Tucholsky-Bibliothek wird wieder hauptamtlich

von Kristina Auer 30. Dezember 2017

In der Esmarchstraße haben Ehrenamtliche das schier Unmögliche geschafft: Zehn Jahre nach der geplanten Schließung eröffnet der Bezirk die Tucholsky-Bibliothek hauptamtlich neu.


ARTIKEL vom 5. Dezember 2017:

„Es kommt genau zum richtigen Zeitpunkt“, sagt Uta Egerer. Seit Jahren koordiniert sie als Ehrenamtliche den Betrieb der Kurt-Tucholsky-Bibliothek in der Esmarchstraße, und schenkt man ihren Worten Glauben, hätte es vielleicht nicht mehr lange so weitergehen können. Zehn Jahre ehrenamtlicher Betrieb einer Stadtteilbibliothek sind eine ganz schöne Herausforderung. Aber jetzt sitzt Egerer zuversichtlich und mit einem Lächeln im Gesicht am kleine Holztisch im hinteren Raum der Bibliothek. Ihr gegenüber sitzt Danilo Vetter, der Fachbereichsleiter der Pankower Stadtbibliotheken. Gemeinsam berichten beide, wie sie das kleine Wunder in der Pankower Kulturlandschaft vollbracht haben: Die einstmals geschlossene Kurt-Tucholsky-Bibliothek wird im Januar als hauptamtliche Stadtteilbibliothek wiedereröffnet. Das ist in Berlin noch nie einer Bibliothek gelungen.

 

Kampf gegen Schließung

 

Kurzer Rückblick: Im Dezember 2007 gab der Bezirk Pankow den Betrieb der Kurt-Tucholsky-Bibliothek auf. Der Senat kürzte die Zuschüsse, überall im Konsolidierungsbezirk wurde an der Kultur eingespart, ein kultureller Kahlschlag drohte. Die Nachbarn der Tucholsky-Bibliothek ließen das nicht zu. „Die Bibliothek war hier im Viertel schon immer ein wichtiger Punkt“, sagt Egerer. Viele der Alteingesessenen Anwohner hätten die Bibliothek seit Kindertagen besucht. Und auch von den zugezogenen Nachbarn mit ihren vielen Kindern wurde die Tucholsky-Bibliothek viel benutzt und heiß und innig geliebt.

Also verteidigte die Nachbarschaft ihre Bibliothek – erst durch Proteste, dann durch Besetzung, und schließlich durch zähe Verhandlungen und die Gründung des Vereins ProKiez. Bezirk und Anwohner verständigten sich: Die Bibliothek wurde an vier Tagen in der Woche ehrenamtlich weiter betrieben, der Bezirk bezahlte Ausgaben für die Räumlichkeiten und den Betrieb weiter. Das Wichtigste: Die Tucholsky-Bibliothek blieb trotz Ehrenamts im VÖBB – dem Verbund der öffentlichen Bibliotheken Berlins. So waren alle Bücher im berlinweiten Katalog aufgelistet, Bücher können von dort in andere Bibliotheken bestellt werden und andersherum. Der Verbleib im VÖBB war ein wichtiges Kriterium, das zur Wiedereröffnung beigetragen hat.

 

Von den Leuten erkämpft

 

Ganz einfach sei es zwar nicht, den Nordpankowern zu erklären, warum jetzt im Bötzowkiez eine Bibliothek wiedereröffnet, wo die Prenzlauer Berger mit der Bibliothek am Wasserturm und der Heinrich-Böll-Bibliothek in der Greifswalder Straße doch schon relativ gut versorgt sind. In Französisch-Buchholz gibt es zum Beispiel überhaupt keine Stadtbibliothek, Buch und Karow teilen sich einen Standort. Vier von insgesamt sieben Stadtbibliotheken in Pankow liegen im Stadtteil Prenzlauer Berg. „Hier ist die Infrastruktur erhalten geblieben, und die Leute haben sich die Bibliothek mit ihrem Engagement erkämpft“, sagt Vetter.

Dass es jetzt tatsächlich vier neue Stellen für eine hauptamtliche Wiedereröffnung der Tucholsky-Bibliothek gibt, klingt wie eine glückliche Schicksalsfügung, über die auch Egerer und Vetter noch ein bisschen überrascht wirken. „Die Politik steht gerade auf unserer Seite“, sagt Egerer. „Es ist das Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit“, sagt Vetter. Gewendet hat sich das Schicksal wohl seit den letzen Berlin-Wahlen im September 2016. Als der neue Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) das Ressort Kultur übernahm, deutete sich die Aufwertung bereits an. Seit etwa einem Jahr habe es Pläne gegeben, die Tucholsky-Bibliothek wiederzueröffnen, sagt Vetter. Seit März ist er mit der konkreten Planung beschäftigt.

