Weihnukka in der Rykestraße

von Kristin Freyer 23. Dezember 2011

In der Synagoge wird an diesem Freitagabend nicht nur Sabbat gefeiert, sondern auch Chanukka, das Lichterfest. 

Vor dem roten Backsteinhaus in der Rykestraße stehen auch heute wieder Polizisten. Der Platz vor dem Gebäude ist wie immer mit Absperrpfosten gesichert, und nur durch die vergitterten Eingangstore des Hauses kann man überhaupt einen Blick auf die Synagoge erhaschen, die abgeschottet im Hof steht.

Der heutige Freitag ist für die Synagoge und ihre Gemeinde ein besonderer Tag. Denn neben dem Sabbat wird hier am Abend auch Chanukka, das Lichterfest, gefeiert. „Auf Deutsch heißt Chanukka Neueinweihung“, sagt Sara E., deren vollständiger Name an dieser Stelle nicht genannt werden soll. Sara ist eine der drei Vorstände der Synagoge in der Rykestraße.

 

Erinnerung an die Wiedereinweihung des Tempels


Chanukka erinnert an die Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem vor mehr als 2.000 Jahren. Der Sage nach brannte das Licht der Menora, des siebenarmigen Leuchters, ganze acht Tage lang, obwohl nur koscheres Öl für einen Tag vorhanden war. Aus diesem Grund wird Chanukka bis heute acht Tage lang gefeiert, in diesem Jahr vom 20. bis zum 28. Dezember.

An jedem Abend werden die Kerzen des Chanukkaleuchters angezündet. Dabei werden die Kerzen von rechts nach links in den Leuchter gesteckt, jeden Tag kommt eine weitere hinzu. Die neue Kerze wird immer zuerst entzündet, erst danach die anderen. Am Abend des achten und letzten Tages brennen alle Lichter.

 

„Alle christlichen Feiertage sind eigentlich jüdische“


„Nach dem Anzünden der Kerzen soll der Chanukkaleuchter ans Fenster gestellt werden, um das Licht in die Welt zu bringen“, erzählt Sara. Das erinnere an heutige christliche Bräuche, wo Lichterbögen oder Weihnachtspyramiden ans Fenster gestellt würden. „Alle christlichen Feiertage haben jüdischen Ursprung. Auch Jesus war Jude“, sagt sie. Durch die unterschiedlichen Kalender fallen die christlichen und jüdischen Feiertage aber nur selten zusammen, denn im Gegensatz zum gregorianischen richtet sich der jüdische Kalender nach dem Mond. Zudem beginnt der Tag im Judentum bereits am Abend, sobald drei Sterne am Himmel zu sehen sind.

Auch wenn die Synagoge in der Rykestraße die größte Deutschlands ist, die dazugehörige Gemeinde ist recht klein. Von den 12.000 Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaft in ganz Berlin beten nur etwa 200 in Prenzlauer Berg“, sagt Sara, und ergänzt, dass davon 99 Prozent nicht in Prenzlauer Berg wohnten. Zu normalen Gottesdiensten kämen lediglich 40 Menschen, nur zu hohen Festtagen wären viele Betende anwesend. Jedes vierte Gemeindemitglied sei russischsprachig, da viele Juden die Auflösung der Sowjetunion, wo vielfach eine antisemitische Stimmung herrschte, zur Emigration genutzt hätten, so Sara. „Sie sind eine starke Bereicherung für uns.“

 

Viele Juden sind nach Berlin zurückgekommen

 

Eingeweiht wurde die Synagaoge in der Rykestraße am 4. September 1904. „Bis in die 30er-Jahre gab es auch in Prenzlauer Berg ein starkes jüdisches Leben“, erklärt Sara. „Zu dieser Zeit gab es in der Synagoge 2.000 Plätze“, sagt Sara. Ihrer Lage im Hof zwischen den auch von Nicht-Juden bewohnten Mietshäusern verdankt die Synagoge, dass sie in der Pogromnacht 1938 nicht in Brand gesteckt wurde. „Jedoch wurde die Inneneinrichtung zerstört und die Synagoge danach als Lagerraum missbraucht, eventuell sogar als Pferdestall“, sagt Sara.

Verboten wurde der Gottesdienst ab April 1940. Der erste Gottesdienst nach dem Zweiten Weltkrieg fand am 13. Juli 1945 in der Synagoge statt. Damals seien nach und nach viele Juden mit der Idee nach Berlin zurückgekommen, dass hier ein neues Deutschland aufgebaut werde, meint Sara. Später wurde die Synagoge dann renoviert, doch die jüdische Gemeinde blieb eher klein und unbedeutend. „Man war DDR-Bürger, kein Jude. Das Judentum war kein Thema“, sagt sie.

Auch nach der Wende entwickelte sich das jüdische Leben in Prenzlauer Berg nur schleppend. Dennoch wurde die Synagoge wieder in Stand gesetzt und 2007 feierlich wiedereröffnet. Bis auf die Bäckerei Kädtler gibt es aber bis heute keine koscheren Geschäfte, Restaurants oder Cafés. Die Bäckerei beliefert die Synagoge mit Challot, einem geflochtenen koscheren Weißbrot, welches an Sabbat und anderen Feiertagen gegessen wird. „Zu DDR-Zeiten gab es noch eine koschere Fleischerei in der Eberswalder Straße“, meint Sara. „Doch auch die ist inzwischen geschlossen.“

 

Es fehlt an Geld für Sicherheitskräfte

 

Besichtigen kann man die Synagoge trotz vieler Anfragen zurzeit nicht, da es am Geld für die notwendigen Sicherheitskräfte fehle. Denn auch heute noch benötige eine Synagoge mehr Schutz als etwa ein christliches Gotteshaus. „Es gibt nach wie vor Antisemitismus, wenn auch unterschwellig“, meint Sara. Vor ein paar Jahren sei sie beispielsweise nicht mehr von einem ihrer Nachbarn gegrüßt worden, nachdem dieser in ihrer Wohnung jüdische Gegenstände gesehen hätte. Aus Angst vor negativen Reaktionen trage sie inzwischen auch keine jüdischen Symbole mehr, sagt Sara.

Aber auch andere Dinge haben Einfluss darauf, wie Juden in Deutschland ihre Religion pflegen. So bekämen traditionell die Kinder an Chanukka Geld, doch in den vergangenen 100 Jahren habe man sich den christlichen Bräuchen angenähert, so Sara. „Inzwischen bekommen die jüdischen Kinder genau wie ihre Freunde und Schulkameraden Geschenke.“ Scherzhaft werde das Fest daher inzwischen auch „Weihnukka“ genannt.

 

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