Gewalt

Raus aus der Gewaltspirale

von Christina Heuschen 24. November 2023

Die Fälle häuslicher Gewalt nehmen zu. Präventionsprojekte wie das Frauenzentrum „Paula Panke“ könnten dagegen helfen, doch sie kämpfen seit Jahren um mehr Geld.


Er will nur wissen, was sie macht. Die Frage scheint harmlos. Also antwortet sie ihm, aber er glaubt ihr nicht. Die Fragen werden immer präziser: Mit wem, wo und wann? Irgendwann beschimpft er sie und durchsucht ihre Sachen. Viel später tritt und schlägt er sie. Er entschuldigt sich sofort, sie verzeiht ihm. Doch kurz darauf fängt alles wieder von vorne an. Die Verdächtigungen, die Beschimpfungen, die Kontrolle, die Schläge. Immer wieder. Für eine Menge Frauen gehören solche oder ähnliche Erlebnisse zu ihrem Alltag, oft geschehen sie zuhause im Verborgenen.

„Das Problem ist häufig, dass viele Frauen anfangs gar nicht wissen, dass sie von Gewalt betroffen sind“, sagt Nadja Bungard von „Paula Panke“. Das Frauenzentrum im Bezirk Pankow berät Frauen bezirksübergreifend in rechtlichen, sozialen und psychischen Konfliktsituationen und bietet Schutz, wenn sie und ihre Kinder häusliche Gewalt erleben.

Erst wenn sie ein blaues Auge haben, realisieren viele Frauen, dass sie sich in einer toxischen Beziehung befinden, erklärt Bungard. Häusliche Gewalt beginne aber viel früher. Sie sei ein Prozess, der sich über Jahre von der psychischen Gewalt oder dem finanziellen Druck bis zur körperlichen Gewalt steigern könne. Das erschwert es Frauen, sich aus der Gewaltspirale zu befreien.

Dass viele Menschen die Warnsignale übersehen, habe auch mit patriarchalen Machtstrukturen zu tun, erklärt eine Kollegin von Bungard, die Frauen in Zufluchtswohnungen betreut. Um diese besser schützen zu können, möchte sie ihren Namen nicht nennen. „Ich denke, dass kennen fast alle Frauen und ich will mich da nicht ausschließen“, sagt sie.

 

Häusliche Gewalt Alltag in Deutschland

Dass die Arbeit der beiden Frauen nötig ist, zeigt das aktuelle Lagebild des Bundeskriminalamtes zur häuslichen Gewalt. Im Jahr 2022 erfasste die Polizei demnach 240.547 Opfer häuslicher Gewalt, das sind 8,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Rund 71 Prozent der Betroffenen waren Frauen und in ungefähr 76 Prozent der Fälle waren die Täter Männer – bei der Mehrheit handelte es sich bei dem Täter um einen (ehemaligen) Partner.

Auch in Berlin verzeichnet die Polizei immer mehr Delikte partnerschaftlicher Gewalt und Tötungen von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Die Zahlen dürften jedoch weitaus höher liegen, da die Statistiken nur die bei der Polizei angezeigten Fälle erfasst. Einige Frauen zeigen die Täter aus Angst oder Scham nicht an.

 

Große Nachfrage nach Schutzplätzen

Oft dauert es Jahre, bis sich Betroffene an Beratungsstellen wie „Paula Panke“ wenden. Die meisten Anfragen erhalten Bungard und ihre Kolleginnen über die Hotline der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG). Manchmal kommen Frauen auch, weil sie an einer der Veranstaltungen des Frauenzentrums teilgenommen haben oder weil sie über Freund*innen davon gehört haben.

Im vergangenen Jahr haben so sechs Frauen mit neun Kindern Schutz in einer der Zufluchtswohnungen von „Paula Panke“ gefunden. In diesem Jahr waren es bis Ende Oktober bereits zehn Frauen und elf Kinder. Anfragen gebe es jedoch deutlich mehr, berichtet Bungard. Allein in diesem Jahr habe das Frauenzentrum 66 Anfragen für einen Schutzplatz erhalten. Doch den hohen Bedarf kann „Paula Panke“ nicht allein decken.

