Klimaliste

Von der Autostadt zur Schwammstadt

von Julia Schmitz 19. Juli 2021

Im Herbst tritt die „Klimaliste Berlin“ zum ersten Mal zur BVV-Wahl an. Im Gespräch erklären vier Kandidat*innen, warum Pankow in Sachen Klimaschutz radikaler werden muss.


An dem Tag, an dem wir uns zum Interview treffen, sind die Nachrichten besonders erschütternd: Die Eifel und der Norden von Rheinland-Pfalz stehen unter Wasser, etliche Dörfer sind überflutet, die Zahl der Todesopfer steigt stündlich. Für  Alicia Sophia Hinon, Sebastian Wegmann, Aileen Möck und Gesa Müller-Schulz ein trauriger, aber passender Aufhänger: Alle vier wollen sich ab diesem Herbst in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) dafür einsetzen, dass der Umgang mit dem Klimawandel dort zur obersten Priorität wird.


Dies ist ein Text aus unserem Schwerpunkt
Wahljahr 2021


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Der Bezirk Pankow hat vor zwei Jahren den Klimanotstand ausgerufen, es gibt mittlerweile einen Klimarat und eine Klimaschutzbeauftrage, das Thema steht bei (fast) allen Parteien in der BVV regelmäßig auf der Agenda. Warum braucht Pankow jetzt noch die Klimaliste?

Alicia Sophia Hinon: Das Engagement der bestehenden Parteien in der BVV ist längst noch nicht genug, um dem Klimawandel effektiv zu begegnen. Der Klimawandel ist ein globales Phänomen, aber er muss auf lokaler Ebene angegangen werden; deswegen müssen noch viel mehr Menschen dafür engagiert werden und verstehen, was eigentlich das Grundproblem ist und wie jeder dabei sein kann. In Pankow ist man aber in diesem „Polit-Duktus“ gefangen: Man sieht nur bis zur Stadtgrenze und entwirft einzelne Maßnahmen, aber keine langfristigen Projekte. Häufig geht es nur darum, politische Machtpositionen auszubauen – und dabei kommt das Klima leider oft zu kurz. Generell ist Pankow aber einer der progressivsten Bezirke Berlins und steht dem Thema und damit verbundenen Maßnahmen sehr offen gegenüber. Besonders in Prenzlauer Berg funktioniert das gut; der Stadtteil könnte sogar europaweit eine Vorreiterrolle spielen.

Sebastian Wegmann: Ich bin eigentlich Wiener und lebe seit acht Jahren in Pankow. Was mir besonders aufgefallen ist: Berlin ist eine Stadt, die in erster Linie auf Autofahrer ausgerichtet ist. Man kann in hohem Tempo mit dem Auto von A nach B gelangen. Ich frage mich, ob das in einer Stadt so sein soll? Ist das noch zeitgemäß? Wien hat zum Beispiel im Öffentlichen Nahverkehr ein 365-Euro-Ticket eingeführt, das viele Autobesitzer ermutigt hat, ihr Auto stehen zu lassen. Auch das Parken wurde deutlich teurer gemacht. Es geht aber nicht darum, Autos zu verbieten, sondern sie innerhalb der Stadt weniger zu nutzen. Diesbezüglich gibt es auch in Berlin noch viel zu tun und dafür setze ich mich ein.

Aileen Moeck: Die BVV hat in ihrem Wirken in Pankow leider total Nachholbedarf. Wie kann es z.B. sein, dass 2021 wichtige Grünflächen wie Kleingärten abgerissen werden? Oder man die Rennbahnstraße zubaut mit cars-only-Angeboten? Wieso baut man einen Rewe in der Schivelbeiner, ohne das Dach sinnvoll zu nutzen? Es gibt derzeit einige „Skandale“, die einfach null zukunftsfähig, systemisch und verantwortungsvoll gedacht werden.

