Seit Anfang 2017 leitet Marc Lippuner die WABE (Foto: Constanze Nauhaus)

„Ich höre nicht auf, bevor nicht jeder Prenzlauer Berger die WABE kennt“

von Constanze Nauhaus 8. Januar 2018

Ostrock und Jugendclub: Ihren DDR-Stempel wurde die WABE nie los. Seit einem Jahr bemüht sich Marc Lippuner, Prenzlauer Bergs größter kommunaler Kultureinrichtung ein neues Image zu verpassen. Zeit für ein Gespräch.

Zeitreise im Kiez:  Drei Jahre, bevor sie sich selbst abschaffte, verewigte sich die DDR noch einmal schnell im Kleinen. Im April ’86 eröffneten zum 100. Geburtstag Ernst Thälmanns im gleichnamigen Park Wohnsiedlung und Kultur-Areal. Wohnen, Freizeit, mit der Schwimmhalle auch noch Sport – alles nah beieinander, ganz im Sinne einer sozialistischen Großsiedlung. Die DDR-Vergangenheit haftet der WABE, Prenzlauer Bergs größter kommunaler Kultureinrichtung, noch heute an, allein optisch: Das im Park versteckte backsteinerne Oktagon mit den braun getönten, verspiegelten Fenstern mutet wie eine Mischung aus Jugendclub und Dienstleistungswürfel an. Im Foyer ist Marc Lippuner an diesem Donnerstagmorgen bereits am Werkeln.

Lippuner, seit einem Jahr Leiter der WABE, verstärkt den Jugendclub-Eindruck, könnte er mit seinem schwarzen Hoodie, dem Mehr-als-drei-Tage-Bart und seiner offenen, sympathischen Lässigkeit doch auch Sozialarbeiter sein. Gerade bereitet er eine Ausstellung eines Instagram-Projektes vor; großformatige, hochaufgelöste Fotos breitet er vor sich aus. Instagram, Twitter, Facebook – seit seinem Arbeitsbeginn versucht der in Friedrichshain aufgewachsene gebürtige Greifswalder alles, um die WABE ins Bewusstsein des Bezirks und der Stadt zurückzubringen. Durchaus mit Erfolg. Zum Gespräch lädt der 39-Jährige in sein Büro zu Kaffee und Schokolade, mit Blick auf die Plattensiedlung – und nicht, ohne sich nicht vorher für sein „kreatives Chaos“ entschuldigt zu haben.

 

Bei Ihnen herrscht ja reinste Zettelwirtschaft!

Ja, ich versuche immer, das in den Griff zu bekommen (lacht). Aber letzten Endes weiß ich ja, wo alles ist.

Herr Lippuner, ich kenne viele Prenzlauer Berger, die noch nie von der WABE gehört haben. Woran liegt das?

Das liegt zum einen am Standort. Ich würde die WABE als Dornröschenschloss bezeichnen, sie liegt versteckt im Grünen. Und dann hängt ihr nach wie vor die DDR-Vergangenheit an – nicht zuletzt durch die vielen Ostrock-Musiker, denen meine Vorgängerin hier nach der Wende eine Heimat geboten hat und die auch heute noch treue Musiker sind. Das finden viele toll, nicht zuletzt ich selbst, führt aber auch dazu, dass die WABE bei vielen Berlinern zu Unrecht unter „Ostrock“ abgetan wird. Oder unter „Jugendclub“, hier fand zu Ostzeiten ja auch viel Kinderdisko und dergleichen statt. In den Neunzigern war die WABE für eine kurze Zeit richtig in, das schlief dann aber wieder ein. Warum, kann ich nicht so recht sagen. Mein Antrieb ist jedenfalls, das wieder zu ändern, Dornröschen wachzuküssen.

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Die Programmflyer wurden unter Ihrer Ägide bereits von einem neuen, schicken Layout geküsst. Was hat sich noch geändert?

 

Danke (lacht). Ich konzentriere mich, um die Bekanntheit der WABE zu steigern, gerade sehr auf soziale Medien. Instagram, Twitter, vor allem Facebook. Darüber hinaus buche ich neue Programme, die hier früher keinen Platz hatten. Klar gibt es die Stammbesucher, die beispielsweise nur zum traditionellen Krippenspiel mit Olaf Schubert am Jahresende kommen, die werde ich vielleicht auch nicht überzeugen können. Aber wir hatten 2017 etwa zwei Flamenco-Veranstaltungen, da bestand das Publikum fast nur aus Erstbesuchern. Und genau darum geht es ja: Den Leuten den Raum zu zeigen, ihnen am Auslass das Monatsprogramm in die Hand zu drücken und auf weitere Veranstaltungen neugierig zu machen.