 

Leuchtturmprojekt Jugendbibliothek

 

Die Kurt-Tucholsky-Bibliothek bekommt ein für Pankow völlig neues Konzept: Aus ihr soll eine Kinder- und Jugendbibliothek mit Schwerpunkt auf  „digitalen Welten“ werden. Fachbereichsleiter Vetter ist für die Entwicklung mit seinem Team nach Hamburg gefahren und hat sich von der Hoeb4u der Hamburger Bücherhallen inspirieren lassen. Eine wichtige Frage dabei: Wie kann man Jugendliche, die im Vergleich zu Kindern und Erwachsenen generell unterrepräsentiert sind, noch für eine Bibliothek begeistern?

Die mögliche Antwort: mit einem digitalen Leuchtturmprojekt. Mit der uralten Vorstellung einer Bibliothek hat dieses Konzept nicht mehr viel zu tun: In der Esmarchstraße soll die Jugend künftig mithilfe von sogenannten Coding Hubs das Programmieren lernen können, es gibt multimediale Ergänzungen zur Lesehilfe, Tablet-Computer und einen Schwerpunkt auf Computerspielen. Der Bestand von 25 000 Medien wird auf 17 000 reduziert und auf andere Standorte verteilt. Für Erwachsene soll es in der Esmarchstraße künftig nur noch ein Angebot von rund 2 000 Büchern geben. Dafür wird es neue Veranstaltungen geben und die Auszubildenden der Stadtbibliotheken sollen dort eigene Projekte verwirklichen. „Wir erhoffen uns von der KTB eine Strahlkraft an fachlichen Innovationen, die in die gesamte Stadtbibliothek hineinwirkt“, heißt es im Projektentwurf.

 

Ehrenamtliche verstehen sich als Platzhalter

 

Die Ehrenamtlichen haben von Anfang an auf eine hauptamtliche Wiedereröffnung der Bibliothek hingearbeitet. Uta Egerer zitiert den Vereinsvorstand Klaus Lemnitz, der die Ehrenamtlichen immer als „Platzhalter“ für die fehlenden Bibliothekarinnen und Bibliothekare bezeichnet habe. Wie viele es in den ganzen Jahren waren, kann Egerer nicht genau sagen, es seien jedenfalls immer 20 bis 30 Leute dabei gewesen. Die Rentnerinnen im Kiez bildeten den festen Kern, einige „tolle junge Leute“ kamen dazu. Die ehrenamtliche Arbeit sei aber nie als willkommene Beschäftigung verstanden worden, sondern immer als Notlösung: „Alle fanden es schlimm, eine Bibliothek ehrenamtlich zu betreiben“, sagt Egerer, die selbst gelernte Bibliothekarin ist. „Es wäre nur noch schlimmer gewesen, gar keine Bibliothek mehr zu haben“.

Was aber keineswegs heißt, dass die komplette ehrenamtliche Arbeit mit der Wiedereröffnung im Januar ein für alle Mal vorbei ist. Der Übergang wird schrittweise stattfinden. „Wir starten hier im Januar mit einer Person“, sagt Vetter. Bis März sollen dann alle vier Stellen besetzt sein. Auch danach werden einige Ehrenamtliche aber weiterhin in der Bibliothek mitarbeiten. Es werde gerade überlegt, ob mit ihrer Hilfe auch samstags geöffnet sein könnte, so Vetter.

 

Eröffnungsfest am 9. Januar

 

Im Moment laufen die Auswahlverfahren für die noch unbesetzten Stellen, der Bestand wird sortiert. „Eine große Aufgabe ist die Frage, wie die Bücher richtig präsentiert werden sollen“, sagt Vetter. Auch Gelder für die künftigen Projekte müssen noch akquiriert werden. Am 9. Januar – dem 127. Geburtstag von Kurt Tucholsky  – wird die Bibliothek dann mit einem großen Freudenfest wiedereröffnen. Uta Egerer selbst will ab Januar nicht mehr als Ehrenamtliche dabei sein. „Ich möchte mir langsam auch mal überlegen, was ich mit meinem Leben sonst noch so anstellen könnte“, sagt sie und muss lachen.

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