Gesa Müller-Schulz: Wir haben gelernt, dass eine Stadt aus Beton und Autos besteht, in der die Häuser irgendwie dazwischen passen müssen. Indem wir innerhalb des Rings autofrei werden, wird wieder mehr Raum zum Leben frei, für uns als Menschen. Nicht unsere Kinder sind den Autos im Weg, sondern die Autos nehmen unseren Kindern Raum zur physischen Entfaltung. Wer viel Geld hat, nimmt sich viel Raum und fährt auch in der Innenstadt kurze Strecken mit dem Auto. Das ist unsozial und vor dem Hintergrund der Versiegelung, der damit einhergehenden Gefahren bei Starkregen und Hitze, nicht mehr zu verantworten. Um auf diese Gefahren reagieren zu können, müssen wir jetzt anfangen, unsere Stadt in eine Schwammstadt umzubauen, also einen Boden aufzubauen, der Wasser aufsaugt und Bäumen Raum zum Wurzeln gibt. Und darum braucht es uns in der BVV. Denn nur wenn wir in jedem Kiez mit den Bürger*innen in engen Austausch treten, haben wir die Chance, sozial verträglich und in Gemeinschaft zügig die notwendigen Umbauarbeiten voranzutreiben.

Klimaliste

Gesa Müller-Schulz (links) und Alicia Sophia Hinon kandidieren für die BVV Pankow

 

Wenn ihr den Status Quo der Berliner und Pankower Klimapolitik in wenigen Worten beschreiben müsstet, dann wären das…?

Aileen Moeck: Keine Dringlichkeit, fehlendes systemisches Verständnis, mutlos.

Gesa Müller-Schulz: Die Politiker*innen müssen das Thema Klimaschutz stärker in den Fokus rücken, bisher ist es bei vielen eher Symbolpolitik, mit der man sich gut schmücken kann. Viele haben noch nicht verstanden, worum es eigentlich geht und wie dringend es ist.

Sebastian Wegmann: Wie im Bund wird auch in der BVV immer alles auf Wirtschaftlichkeit geprüft – alles muss sich immer rechnen. Wir unterliegen einem System, das überhaupt nicht klimaförderlich ist.

Alicia Sophia Hinon: Bis auf die Tatsache, dass der Klimanotstand in Pankow ausgerufen wurde, ist tatsächlich nicht viel passiert. Es wurden unzählige Bäume gefällt und nicht ersetzt. Der Radwegausbau kommt nicht in Gang und bei den Kiezblocks bewegt sich auch nichts.

 

Die Mühlen der Bürokratie mahlen eben sehr langsam, auch in diesem Bezirk.

Alicia Sophia Hinon: Die Verwaltung ist natürlich eine Herausforderung. Aber wir treten auch deshalb als aktivistische Partei an, um zu zeigen, dass man schon loslegen kann. Für uns spielt Machtdenken keine Rolle; wir wollen die Menschen erstmal aufrütteln und ihnen dabei helfen, sich in Sachen Klimaschutz zu vernetzen. Die BVV ist an ihren Haushalt gebunden. Und das müssen wir ändern: Wir müssen es in die Köpfe der Leute bekommen, dass sich gemeinschaftliche Sachen auch anders organisieren lassen.

 

Ihr plant also in gewisser Weise den Umsturz des BVV-Systems?

Alicia Sophia Hinon: Ein Umsturz wäre ja von oben, das planen wir nicht – wir wollen das System aber von unten herauf ändern. Wir möchten, dass die Leute realisieren das bestimmte Strukturen, die sie für nötig halten, eigentlich gar nicht mehr relevant sind. Unser Ziel ist der „Donut“: Damit wird eine neue Form der Wirtschaft bezeichnet, die sich vom Wachstum abkehrt und stattdessen ein Leben mit den Mindeststandards und den planetaren Grenzen propagiert. Die sozialen Mindeststandards beinhalten unter anderem, dass niemand mehr Existenzängste haben muss oder die Sorge, wegen Privatisierung aus der Wohnung zu fliegen. Das lässt sich überall realisieren, nicht nur auf Bundesebene.

