Gitarren Wolf & Lehmann

Ein Leben für die Musik

von Mona Linke 8. Februar 2021

Norbert Wolfs Liebe zur Gitarre hat ihn um die halbe Welt geführt – und in den Prenzlauer Berg. Hier repariert und verkauft er klassische Gitarren. Wir haben ihn besucht.


„Na, dann zeigen Sie mal her”. Behutsam, fast fürsorglich nimmt Norbert Wolf die braune Flamenco-Gitarre entgegen, greift sie mit beiden Händen und begutachtet sie von allen Seiten. Sie gehört einer Kundin, die Probleme mit dem Klang festgestellt hat. Norbert Wolf, blaues Cordhemd, rahmenlose Brille und das Smartphone in der Brusttasche, stellt ein paar Fragen. Seine Stimme klingt ruhig, etwas rauchig, aber gemütlich. Würde er einem ein Märchen vorlesen, man würde direkt einschlummern.

Nach wenigen Minuten ist das Problem gefunden – in einer Woche wird die junge Frau ihre Gitarre wieder abholen können. Wolf trägt den Termin in einen Wandkalender neben dem Tresen ein, läuft über den ausgeblichenen blauen Teppichboden und nimmt wieder auf einem der vielen Klavierhocker Platz, die in seinem Laden stehen. Um ihn herum stapelt sich Werkzeug in meterhohen Regalen, hängen neue und gebrauchte Gitarren an der Wand, kleine und große. In der Mitte des Raums stehen Aufsteller mit Lehrbüchern darin, weiter hinten wieder Werkzeug, Sägen, Lacke und Zangen. Der kleine Laden an der Prenzlauer Allee hat nichts gemein mit den sonst so schmucken Cafés und Vintage-Läden, die sich ein paar Straßen weiter im Kollwitzkiez aneinanderreihen. In Norbert Wolfs Laden regiert der Pragmatismus, könnte man sagen – der Ladenbesitzer selbst nennt es „ein bisschen müllig” und räumt wieder Werkzeug beiseite.

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Mit 16 startete die Musiker-Karriere

Dass jetzt wieder Kund*innen in seinen Laden inklusive angeschlossener Werkstatt kommen, ist nicht selbstverständlich für den Berliner. Immer mehr Gitarrenspieler – und solche, die es noch werden wollen – bestellen ihre Instrumente und das Zubehör im Internet, und das seit Jahren. Durch die Corona-Pandemie hat sich das verschärft. „Damit hätte ich nicht gerechnet”. Bevor man sich für eine Gitarre entscheide, müsse man mehrere Instrumente anspielen, alle nacheinander. „Man muss merken, wie sich so ein Ding anfühlt, wie es sich spielt. Ja, sogar, wie es riecht”, ist sich Wolf sicher.

Norbert Wolf liebt Gitarren, er liebt das Produkt. Vielleicht ist es der Maschinenbauer, der dabei in ihm hervorkommt. Denn das ist es, was der 72-Jährige eigentlich gelernt hat. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf bei Nauen in Brandenburg, schließt der Sohn von Pflegeeltern 1968 seine Lehre ab und arbeitet anschließend vier Jahre lang als Lokomotivbauer in Hennigsdorf. Die Gitarren aber sind schon früh Teil seines Lebens: Mit elf Jahren bekommt er das erste Mal Unterricht, mit 16 tritt er das erste Mal in eine Rockband ein, die “Sugar Beats”, die übrigens bis heute existieren. Es folgen drei Jahre Ausbildung in einer Spezialklasse für Tanz- und Unterhaltungsmusik in Friedrichshain, bis sein damaliger Lehrer ihm einen Kontakt herstellt: Zu Barbara Kellerbauer, ihres Zeichens schon damals eine bekannte Chanson-Sängerin in der DDR – die den jungen Norbert Wolf für ihre Band gewinnen will.

Wolf ist damals 25, eigentlich glücklich in einer anderen Gruppe – und ziemlich verunsichert. Schließlich sagt er doch zu, und es sollen die vermutlich aufregendsten Jahre seines Lebens beginnen. Denn Barbara Kellerbauer hat viele Verbindungen. Unter anderem zu mehreren sogenannten Freundschaftsgesellschaften, die seit den 50er Jahren das Ziel verfolgen, das Image der DDR im Ausland aufzupolieren. Oder anders gesagt: Es soll im kapitalistischen Ausland geworben werden für den sozialistischen Staat – und die Band von Barbara Kellerbauer und Norbert Wolf soll ihren Beitrag dazu leisten. Wolf ist gerade drei Wochen dabei, als es auf Tournee geht: Nach Bulgarien, Schweden und Norwegen.

Gitarren Wolf & Lehmann

In seinem Laden mit angeschlossener Werkstatt kauft und repariert Norbert Wolf klassische Gitarren. Foto: Mona Linke

 

Wolf möchte nicht mehr Vorbote des Regimes sein

Ein paar Monate später reist die DDR-Band durch Indien, gibt Konzerte, arbeitet mit den Menschen vor Ort zusammen, ziert die Titelbilder großer indischer Zeitungen. „Wir wurden da gefeiert wie Popstars”, erinnert sich Wolf, die Begeisterung ist noch immer in seinen Augen. Dass sie als eine Art Aushängeschild für die DDR geschickt wurden, bemerkt der Berliner erst später. „Ich glaube, Barbara haben sie es irgendwann gesagt”, so Wolf. Doch es ist ein anderes Ereignis, das den Musiker nach nur zwei Jahren dazu bringt, die Band an den Nagel zu hängen: die Ausweisung von Wolf Biermann 1976.

