Die Bewohner sollen sich ernst genommen fühlen und deren Vorschläge sollen abgewogen werden. Das heißt aber nicht, dass ihre Vorschläge alle umgesetzt werden können. Die Interessen der Allgemeinheit müssen gegen die privaten Interessen abgewogen werden. Und das muss wohl definiert sein.“

 

Haben Sie Verständnis für solche Proteste?

 

Kuhn: „Ich habe für viele Proteste Verständnis. Aber nicht immer für die Form. Einiges war in der Vergangenheit zur Verunglimpfung meines Vorgängers und die Tatsachen wurden teilweise verdreht. Von daher wollen wir für mehr Transparenz sorgen, damit wirklich klar ist: Worum geht es eigentlich? Und warum wollen wir das eigentlich? Warum ist das auch die Politik des Landes? Und wo liegen die Chancen?“

 

GRÜNE POLITIK

 

Wie ist die geplante Bebauung des Ökogartens der Bornholmer Grundschule mit den Grundsätzen grüner Politik zu vereinbaren? Wie investieren Sie in die Zukunft der Kinder, wenn Sie ihnen wichtige Freiräume und Naturerlebnisräume nehmen?

 

Kuhn: „Wir werden natürlich Ersatz schaffen. Wir werden dort vielleicht Kleingartenparzellen beanspruchen müssen, die zu einem neuen Schulgarten werden können. Natürlich ist es blöd, wenn ein gut laufender Ökogarten überbaut werden muss. Leider lässt dieses Grundstück aber nichts anderes zu. Es ist für die Kinder ja vielleicht auch schön, zu sehen, wie ein neuer Garten entsteht und ihn mitplanen zu können. Der Status quo lässt sich nicht immer aufrechterhalten. Es kann nicht immer alles bleiben wie es ist, weil wir für die wachsende Stadt, für die vielen neuen Kinder Schulflächen schaffen müssen.“

 

Bäume fielen in der Kastanienallee, Bäume fallen in der Pappelallee, Bäume fallen beim Stauraumkanal, Bäume fallen auf dem Supermarkt-Parkplatz in der Pappelallee: Warum sollte man die Grünen wählen?

 

Kuhn: „Ich habe ein grünes Herz und ich sehe es als notwendig an, um jeden Baum zu kämpfen. Andererseits müssen bestimmte Baumpflegearbeiten einfach sein. Bis Ende Februar sind die massiven Arbeiten, weil danach die Vögel brüten. Ich muss jede dieser Maßnahmen abzeichnen. Insofern kann ich auch immer etwas ändern. Das habe ich bei der Pappelallee gemacht: Da ging es um die Frage, ob man die letzten Pappeln, die auch schon krank sind, fällen sollte. Ich habe angeordnet, dass sie erst mal stehen bleiben und zurückgeschnitten werden. Beim Stauraumkanal im Mauerpark brauchen die Wasserbetriebe unterirdisch Platz für ihre Arbeiten. So leid es mir tut, aber manchmal muss es sein.“

 

Dennoch ist das grüne Politik?

 

Kuhn: „Wir können auch als grüne Politiker nicht alles erhalten, was wir gerne möchten. Wir müssen auch manche Sachen pragmatisch lösen. Aber natürlich immer ein Auge darauf haben, dass die Natur nicht zu kurz kommt. Und wenn, dann muss ein Ausgleich geschaffen werden.“

 

Hier geht es zu Teil 1 des Interviews mit Stadtrat Vollrad Kuhn (Grüne). Über BÜRGERAMT und VERKEHR.

 

——————————————-

Wo du schon mal hier bist…

würden wir Dich gern um einen kleinen Gefallen bitten. Bestimmt hast Du mitbekommen, dass es auf unserer Seite keine blinkenden Werbe-Popups gibt. Wir sind nämlich Deine Lokalzeitung im Internet und wollen nur von Euch – unseren Lesern – abhängig sein. Der unabhängige Journalismus der Prenzlauer Berg Nachrichten kostet viel Zeit und harte Arbeit.

Wir machen die Prenzlauer Berg Nachrichten, weil uns die Berichterstattung aus nächster Nähe am Herzen liegt. Wenn Dir das auch wichtig ist, bitte unterstütze unsere Arbeit und werde jetzt Miglied! Wenn alle unsere Leser die Prenzlauer Berg Nachrichten mit ihrer Mitgliedschaft unterstützen würden, wäre unsere Zukunft gesichert. Vielen Dank!

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar