Alltag an der Allee

von Juliane Schader 20. März 2013

Fotobände aus Prenzlauer Berg müssen gar nicht historisch sein, das beweist „Berlin – Ecke Schönhauser“. Die aktuelle Alltagsfotografie Eberhard Klöppels zeichnet ein wunderbares Stadtteilportrait, ganz ohne Milchschaum.

Sankt Martin trägt einen Fahrradhelm und eine Daunenjacke. Damit er und sein weißes Pferd sicher über die Kastanienallee kommen, hat ein Polizist in Warnweste schon die Kelle ausgestreckt, um das heranrollende Auto zu stoppen. Am Straßenrand warten hinter einer dünnen Absperrkordel die Kinder mit selbstgebastelten Laternen und Wollmützen; die Aufregung steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Im Hintergrund checkt eine Mutter noch schnell ihr Handy. So wunderbar passt in zwei Momentaufnahmen, wie sich der Prenzlauer Berg zwischen Tradition und moderner Großstadt derzeit schlägt.

Die Fotos stammen vom Berliner Fotografen Eberhard Klöppel, der sich in den vergangenen zwei Jahren zur Aufgabe gemacht hat, den modernen Prenzlauer Berg abzulichten. Klöppel, Jahrgang 1940 und lange Bildreporter der „Neuen Berliner Illustrierten“, war bereits in der Vergangenheit hier unterwegs und hat unter anderem den Abriss des Gaswerks und den Neubau des Ernst-Thälmann-Parks mit seiner Kamera begleitet. „Berlin – Ecke Greifswalder“ heißt der Bildband aus dem Lehmstedt-Verlag, der sich, vor zwei Jahren veröffentlicht, genau dieses Themas annimmt. Schon bei dessen Zusammenstellung entstand die Idee, den historischen Fotos eine Sammlung aktueller entgegen zu setzen. Ende 2012 erschien dann „Berlin – Ecke Schönhauser“. „Alltag in der Großstadt“ lautet der bescheidene Untertitel. Dahinter verbirgt sich eine Zusammenstellung aus Momentaufnahmen, Portraits und Panoramen, die dem – einmal muss es noch gesagt werden – vermeintlichen Szenebezirk so schön hinter die Fassade blicken.

 

Punks statt Bugaboo

 

Da ist das Wiedersehen mit Menschen, die man aus dem Stadtbild schon lange kennt: Die Punks Bolle und Suse mit Hund und Spendendose, die Straßenmusikerin vor den Arcaden, der Verkäufer vor seinem Armeeladen. Daneben alltägliche Szenen wie die zwei Männer in neonorangener Arbeitskleidung, die mit Kreppklebeband und weißer Farbe für Fahrradmarkierungen auf der Straße sorgen. Der ältere Herr im Anzug, der, die Currywurst in der linken, die Flasche Berliner in der rechten Hand, sich gerade von der Konnopkeschen Theke zu einem der Stehtische dreht. Der Betrunkene im Mauerpark, der sich für ein kleines Nickerchen in einen Fahrradanhänger gebettet hat.

Was fehlt, das sind die glattpolierten Fassaden, die Bugaboos, die Milchkaffeetrinker. Zum Glück! Denn genau dieser Tatsache verdankt der Band seine Qualität. Hier ist ein Stadtteilportrait gelungen, das die gängigen Klischees links liegen lässt – so, wie es die Schönhauser Allee eben tut. In dreißig Jahren wird man ihn zu Hand nehmen können, um sich noch einmal zu vergegenwärtigen, wie es Anfang der 10er Jahre hier im Kiez aussah. Genau so, wie wir es mit den derzeit so beliebten historischen Bildbänden heute tun.

 

Recht am eignenen Bild statt auf Momentaufnahmen

 

Dabei hatte es Klöppel mit verschärften Bedingungen zu tun, wie Herausgeber Mathias Bertram in seinem Vorwort schreibt. Zwar nehme sich längst jeder die Freiheit, seine Individualität auch in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen. „Doch in jenem Moment, in dem man das Gesehene auf einem Film oder in Bildpunkten festhalten will, wird der öffentliche Anblick zum privaten Besitz und darf nicht ohne weiteres verwendet werden.“ Für die Straßenfotografie, die vom Augenblick lebt, keine einfachen Zeiten.

Den Bildern, die es in den Band geschafft haben, sieht man diese Probleme jedoch nicht an. Die Fußballfans bei der WM im Prater, die Besucherinnen des jüdischen Friedhofs, die tanzenden Nonnen beim Sommerfest in der Kleingartenanlage Bornholm II – sie alle wirken so unmittelbar, wie man es von etwas mit dem Titel „Berlin – Ecke Schönhauser“ eben erwartet.

Eberhard Klöppel: Berlin – Ecke Schönhauser. Alltag in der Großstadt. Fotografien 2010 bis 2012. Herausgegeben von Mathias Bertram. Lehmstedt Verlag, Leipzig 2012. 176 Seiten, 24,90 Euro.

 

 

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