Tempo 30

Ich rase, also bin ich?

von Julia Schmitz 3. Februar 2021

Wenn es um Geschwindigkeitsreduzierungen im Straßenverkehr geht, fühlen sich viele Menschen gleich in ihrer persönlichen Freiheit verletzt. Warum eigentlich? Ein Kommentar.


Es ist ein simpel formulierter Antrag, den die Linksfraktion Pankow im Januar in der Bezirksverordnetenversammlung stellte: „Das Bezirksamt wird aufgefordert, für alle den Stufen II, III und IV des übergeordneten Straßennetzes (Planungsnetz 2025) zugeordneten Straßen in Pankow sowie die sonstigen Straßen auf dem Territorium des Bezirks Pankow eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h anzuordnen bzw. anordnen zu lassen“, heißt es darin.

Besagte Stufen umfassen so gut wie alle größeren Straßen im Bezirk, ausgenommen davon sind aktuell nur Prenzlauer Allee und Greifswalder Straße sowie die Prenzlauer Promenade und die Berliner Allee. Eine Forderung, die mit ihrer Umsetzung also fast ganz Prenzlauer Berg zu einer deutlich entschleunigten Zone in Sachen Verkehr machen würde – und dadurch nachgewiesen positive Nebeneffekte wie bessere Luftqualität, weniger Lärm und weniger Unfälle mit anderen Verkehrsteilnehmern mit sich brächte. Die Bezirksverordneten stimmten dem Antrag jedenfalls zu, und zwar mit deutlicher Mehrheit.

Leider hat dieser Beschluss bisher aber nur Symbolcharakter: Das Bezirksamt Pankow, an das sich die Aufforderung der BVV richtet, ist nämlich nur für die Nebenstraßen zuständig – und auf denen gilt in den meisten Fälle bereits Tempo 30. Alle größeren Straßen liegen hingegen im Verantwortungsbereich der Senatsverwaltung für Verkehr und Umwelt, und die winkte gleich ab: „Wir sind an den Bundesrechtsrahmen gebunden“, zitiert rbb24 deren Sprecher Jan Thomsen.

Allerdings bezieht sich dies auf die pauschale Anordnung von Tempo 30 auf den genannten Straßen, welche die Linksfraktion gefordert hatte; die Straßenverkehrsordnung, so Thomsen, erlaube die Einführung von Tempo 30 aber nur abschnittsweise. Dem wiederum steht der Senat allerdings positiv gegenüber, bereits auf 17 Prozent der Berliner Hauptstraßen wurde laut eigenen Angaben streckenweise ein Limit eingeführt. Sollte das Thema weiter verfolgt werden, könnte es also demnächst zu einer Flut von Anträgen kommen, die sich auf je eine einzelne Straße in Pankow beziehen.

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Mehr Unfälle außerhalb von Tempo 30

Dabei gäbe es bereits eine gute Begründung für eine generelle Geschwindigkeitsobergrenze, geliefert kürzlich vom Bundesverkehrsministerium: Zwei Drittel der Verkehrsunfälle mit Kindern finden außerhalb von Tempo-30-Zonen statt, hieß es kürzlich auf Anfrage der Grünen, diesmal nicht auf Bezirks-, sondern auf Bundesebene. Auch wenn wohl niemand Interesse daran haben kann, die Unfallgefahr in den Städten weiterhin hoch zu halten, sorgte der bezirkliche Beschluss aber vor allem in den sozialen Medien für Empörung und heiße Diskussionen: Die Geschwindigkeitsreduzierung würde vor allem für eine höhere Staugefahr innerhalb des Rings sorgen, lautete eines der Argumente – das im Übrigen durch eine von der Senatsverkehrsverwaltung in Auftrag gegebene Studie schon vor längerer Zeit entkräftet wurde.

Jetzt meldete sich auch der Wirtschaftskreis Berlin-Pankow zu Wort und fordert die Bezirksverordneten auf, den Beschluss zurückzunehmen. Man habe Unternehmen „im dreistelligen Bereich“ gefragt und überwiegend erstaunte Reaktionen bekommen: „Die meisten ansässigen Unternehmen in Pankow haben ihren Firmensitz außerhalb des S-Bahn-Rings […] Jede Kalkulation beruht auch auf zeitlichem Aufwand für die jeweiligen Leistungen, die meist nicht am Firmensitz erbracht werden, sondern vor Ort beim Kunden“, lautet die Stellungnahme. Leistungen würden unausweichlich teurer werden, wenn weniger Kunden bedient werden könnten, heißt es weiter und: „Betroffen davon sind dann auch Pankows Einwohner.“

 

Die autogerechten Stadt war einmal

Aber ob das wirklich passieren würde, wenn Kraftfahrzeuge nur noch mit 30 km/h und nicht mehr mit 50 km/h über die Hauptstraßen fahren dürften – einer Geschwindigkeit, die während eines Großteils des Tages, auch aufgrund der zahlreichen Ampeln, sowieso selten erreicht wird? Und warum reagieren so viele Menschen eigentlich derart schmallippig auf dieses Thema, als wolle man sie nicht darum bitten, lediglich einen Gang runterzuschalten, sondern ihnen gleich das Autofahren komplett verbieten?

Schon länger haben sich Pankow und die anderen Bezirke die Verkehrswende auf die Fahnen geschrieben; erst kürzlich hat der Senat ein Fußverkehrsgesetz verabschiedet, das unter anderem längere Ampelphasen für Fußgänger vorsieht. Berlin ist also längst dabei, sich von der auf Autoverkehr zentrierten Stadt abzuwenden und mehr Sicherheit und Gleichberechtigung für alle Verkehrsteilnehmer zu schaffen – ob Menschen zu Fuß, auf dem Fahrrad oder dem Motorroller und im Auto. Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h in Pankow wäre diesbezüglich nur ein kleines, aber wichtiges Puzzleteil.

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