Klimaliste

Sebastian Wegmann und Aileen Möck

 

Wo muss Pankow jetzt eurer Meinung nach anfangen oder weitermachen in Sachen Klimaschutz?

Gesa Müller-Schulz: Wir müssen erstmal zeigen, was überhaupt alles möglich ist. Es ist deshalb zum Beispiel wichtig, dass Schüler und Schülerinnen mit dem lokalen Handwerk zusammenarbeiten und lernen, was man vor Ort überhaupt machen und wie man Materialien wiederverwerten kann. Auch die verschiedenen Unterrichtsfächer sollten stärker auf das Thema Klimawandel und was man dagegen tun kann ausgerichtet sein. Unsere Kinder werden ja immer stärker mit den Folgen davon konfrontiert sein.

Aileen Möck: Der Bezirk Pankow ist ja nicht nur Prenzlauer Berg Kollwitzplatz, sondern auch die Stadtteile Weißensee und Pankow. Um mal eine Anekdote zu nennen: Vor dem Lidl in Heinersdorf kann man jetzt Porsche und SUV kaufen, also Billigfleisch und großes Auto, man wählt dazu AFD. Das ist mal ein Ausschnitt, der zeigt: Diese Gesellschaft ist erkrankt.

Sebastian Wegmann: Mir ist es wichtig, dass Bäume erhalten werden. Im Jahr werden fast 900 Bäume gefällt, oft wird Verkehrssicherheit als Begründung genannt. Es geht also darum, dass Bäume theoretisch parkende Autos beschädigen könnten. Aber warum werden kaum Bäume nachgepflanzt – was nämlich nicht verpflichtend passieren muss, wenn sie eben aufgrund der Verkehrssicherheit entfernt wurden? Die Danziger Straße zum Beispiel verkommt mittlerweile an heißen Tagen zu einer Betonwüste, weil immer weniger Bäume dort stehen. Hinzu kommt das Thema Neubau: Das klingt zwar immer gut, ist aber oft nicht tragbar, was die Klimakrise betrifft. Denn was bei Neubauten an „grauer Energie“ (der indirekte Energiebedarf, der oft nicht eingerechnet wird – Anm. d. Red.) entsteht, ist einfach gigantisch.

 

Wenn morgen die nächste Bezirksverordnetenversammlung wäre und ihr müsstet euren ersten Antrag stellen. Wovon handelte dieser?

Aileen Möck: Wir alle brauchen mehr Begegnung und Naturbezug, ich würde mich für mehr kleine grüne Oasen und Urban Gardening in der Stadt einsetzen.

Alicia Sophia Hinon: Als allererstes würde ich beantragen, das auf jedes Dach Solaranlagen installiert werden und dass vor allem auch gezeigt wird, wie man das macht. Unser Ziel ist es, den Energieverbrauch zu verringern, damit wir unseren CO2-Verbrauch reduzieren. Mit Solaranlagen werden wir unabhängiger von fossiler Energie.

Sebastian Wegmann: Ich möchte, dass Autofahren stärker hinterfragt wird. Wem bringt das überhaupt etwas? Meiner Meinung nach muss wesentlich mehr getan werden, um den Autoverkehr zu reduzieren beziehungsweise das Fahren nicht so attraktiv zu machen. Fahrradfahrer und Fußgänger zum Beispiel müssen an der Ampel länger warten aus Autofahrer – das sollte andersrum sein.

Gesa Müller-Schulz: Ich würde beantragen, alle Einbahnstraßen zu autofreien Fuß- und Radstraßen umzuwidmen und die restlichen Straßen, die keine Bundesstraßen sind, in Einbahnstraßen. Allein dadurch würde schon enorm viel Platz für neues Leben in der Pankow entstehen.

 

Titelbild: Gründungsparteitag der Klimaliste 2020 / © Klimaliste Berlin

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