Ihre Vorgängerin, Ursula Kleinert, leitete die WABE 26 Jahre lang. Ist es schwierig, nach einer solch langen Ära ein eigenes Profil zu entwickeln?

Ich wollte keinen harten Cut machen zu dem, was vorher war, denn es war ja vorher nicht unerfolgreich. Aber als die Stelle ausgeschrieben wurde, bestand wohl auch der Wunsch, jemanden zu holen, der die WABE ein bisschen breiter aufstellt. Frau Kleinert hat vorrangig Konzerte veranstaltet und das wird auch so bleiben. Das ist ja ein Ort für Musik, und es ist mir auch wichtig, dass es ein Ort für Musik bleibt. Dafür suchten sie jemanden, der nicht schon einen Musikschwerpunkt in seiner Biografie hat, sich da aber reindenken kann und gleichzeitig den Raum öffnet.

Sie kommen vom Theater, haben in Österreich, Aachen und lange beim Theater unterm Dach nebenan gearbeitet. Ist dieser Raum schwer zu bespielen? Er ist ja sehr speziell.

Speziell, aber großartig. Das Oktogon mit der ebenfalls achteckigen Vertiefung in der Mitte lädt dazu ein, die Bühne auch zu verlassen und den ganzen Raum zu erobern. Das haben Künstler in der Vergangenheit schon getan. Ich veranstalte nun vermehrt Lesungen mit musikalischer Begleitung oder Performances. Ende September hatten wir ein Projekt, das die Vertiefung in der Mitte in einen Pool verwandelt hat, richtig mit Wasser. Es geht darum, den Raum neu zu denken und konzeptionell zu erweitern.

Der sehr spezielle Spielsaal der WABE schreit geradezu nach Performances (Foto: Constanze Nauhaus)

Unter Ihrer Leitung hat auch die Veranstaltungsdichte zugenommen.

Ja, wir sind ein kleines Team – ich habe zwei Veranstaltungstechniker – und zusammen bringen wir nun an die 17 Events monatlich auf die Beine. Früher waren es etwa 13. Da arbeiten wir alle an der Belastungsgrenze. Wenn einer mal länger krank werden sollte, bekommen wir ein Problem.

Das sind ja Zustände wie bei den Prenzlauer Berg Nachrichten. Was haben Sie von Ihrer Vorgängerin denn übernommen?

Ich habe allen Künstlern mitgeteilt, sich bei mir zu melden, wenn sie weiter hier spielen wollen. Das haben einige auch getan, sowohl junge Bands als auch die gestandenen, die letztlich den Ruf der WABE prägen, Ostrocker wie Renft etwa. In diesem Jahr wird Falkenberg kommen, und die ganzen Gundermann-Abende laufen nach wie vor super. Auch das Festival Musik und Politik findet hier nun im 19. Jahr statt.

Und nach wie vor taucht natürlich Bettina Wegner im Programmheft auf. „Sind so kleine Hände…“

Genau, sie ist hier auch ein Urgestein. Die Konzerte sind immer sofort ausverkauft, wir haben für dieses Jahr schon zwei Zusatztermine. Aber neben den etablierten Musikern ist mir auch die Förderung junger Bands wichtig. Neue Künstler aufzubauen, ihnen eine regelmäßige Plattform zu bieten. Es kommen viele junge Bands, im Februar etwa Fat Princess. Bei solchen unbestuhlten Partykonzerten passen bis zu 400 Leute in den Saal, generell tendiere ich aber eher zu Sitzkonzerten – Singer/Songwriter oder Jazz.

Weil die lauten Partys hier nicht funktionieren?

Doch, die funktionieren. Im Sommer spielte hier eine russische Band, AuktYon, da hat die Hütte gebrannt. Aber manches läuft auch nicht. Metal und Hardrock habe ich mal probiert, das funktionierte nicht so gut. Das liegt auch an dem denkmalgeschützten, einfach verglasten Bau, der nicht ganz schalldicht ist. Außerdem scheppert hier dann gehörig die Lüftung. Aber für Jazz-Abende ist der Raum optimal.

Warum?