Nachdem der westdeutsche Liedermacher in den Osten übergesiedelt war und sich dort mit dem SED-Regime angelegt hatte, will die Honecker-Regierung den Musiker wieder loswerden – und ihn ausbürgern. Von Sängerin Barbara Kellerbauer verlangt man, die politischen Entscheidungen gutzuheißen und in der Presse ein positives Statement zu dem Ganzen abzugeben. Doch Kellerbauer weigert sich. So richtig durchblickt Wolf die ganze Biermann-Geschichte erst auf einer längeren Flugreise, als ihm zufällig der aktuelle SPIEGEL in die Hand fällt – in der DDR ist das Magazin strengstens verboten. Nachdem er die Ausgabe durchgelesen hat, steht sein Entschluss fest: Er möchte nicht mehr Vorbote des SED-Regimes sein.

Stattdessen geht der damals 28-Jährige nochmal an die Uni, fünf Jahre “Studium der klassischen Gitarre” in Berlin. Zwischendrin heuert er als Gitarrist beim Institut für Musikinstrumentenbau im sächsischen Zwota an. Mit dem Mauerfall verlieren er und alle anderen Freiberufler am Institut ihren Job, es muss gespart werden. Wolf lebt damals mit seiner Familie in Rahnsdorf. Anders als sein damaliger Kommilitone Uwe Lehmann, der schon kurz nach der Wende den Taxischein vorsorglich den Taxischein macht, will Norbert Wolf bei der Musik bleiben. Und: Er will Ostdeutschland mit ordentlichen Gitarren versorgen – denn die waren in der DDR Mangelware. „Warum machen wir nicht einen Laden auf?”, sagt er damals zu seinem Freund. Gesagt, getan: Mit Unterstützung eines großzügigen Händlers, der sie mit Ware versorgt, beziehen Lehmann und Wolf 1992 ihr erstes Geschäft im Scheunenviertel. Später ziehen sie um in die Nähe der Friedrichstraße und 2002 schließlich an die Prenzlauer Allee, wo zufällig ein Gewerberaum freisteht.

 

Eine Krise wie im Winter 2012/13

„Der Vermieter macht selbst Musik, also fand er das natürlich toll”, sagt Wolf. Sowieso ist er dankbar für seine Verbindung zum Eigentümer, der weiß, in welch schwieriger Situation sich das Gitarrenfachgeschäft gerade befindet: „Von Dezember bis Mitte Januar haben wir so gut wie keinen Umsatz gemacht”, so Wolf. Tagelang seien keine Kund*innen gekommen und das Weihnachtsgeschäft komplett ausgeblieben. Dabei ist der Laden zunächst gut in die Krise gestartet: Im März 2020 legten Wolf & Lehmann den Fokus auf die angeschlossene Werkstatt im Hinterraum – denn verkauft werden durfte nicht mehr. Also kamen viele Kunden und brachten ihre Instrumente zur Reparatur vorbei. Im Herbst dann ist der Umsatz komplett eingebrochen, die Käufe in der Vorweihnachtszeit wurden offenbar komplett im Netz abgewickelt.

Die digitale Konkurrenz ist für Norbert Wolf nichts Neues: Das erste Mal so richtig zu spüren bekam er sie 20212/13, als ein Rekordwinter über Berlin zog. Meterdicker Schnee auf Berlins Straßen ließ die Leute zu Hause bleiben – und das Gitarrenfachgeschäft ohne Kundschaft. Damals hatten sich viele Kund*innen entschlossen, direkt online zu bestellen, mutmaßt Wolf. Einige würden sogar vorbeikommen und sich stundenlang beraten lassen – um dann letztlich doch ein Foto vom Etikett zu machen und im Internet zu bestellen. „Ich kann einfach nicht die gleichen Preise anbieten wie große Online-Händler, die von ein und demselben Modell Hunderte bestellen und dadurch natürlich ganz andere Einstandspreise bekommen”, erklärt Wolf.

Es ist nur ein paar Tage her, dass Norbert Wolf seinen Laden schon gedanklich abgeschrieben hatte; und dann sollte es ausgerechnet das Internet sein, das ihn noch mal aus der Krise ziehen würde – zumindest vorerst. Eine Kundin schilderte die Situation des Ladens auf Facebook, das war Ende Januar. Kurz darauf konnten sich Wolf & Lehmann nicht mehr vor Kunden retten, die ihre Gitarren zur Reparatur vorbeibringen. „Wir haben innerhalb von zwei Tagen so viele Aufträge bekommen wie sonst in zwei Monaten”. Inzwischen hat die Kundenzahl wieder abgenommen, komplett eingebrochen wie im Dezember ist sie aber noch nicht. „Da kann man nur hoffen, dass das anhält”, sagt Wolf.

Wieder klopft es an die Glastür, es ist ein junger Mann mit großem Gitarrenkoffer. Mit französischem Akzent erklärt er Norbert Wolf sein Problem, der die Gitarre wieder behutsam in beide Hände nimmt und vor sich auf dem Holz-Tresen ablegt. „Ich will die schon seit einem Jahr mal reparieren lassen”, sagt der Kunde. „Und dann habe ich diesen Bericht auf Facebook über sie gesehen”. Norbert Wolf grinst so breit, dass man es durch die Maske erkennt.

 

Titelfoto: Mona Linke

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