Efeu-Gräber und Schul-Gesänge

von Anja Mia Neumann 7. September 2015

Zwei neue Apps zeigen das jüdische Prenzlauer Berg – wie es war und wie es ist. Zwangsläufig geht der Spaziergänger auf eine Zeitreise. Und entdeckt neue Seiten des Kiezes, die sehr lebendig sein können.

Verwunschen und heimelig, aber auch einsam und traurig: So wirken die Gräber hinter der Mauer des jüdischen Friedhofs. Gerade noch war ich umgeben vom Lärm auf der Schönhauser Allee. Jetzt ist es ruhig. Alt ehrwürdig stehen die verwitterten Steine da. Das Efeu, das sie umrankt, tut sein übriges zu dieser Stimmung, die einen seufzen lässt ohne es zu wollen.

Der jüdische Friedhof in der Schönhauser Allee – 1827 eingeweiht und über einen Gang mit dem Kollwitzplatz verbunden – ist einer von drei Prenzlauer Berger Anlaufpunkten einer Karten-App fürs Handy. Der Freundeskreis Berlin Pankow-Ashkelon hat die Stadtführung fürs Smartphone entwickeln lassen. Denn immer wieder kommen Besucher aus der israelischen Partnerstadt Ashkelon nach Pankow – und die wollen die Spuren des einst sehr lebendigen jüdischen Lebens hier sehen.

 

Lebendige Orte: Schule und Synagoge

 

Diese Spuren sind nicht alle so tief in sich gekehrt wie der alte Friedhof. Das ist der Vorstandsvorsitzenden der Freundeskreises wichtig: „Das jüdische Leben äußert sich nicht nur in Tafeln, sondern auch in Räumen. Wir haben nicht nur Gräber und Mahnmale, sondern auch lebendige Orte“, sagt Ines Koenen. Jüdischer Alltag in Berlin, das bedeute: Restaurants, Supermärkte, Schulen.

Diese Beschreibung passt in die Rykestraße. Die Sonne taucht das Backsteingebäude, hinter dem sich die Synagoge verbirgt, in ein orange-rotes Licht. Fenster stehen offen, daraus dringt Gesang. Die Schüler der jüdischen Grundschule singen. Nicht deutsch, vermutlich hebräisch, und fröhlich.„Mein persönlicher Hotspot ist die Synagoge“, meint auch Koenen. Es ist gemeinsam mit der Budapester Synagoge die größte Europas. 2000 Sitzplätze hat sie. Und: „Die ist so schön saniert.“

 

Touren per App in 50 Städten

 

Die Tour „Pankow – Orte der jüdischen Geschichte“ stammt von Kenny Tours, einem Pankower Start-Up mit Sitz im Eschengraben, das sich auf die Entwicklung der App für Stadtführungen konzentriert hat. „Wir bieten die technische Grundlage und verlinken bei den einzelnen Sehenswürdigkeiten auf Wikipedia“, sagt Gründer Jan Wellmann. Touren in 50 Städten sind schon programmiert, alles kostenlos. Die digitale Führung durch Freundeskreis Pankow-Ashkelon ist die erste jüdische Tour. Weitere thematische Touren mit Vereinen und Verbänden sollen folgen.

Auf dem Friedhof laufen einige Besucher herum. Aber ohne Blick auf ihr Smartphone. Die knalligen Farben der App kämen mir auch etwas deplatziert vor. Die Männer müssen eine Kippa tragen – ein Schild am Eingang weist darauf hin. Seit dem Jahr 1880 – als der große Friedhof in Weißensee öffnete – ist der an der Schönhauser Allee geschlossen. Danach gab es nur noch Beisetzungen in den Familiengrabstätten, die letzte in den 1970er Jahren. Der wohl prominenteste Mensch, der hier begraben liegt, ist der Maler Max Liebermann (1847 bis 1935).

 

Spielzeuge aus Ton als Erinnerung

 

Fast direkt gegenüber des Friedhofs auf der anderen Straßenseite der Schönhauser Allee ist ein Wohnhaus. Bis Bomben es zerstörten, war hier ein Waisenhaus für jüdische Kinder. Übrig davon ist nur ein Stück Vorgartenmauer. Heute rasen Autos und Fahrräder vorbei. Das Baruch Auerbach’sche Waisenhaus ist der dritte Prenzlauer Berger Anlaufpunkt der Tour.

Hier ist sie doch, die Gedenktafel: „1942 wurden die letzten Lehrer und Zöglinge – darunter zwanzig Kinder im Alter bis zu 5 Jahren – in das Rigaer Ghetto deportiert und dort ermordet.“ Spielzeuge aus Ton, gefertigt von Schülern in Erinnerung an die Ermordeten, standen einmal auf der Mauer – bis zu zerstört wurden. Nun sind sie im Museum, zusammen mit neuen Ton-Spielzeugen.

 

Digitale Geschichtsstunde und Gegenwartsstudie

 

Wem bei dem Spaziergang die Stimmen und Töne fehlen: Es gibt seit kurzem auch einen Audio-Guide, der sich dem jüdischen Prenzlauer Berg widmet. Auf 19 Hörstationen rund um den Kollwitzplatz kommen Bewohner zu Wort, die aus den 1920er und 1930er Jahren berichten. Damals waren sie Kinder oder Jugendliche. Beide Apps zusammen sind wohl eine ganz gute digitale Geschichtsstunde und Gegenwartsstudie.

Nein, für einen lustigen Sonntagsausflug eignen sich die Spaziergänge nicht. Doch sie geben die Chance, mehr über Prenzlauer Berg zu erfahren und den Kiez mit anderen Augen zu betrachten.

 

Die App Kenny Tours mit der Führung „Pankow – Orte der jüdischen Geschichte“ lässt sich hier herunterladen. Sie weist acht Punkte in Pankow aus, drei davon in Prenzlauer Berg: die Synagoge, der Friedhof und das ehemalige Waisenhaus.

Die App „Jüdische Geschichte(n) in Prenzlauer Berg ist hier verfügbar. Allerdings nur für Android-basierte Geräte. Sie führt zu 19 Stationen rund um den Kollwitzplatz und ist in Kooperation mit dem Museum Pankow entstanden.

 

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