Spielzeug

Spielzeugpaten dringend gesucht

von Manuela Stark 20. Dezember 2023

Ein Leben für Spielzeug: Philipp Schünemann hat alles in seinen Laden in der Choriner Straße investiert. Doch nun könnte bald Schluss sein.


Dies ist ein Text aus unserem Schwerpunkt
„Leute im Kiez“


Der Laden fällt auf. Berge von Spielzeug quillen förmlich auf den Bordstein in der Choriner Straße. Zwei Frauen stehen vor dem Eingang zur Werkstatt von „Onkel Philipp“ und sehen sich interessiert einen Holzschlitten an. Zwar ist der Schnee von Anfang Dezember gestern längst wieder geschmolzen, aber vielleicht schneit es ja noch einmal.

Eine der beiden Frauen geht in den Laden hinein. Dort türmt sich Spielzeug bis unter die Decke: von Sesamstraße-Figuren über Teletubbies bis zu Paw-Patrol gibt es hier etwas für alle Generationen. Mittendrin sitzt Onkel Philipp auf einem kleinen Holzbrett mit Polster. Er erhebt sich lächelnd zur Begrüßung. Das kleine Marmeladenbrötchen vor ihm isst er später. Kundschaft hat Vorrang, egal welches Alter.

Er fragt die Frau, ob sie Interesse an seinem kleinen DDR-Spielzeug-Museum hat. Ohne die Antwort abzuwarten, zeigt er auf eine kleine schwarze Schiebetür in Hüfthöhe und spricht mit leicht verstellter Stimme: „Mr. Gorbatschow – Open this grave” … brrrrrchchhh. Ding! Eine Ostmark Eintritt.“ Die Ostmark hat er auch gleich parat.

 

Spielzeug

In der Choriner Straße steht das Spielzeug bis auf den Bürgersteig / Foto: Manuela Stark

 

Diese Szene spielt sich mehrmals am Tag ab und ist sinnbildlich für diesen Laden: Das Geld bringen nicht nur die Kundinnen und Kunden mit. Onkel Philipp hat jeden Cent in den Laden investiert und dabei ein bescheidenes Leben geführt. Die Spielzeugwerkstatt in der Choriner Straße ist nicht auf Profit ausgelegt. Auch hier macht sich bemerkbar, dass 60 Prozent der Deutschen Spielzeug im Internet kaufen. Die Zahl der Einzelhändler nimmt kontinuierlich ab.

Aber Onkel Philips Werkstatt ist nicht einfach nur ein Spielzeugladen. Kinder kommen nach der Schule hierher, um günstig Spielzeug zu kaufen. Eine Art Tante-Emma-Laden, nur ohne Lebensmittel. Es gibt neues und gebrauchtes Spielzeug zu sehr niedrigen Preisen.

 

Spielzeugwerkstatt, später Museum

1997 eröffnet Philipp Schünemann die Werkstatt mit dem Schwerpunkt auf der Reparatur von Spielzeug. Nach und nach geben Nachbar*innen immer mehr Spielzeug aus dem Osten ab. „Das kannst du nicht verscherbeln, das musst du aufheben“, denkt sich der heute 54-Jährige und sammelt erstmal, was er nicht verkauft. „Natürlich haben sie auch nach neuem Spielzeug gefragt. So habe ich immer mehr Firmen ins Programm aufgenommen.“

2002 vergrößert er seine Ladenfläche und stellt das Spielzeug aus dem Osten auch aus. Die Werkstatt mit Verkaufsraum ist nun gleichzeitig ein Museum. Besucher*innen ziehen sich Pantoffeln über, um die nagelneuen Dielen zu schonen. Mit der Zeit ist nicht mehr klar, welches Spielzeug zu verkaufen ist und welches nicht. Daher verlagert er das Museum in den Keller, sozusagen in ein Spielzeug-Grab.

Es ist offensichtlich, dass Philipp mit dem Laden nicht das große Geschäft machen will, sondern seinem Lebenstraum folgt. „Ich habe irgendwann nach dem Studium gesagt: Ich kann nicht in einer großen Firma arbeiten. Der Gedanke war so schrecklich, dass ich da mein Leben lang bleiben muss. Aus Verzweiflung habe ich mich noch während meiner Diplomarbeit an einer Schauspielschule beworben.“ Das hat leider nicht geklappt, obwohl seine szenischen Einlagen in der Werkstatt durchaus bühnenreif sind.

