Wasserturm

Turm ohne Wasser

von Julia Schmitz 1. August 2022

Vom nassen Zentrum Prenzlauer Bergs zu einem der ruhigsten Orte des Stadtteils: Der Park am Wasserturm ist klein, aber sehr fein.


Vor 135 Jahren hätte ich einen Badeanzug gebraucht, um hier zu sitzen. Oder besser gesagt, um zu schwimmen: Wo heute Hundebesitzer*innen mit ihren Vierbeinern über die Wiese toben und Anwohner*innen mit einem Buch auf der Bank in der Sonne sitzen, befand sich früher nämlich ein offenes Becken mit 3.000 Kubikmetern Wasser.

Die britischen Bauingenieure und Erfinder Thomas Russell Crampton und Charles Fox hatten es 1856 erbauen lassen, um die Wasserversorgung in der beständig wachsenden Stadt zu sichern. Rundherum gab es kaum Häuser, sondern hauptsächlich Äcker mit zahlreichen Windmühlen. Der Prenzlauer Berg, wie wir ihn heute kennen, lag noch einige Jahrzehnte in der Zukunft.

 

Ort der Großstadtromantik

Die Grünfläche auf dem Plateau am Wasserturm ist winzig, vergleicht man sie mit den größeren Kollegen wie Mauerpark, Thälmannpark oder Volkspark Prenzlauer Berg. Und doch hat sie in meinen Augen zehnmal mehr Charme. Abends sitze ich oft mit Freund*innen auf einer der verwitterten Parkbänke und betrachte bei einem Glas Wein den Sonnenuntergang im Kiez: Das ist für mich pure Großstadtromantik. Und obwohl der Hügel nur wenige Meter hoch ist fühlt es sich an, als stünde man hier gewissermaßen über den Dingen.

Wie so viele Orte in dieser geschichtsträchtigen Stadt hat allerdings auch der Wasserturm ein paar dunkle Flecken in der eigenen Vergangenheit. Nachdem Berlin den beiden Briten die Anlage 1874 abgekauft hatte, das Becken 1890 überdachen ließ und kurz darauf den sechsstöckigen Turm baute, folgten zunächst einige Blütejahre der Wasserversorgung.

Die Windmühlen in der Umgebung wurden in Windeseile durch eine flächendeckende Gründerzeitbebauung ersetzt; der Wasserbehälter musste 1907 sogar ein paar Meter höher gelegt werden, weil aus den umliegenden Wasserhähnen nur Rinnsale tropften. Nur sieben Jahre später stellte die Stadt die Maschinen an der Belforter Straße allerdings ab, das Wasser kam jetzt aus größeren Speichern. Auf der Straßenebene entstand eine erste Grünanlage, durch die die gutbürgerliche Bewohnerschaft flanieren konnte.

Wasserturm

Früher Wasserbecken, heute Park / Foto: Julia Schmitz

 

Wildes Konzentrationslager

Bis am 30. Januar 1933 Adolf Hitler die Macht übernahm und seine mörderische Gefolgschaft auch vor Prenzlauer Berg nicht haltmachte. Der Kiez rund um den Wasserturm, heißt es, sei überwiegend sozialistisch und kommunistisch eingestellt gewesen. Ob die Nazis sich deshalb entschieden, die leeren Hallen am Wasserturm für ein „wildes Konzentrationslager“ zu nutzen? Bis 1934 inhaftierten sie hier alle, die es wagten, das Regime zu kritisieren. Als ihre mörderischen Vorhaben weitere Kreise zogen, bauten sie größere Konzentrationslager im Umland – den Wasserturm nutzte die SA jetzt als Speisesaal.

Bei meinem Besuch weht ein leichter Wind durch die Bäume, die Weinreben am Südhang des Hügels knistern; es ist ruhig bis auf ein Auto, das über das Kopfsteinpflaster der Belforter Straße klappert. Heute ist es ein friedlicher, schöner Ort. Ich bekomme eine Gänsehaut als ich mir vorstelle, wie viele Menschen an diesem Ort brutale Folterungen erlitten haben oder ermordet wurden. Lange Zeit blieb dieses Kapitel unerwähnt, seit 1981 erinnert eine Gedenkwand an die Verbrechen.

 

Der Turm in der Literatur

Immer wieder stand der Wasserturm im Mittelpunkt von Filmen und Literatur: Christiane Neudecker verlegte in ihrem Roman „Der Gott der Stadt“ eine hochrangige Schauspielschule in die Gewölbe, für die Hauptfigur in Lutz Seilers preisgekrönten Roman „Stern 111“ ist der Wasserturm in der unmittelbaren Nachwendezeit wichtigster Orientierungspunkt auf dem Nachhauseweg und Synke Köhler hat ihren Roman Die Entmieteten ebenfalls hier angesiedelt.

In dem sechs Geschoss hohen Turm befinden sich heute schick sanierte Wohnungen. Der Kiez rund um die Belforter Straße ist längst nicht mehr kommunistisch, sondern gut bürgerlich geprägt. Doch oben, auf dem Plateau des Wasserturms, lassen sich Gentrifizierung und Mietenexplosion für einen Moment vergessen.

 

Titelbild: Julia Schmitz

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