Allein schon wegen der fantastischen Akustik. Nun füllt Jazz jedoch nicht immer den Saal, aber der Raum sieht bestuhlt schon ab 40 Besuchern angenehm gefüllt aus. Mit Jazz-Bestuhlung bekommen wir 140 Leute rein, mit normaler Konzertbestuhlung 200.

Sie haben parallel zu Ihrer Theaterarbeit in Berlin Kultur- und Medienmanagement studiert. Bereits mit dem Plan, eines Tages eine Leitungsfunktion zu übernehmen?

Ein bisschen schon. Aber es ging um noch mehr. Denn ich habe, wenn man das von sich so sagen darf, zwar ein gewisses kreatives Potenzial, und die Regiearbeit machte mir Riesenspaß. Aber in Berlin musst Du ja immer Projekte machen. Du kannst nicht einfach sagen, Leute, ich mache hier mal eine Komödie. Das geht in Berlin nicht.

Was meinen Sie damit?

Es geht dabei um die Förderung. Wenn Du in der Freien Szene eine Förderung erhalten willst, reicht der Anspruch, unterhalten zu wollen, nicht aus. Es müssen innovative Projekte mit zeitgenössischem Bezug sein. Das habe ich in meinen Stücken immer versucht reinzubringen, ich habe viel Dokumentartheater gemacht, etwa zu 25 Jahren Mauerfall, sexuellem Missbrauch, Fußball und Sexualität. Das hat immer gut funktioniert. Aber es musste eben immer projektbasiert sein. Ich kann das auch nachvollziehen, die Freie Szene besetzt diesen Platz. Andererseits gehen Stadttheater auch immer mehr in diese Richtung.

Und der Gang ans Stadttheater, hat Sie der je gereizt?

Ich habe den Sprung nie geschafft, es auch schnell nicht mehr gewollt, der Druck dort ist immens. Ich habe immer lieber Projekte mit Freunden gemacht, um mich an Themen abzuarbeiten, die mich interessieren und nicht an Stücken, die ich mir nicht aussuchen konnte. Und dann wurde das Theater unterm Dach für mich wie ein zweites Zuhause.

Osten pur: Die WABE im Ernst-Thälmann-Park (Foto:

Osten pur: Die WABE im Ernst-Thälmann-Park (Foto: Constanze Nauhaus)

Als kommunale Einrichtung sind Sie auf Gewinn kaum angewiesen. Besteht da nicht die Gefahr von Erstarrung, von Lethargie?

Im Gegenteil. Was ich schön finde an diesem Ort ist gerade die Möglichkeit, Projekte zu fördern, ohne auf kommerziellen Erfolg angewiesen zu sein. Wir haben zwar sehr erfolgreiche Veranstaltungen, aber ich freue mich auch immer über die Projekte, die woanders vielleicht keine Chance hätten, zur Aufführung zu gelangen, aber durchaus sehenswert sind – geförderte Veranstaltungen etwa von Ensembles zeitgenössischer Musik, die immer auf der Suche nach Spielstätten sind.

Apropos Förderung: Spüren Sie etwas vom gestiegenen Kultur-Etat?

Ja, wir bekommen durchaus mehr Anfragen von Künstlern der Freien Szene, die eine Spielstättenbescheinigung brauchen, um Förderung für ihre Projekte zu erhalten. Wir selbst haben einen geringen künstlerischen Etat. So wie das Theater unterm Dach nicht wie ein Stadttheater über mehrere Millionen Euro verfügt und zehn Inszenierungen von vorn bis hinten finanzieren kann, ist auch bei uns lediglich die Infrastruktur gesichert. Aber wir können mit unseren Mitteln keinen kompletten Spielplan gestalten.

Und wie finanzieren sich nun die Auftritte?

Die Künstler zahlen uns eine vergleichsweise geringe Raummiete und finanzieren sich dann über die Eintrittsgelder. Und alle, die hier mal gespielt haben, wollen wiederkommen. Der Ort ist ein Schatz. Von außen hat er zwar diesen Jugendclubcharme, auch das Foyer, und dann tritt man aber in diesen Saal und ist sofort in einer anderen Welt – mit diesem Holzparkett, dem tollen Licht. Da ist damals viel in die Technik investiert worden.

Ein toller Ort, den viele Leute noch immer nicht kennen.

Das wird sich ändern. Mein Ziel ist es, hier nicht aufzuhören, bevor nicht jeder Prenzlauer Berger, ach was, jeder Berliner weiß, wo und was die WABE ist.

Hier geht’s zum aktuellen Veranstaltungsprogramm der WABE.

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