 

Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft

Als er Mitte der 1990er-Jahre ein ferngesteuertes Auto repariert, kommt ihm die Idee, ein eigenes Unternehmen für Spielzeug zu eröffnen. So erfüllt er sich den Traum, mit Kindern zu arbeiten. Sein Studium der Verfahrens- und Umwelttechnik spiegelt sich in seinem Laden ebenfalls wider: Mit dem Verkauf von gebrauchtem Spielzeug möchte er ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft setzen. Seine Kund*innen wissen das zu schätzen, wie auch in den Google Bewertungen zu lesen ist. Dem ferngesteuerten Auto baut er einen Verbrennermotor mit Propeller ein. Auch die Insassen, Pink Panter und Fraggle-Figuren, lassen sich per Fernsteuerung bewegen. „Dabei hatte ich so viel Spaß, dass ich mir gesagt habe, das muss mein Job sein“, erzählt er.

Fast verpönt fühlt es sich an, mit ihm über Kosten und Umsatz zu sprechen. So sehr hat sich Onkel Philipp der guten Sache verschrieben. Aber nun muss er sich um seine Altersvorsorge kümmern und die richtigen Weichen für die nächsten Jahre stellen. Die Hälfte des Ladens ist Eigentum, die andere Hälfte ist gemietet. Die Miete ist seit Jahren auf einem freundschaftlichen Niveau geblieben. Hoffentlich bleibt es dabei. Um sich im Alter finanziell abzusichern, müsste er aber seinen Teil des Ladens vermieten und nicht selbst nutzen. Die Verkaufszahlen sinken, die Kosten für die Krankenkasse steigen. Es ist ein Dilemma.

Spielzeug

Hier gibt es Spielzeug für alle Altersklassen / Foto: Manuela Stark

 

Es müsste einen Nachfolger geben, der den Laden übernehmen möchte. Oder eine Kooperation, zum Beispiel mit einer Stiftung für behinderte Kinder. Onkel Philipp könnte sie und andere Mitarbeiter anleiten, Spielzeug zu reparieren. Denkbar ist auch, eine Förderung für das Museum zu beantragen. Dazu hat er sich aber noch nicht durchgerungen.

Vor einem Jahr fragte RTL2 an, ob Onkel Philipp bei der DokuSoap „Die Retourenjäger“ mitmachen wolle. Die Teilnehmer versuchen, zurückgegebene Ware weiterzuverkaufen. Er hat sich nicht zurückgemeldet. Zu kommerziell. Er könnte doch in einer viel kreativeren Sendung mitwirken wie: „Retten Sie den heruntergekommenen Laden“ oder „Ein Onkel dreht durch“, sagt er. Das würde ihn auch seinem frühen Traum Schauspieler zu werden wieder näher bringen.

 

Ehrenamtliche Mitarbeiter*innen gesucht

Die ehemaligen festen Mitarbeiter*innen Tuppi und Hans sind schon seit einigen Jahren nicht mehr dabei. Aufgrund einer Sommerflaute musste er beide entlassen. Die Corona-Jahre waren auch nicht einfach. Vor großen Veränderungen scheut er noch zurück. Er braucht aber Unterstützung, das ist klar. Er hätte gerne weitere ehrenamtliche Unterstützer*innen, wie zur Zeit Andreas, Constance oder Jutta.

Sie kümmern sich als Ehrenamtliche um kleine Bereiche im Laden. Für die Spielecke, die Babyecke und vielleicht auch noch für die Autoecke sucht er Patinnen und Paten. Es sind Menschen, die ein bisschen Ordnung schaffen. Wenn sie Zeit haben, kommen sie vorbei und helfen ein wenig, zu sortieren. Spenden möchte er als Gewerbebetrieb nicht annehmen. Er sei ja nicht bedürftig, sagt er.

Recycling, Verkauf und unterirdisches Museum: In Onkel Philipps Spielzeugladen auf der Choriner Straße verschmelzen Zeit und Raum in einem Meer von Spielzeug für Kinder und Erwachsene, für Sammler und Käufer. Doch wie lange es diese Spielzeuginsel noch geben wird, ist fraglich.

 

Titelbild: „Onkel Philipp“ inmitten seines Spielzeugladens / Foto: Manuela Stark

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