Eva von Schirach

Vielen Dank für die Blumen

von Julia Schmitz 6. September 2022

Seit dem Brandanschlag im Januar steht die Paul-Gerhardt-Kirche in der Wisbyer Straße leer. Eva von Schirach bespielt das Gebäude jetzt mit einem Kunstprojekt, bei dem Alle mitwirken können.


An diesem Vormittag bin ich ausnahmsweise froh, eine FFP2-Maske über Mund und Nase ziehen zu müssen. Der Geruch in der Paul-Gerhardt-Kirche, die ich über den Hintereingang betrete, ist stechend scharf; es riecht, als hätte hier ein riesiges Lagerfeuer gebrannt. Doch was Assoziationen von Gemütlichkeit und Wärme hervorruft, hat einen bitteren Beigeschmack: Am 20. Januar verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf das Gotteshaus. Das Feuer hat den Altar komplett zerstört, ein Teil der Orgelpfeifen ist geschmolzen, an den Wänden haben Ruß und Löschwasser schwarze Schlieren hinterlassen. „Es sieht aus, als ob die Wände weinen würden“, sagt Eva von Schirach.

Aber hat ein Gebäude Gefühle? Und hilft es bei der Heilung, wenn man ihm Lieder vorspielt oder Blumen schenkt? Eva von Schirach glaubt an die Kraft der Symbolik. Im Rahmen ihres Kunstprojektes „Umbau ist immer“ führt sie regelmäßig Menschen durch die Kirche in der Wisbyer Straße. Wobei Führung nicht der passende Begriff ist: Sie rattert keine historischen Daten der Gemeinde herunter, schaut vielmehr zu, welche Gefühle und Gedanken der Anblick des Ortes in den Besucher*innen auslöst.

Kirche

Der Altar in der Paul-Gerhardt-Kirche ist komplett abgebrannt / Foto: Julia Schmitz

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Kein Kirchenmitglied

Und niemanden lässt das kalt. „Manche fühlen sich dieser Kirche so verbunden, dass sie eine Beruhigungstablette nehmen müssen, bevor sie hier reinkommen“, erzählt Eva von Schirach, die Ethnologie studiert hat und als Schriftstellerin und Künstlerin arbeitet. Andere sind einfach neugierig, wie es im Inneren nach dem Brand aussieht. Immer wieder erlebt sie, dass das Gebäude in seinem jetzigen Aussehen zu einer Offenheit bei den Menschen führt, dass diese im Gespräch über sich und ihre Beziehung zu Religion und Kirche nachdenken. Sie selbst ist nicht in der Kirche: „Aufgrund meiner Familiengeschichte habe ich eine große Abneigung gegen Organisationen, bei denen man Mitglied werden muss“, sagt sie; ihr Großvater war Baldur von Schirach, der als „Reichsjugendführer“ der NSDAP zu den Hauptangeklagten der Nürnberger Prozesse gehörte.

Der Kirche als Institution steht sie kritisch gegenüber, aber das Kirchenschiff in Prenzlauer Berg fasziniert sie trotzdem. Die evangelische Gemeinde hatte den Umbau des Hauptraumes schon länger geplant, unter anderem will sie den Steinboden durch einen weicheren Boden ersetzen, um Platz zu schaffen für Gruppen des Sportvereins Pfefferwerk – eine eher ungewöhnliche Nutzung des sakralen Gebäudes, welches die Gemeinde trotzdem nicht entwidmen, sondern weiter für Gottesdienste nutzen will. Eva von Schirach wollte dem Gebäude während dieser Zeit künstlerisch zur Seite stehen. Jetzt hat ihr Projekt eine völlig neue Dimension bekommen.

 

Die Veränderung sichtbar machen

Neben den Baustellenbegehungen gibt es weitere Möglichkeiten, an dem Kunstprojekt teilzunehmen: „Jeder kann ein Musikstück oder einen Blumengruß schicken“, erzählt sie. Die Liedtitel spielt sie vor Ort ab, die Blumengrüße – oft sind es Fotografien von Sträußen oder Topfpflanzen – projiziert sie an die Wände oder Fenster der Kirche. „Von der Straße aus kann man nicht erkennen, dass es hier überhaupt gebrannt hat“, sagt sie; „Ich möchte die Veränderung, auch während des Umbaus, sichtbar machen.“

Alle Gespräche zeichnet Eva von Schirach auf, auch die Projektionen und musikalischen Grüße hält sie fest. Manche davon hat sie auf der Homepage des Kunstprojektes in kurzen Texten und Gedichten festgehalten, könnte sich vorstellen, die Fotos und Videos später zusammengesetzt an anderen Orten der Stadt zu zeigen. Für all jene, die es nicht über das Herz bringen, die verwundete Paul-Gerhardt-Kirche selbst zu betreten.

Umbau ist immer“ von Eva von Schirach läuft zunächst bis Ende Oktober 2022 in der Paul-Gerhardt-Kirche, Wisbyer Straße 7.

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