Manche Frauen bleiben nur wenige Tage, die meisten aber mehrere Wochen oder Monate in einer der Zufluchtswohnungen. In dieser Zeit helfen Sozialarbeiterinnen ihnen, bürokratische Hürden zu überwinden. Sie beantworten rechtliche Fragen, unterstützen bei finanziellen Problemen. Vor allem aber arbeiten sie mit den Betroffenen das Erlebte auf und ermutigen sie, eine neue Lebensperspektive zu entwickeln.

 

Gravierende Defizite in Deutschland

Dass dies möglich ist, soll die Istanbul-Konvention sicherstellen. In Deutschland ist sie 2018 in Kraft getreten und in nationales Recht umgesetzt worden. Die Bundesregierung hat sich damit verpflichtet, Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu verhindern und zu bekämpfen sowie Betroffene durch umfassende Präventionsmaßnahmen zu schützen.

Doch bei der Umsetzung sieht der Europarat in Deutschland gravierende Defizite. Frauenhäuser und Beratungsstellen seien sehr ungleich verteilt und gerade in ländlichen Gegenden rar gesät, teilte die Expert*innengruppe des Europarates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO) in einem Bericht im vergangenen Jahr mit. In größeren Städten gebe es zwar grundsätzlich Beratungsangebote für die meisten Formen von Gewalt, oft hätten diese aber lange Wartelisten.

GREVIO rügte in seinem Bericht außerdem, dass gewalttätige Väter in Deutschland ein Sorge- oder Besuchsrecht erhielten, ohne dass Sicherheitsbedenken der Frauen oder Kinder ausreichend berücksichtigt würden. Zusätzlich müsste es mehr Schulungen geben, damit Menschen, die mit Opfern oder Tätern von Gewalt zu tun haben, diese auch erkennen können.

 

Mehr Prävention nötig

Feministische Zentren und Empowerment-Projekte weisen seit Jahren auf diese Probleme hin. Erst Anfang September erklärte BIG-Geschäftsführerin Doris Felbinger, dass es nicht ausreiche, Schutzplätze auszubauen. Diese bekämpften nur die Symptome und nicht die Ursachen. „Wir dürfen Gewalt nicht tolerieren, müssen Aufklärungsarbeit leisten und fortbilden und vor allen Dingen auch die Prävention deutlich stärken.“

Das bestätigen auch Bungard und ihre Kollegin. Feministische Projekte wie „Paula Panke“ hangeln sich seit Jahren von einer Projektförderung zur nächsten. Ständig müssen sie Anträge stellen, oft bleibt unklar, wie es mit begonnen Projekten weitergeht. Das kostet Zeit, die so für den Kampf gegen häusliche Gewalt fehlt.

 

Finanzierung problematisch

Dennoch muss das Frauenzentrum immer wieder um seine Finanzierung bangen – auch in diesem Jahr. „Es wird immer gehandelt, wenn es brennt. Dann wird Geld ausgeschüttet“, kritisiert Bungard. Man könne viel mehr erreichen, wenn man früher anfange. Die Präventionsarbeit sei der Schlüssel. Dadurch gebe es viel weniger Leid und es kostet weniger.

Tatsächlich ist die Arbeit von „Paula Panke“ ein wichtiger Bestandteil der Umsetzung der Istanbul-Konvention. Das Frauenzentrum bietet nicht nur Schutzplätze, sondern auch professionelle Beratungen. Mit Lesungen, Ausstellungen und Diskussionsrunden sensibilisiert das Zentrum für häusliche Gewalt. Wenn dies nur eine Frau ermutige, sich zu befreien, habe sich die Arbeit gelohnt, finden Bungard und ihre Kollegin.

 


Wenn ihr selbst häusliche Gewalt erlebt oder eine Person kennt, die betroffen ist, dann findet ihr hier Hilfe:
– Polizei: 110
– Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (bundesweit): 116 016

– Hotline der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) (Beratung und Vermittlung): (030) 611 03 00

– Lara – Krisen- und Beratungszentrum für Frauen + Mädchen: (030) 216 88 88

– Wildwasser – Beratung für sexuell misshandelte Mädchen und Frauen: (030) 693 91 92

Bora, Hestia e.V. und Frauenzentrum Paula Panke e.V. im Bezirk Pankow: Auf den Websites der einzelnen Hilfsstellen findet ihr Telefonnummern zu den jeweiligen Beratungsstellen, Frauenhäusern und Zufluchstwohnungen.

 

Titelbild: Nadine Shaabana/Unsplash

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