Sozialprojekt Dunckerstraße

„Die Grundversorgung ist unser Magnet“

von Sonja Koller 23. Februar 2022

In der Dunckerstraße befindet sich eine Kontakt- und Beratungsstelle für Menschen in prekären Lebenssituationen, die selbst zu kämpfen hat. Die Lage des Sozialprojektes hat sich nicht nur durch Corona verschlechtert.


Heute wird in der Dunckerstraße 32 Kartoffelsuppe serviert. Schon um 11:30 Uhr sind einige Menschen da, um zuzuschlagen. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein Gericht eines besonders beliebten Restaurants in Prenzlauer Berg. Die Menschen, die heute für einen Teller Kartoffelsuppe in der Schlange stehen, sind hilfsbedürftig. In die Dunckerstraße kommen sie, weil sie dort kostenlos ein warmes Mittagessen, Frühstück und Sozialberatung kommen. Nicht alle der Menschen, die hier nach Hilfe suchen, sind obdachlos. Denn manche haben zwar eine Wohnung, befinden sich aber in einer schwierigen, existenzbedrohenden Lage.
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Jede Person, die hierhin kommt, muss zuerst an Klaus vorbei. Er arbeitet als Sozialassistenz in der Einrichtung für Hilfsbedürftige in der Dunckerstraße; sie gehört zum Verein „Beratung und Leben“, der neben dieser noch 22 weitere Beratungsstellen betreibt. und dem Dachverband Diakonisches Werk unterstellt ist. Genauer: Der Immanuel Albertinen Diakonie. Heute kontrolliert Klaus Impfnachweise.

Denn wer gegen Corona geimpft ist, kann in dem großzügigen Gemeinschaftsraum Platz nehmen. Für alle anderen sind draußen Stehtische aufgestellt. Dort können sich die Gäste an weiteren Lebensmitteln bedienen, auch sie sind kostenlos. Dieses Mal können die Besucher*innen neben dem Mittagessen auch Brötchen, Salat und Artischocken mitnehmen. Die Zutaten sind abgelaufen aber genießbar und wurden von Bäckereien sowie dem nahegelegenen Edeka gespendet. Bleiben Brötchen übrig, holt sie jemand ab, um sie auf einem Bauernhof an Tiere zu verfüttern. Hier kommt nichts weg, was andere noch stärken kann. Einzig der Kaffee, der im Sozialprojekt angeboten wird, ist nicht abgelaufen und so günstig, wie kaum wo anders in Prenzlauer Berg: zehn Cent kostet ein Becher.

Wer möchte, kann auch in den Computerraum oder seine Post abholen. Letztere Möglichkeit ist besonders wichtig.  Denn ohne Postadresse sind Menschen im deutschen Behördensystem aufgeschmissen. Ohne Adresse hat niemand eine Chance beim Arbeitsamt oder auf dem Wohnungsmarkt. Deswegen kommen hier in der Dunckerstraße Briefe für besonders viele Menschen an, sie durften sich hier eine Postadresse einrichten. Falls ein Brief die Besucher*innen überwältigt, können sie direkt mit den Sozialarbeiter*innen in der Einrichtung sprechen.

 

Hilfe kann auch belasten

Drei Sozialarbeiter*innen arbeiten hier, sie teilen sich eineinhalb Stellen. Immer von neun bis 14 Uhr sind sie für die Klient*innen da. Doch das reiche einfach nicht, erzählt die Einrichtungsleiterin Simona Barack. Sie brauche eine Finanzierung für weitere Stellen. Denn genau die seien vor gut zwei Jahren im Sozialausschuss der Bezirksverordnetenversammlung gekürzt worden. Jetzt fehle es an der für diese Einrichtung so wichtigen Zeit für Sozialberatungen. „Das eine ist die Suppe, die sie hier bekommen. Aber eigentlich brauchen die Menschen Hilfe, um wieder Fuß zu fassen. Die Grundversorgung ist unser Magnet. Die Beratung kommt danach“, so Barack.

Doch anstelle einer Finanzierung bekäme sie oft Hilfe, die eher eine Belastung sei: „Kleidung brauche ich nicht“, sagt sie. Die müsse Andreas, der Fahrer, extra zu einer Kleiderkammer fahren. Anders, als manche Anwohner*innen vermuten, sei eine Anlaufstelle für Obdachlose nicht automatisch ein Ort, an dem Kleidung an diese verteilt werde.

Zu  Monatsbeginn werden hier etwa 60 Mahlzeiten täglich ausgegeben, am Monatsende sind es häufig über 100. Heute geht eine davon an Toni. Vor einem halben Jahr sei er jeden Tag hier gewesen, erzählt Barack, die ihn freudig begrüßt. Jetzt aber komme er seltener. Früher, so erzählt Toni, habe er in Weißensee übernachtet und sei täglich nicht etwa zu näheren Sozialprojekten gegangen, sondern nach Prenzlauer Berg in die Dunckerstraße gekommen. Der Grund: Das Essen sei einfach besser sei als in vergleichbaren Einrichtungen in Berlin. Toni gehört zu rund 400 Leuten, die das Projekt in der Dunckerstraße kennen und kommen, wenn sie etwas brauchen.

Foto: Sonja Koller

 

„Ohne die Diakonie könnten wie nicht agieren“

Für  alle Kosten, die vom Bezirksamt nicht abgedeckt werden, muss der diakonische Träger aus Eigenmitteln aufkommen. Dazu gehören die Kosten für Benzin, eine Autoreparatur oder den neuen Rechner für den Computerraum. Gerade ist der Staubsauger kaputt. Für das Geld, dass Barack für einen neuen braucht, muss die Diakonie einspringen. Davor hat die Einrichtungsleiterin auf Facebook und auf nebenan.de um Hilfe gebeten und von Privatpersonen drei Angebote für Staubsauger bekommen. Doch die seien schon jetzt Müll. „Die Leute wollen ihr Gewissen bereinigen und spenden kaputte alte Staubsauger“, krisiert Barack. Viele Sachspenden seien unbrauchbar.

„Ohne die Diakonie könnten wir nicht agieren“, sagt Barack. Doch durch Corona finden immer weniger Gottesdienste vor Ort statt, es kommen so deutlich weniger Spenden zusammen, als es noch vor der Pandemie der Fall war. Dass die Menschen, die hier nach Hilfe suchen, christlichen Hintergrund haben müssen, sei aber keine Bedingung. „Ich bete nicht mit den Menschen hier“, sagt Barack. Es soll nicht missionarisch sein, eher ginge es darum, im Sinne der christlichen Nächstenliebe Angebote zu machen.

 

Corona erschwert die Arbeit der Einrichtung weiter

Seit dem Winter 2020 hat sich hier in der Einrichtung einiges verändert. Auf der Strecke bleibe vor allem die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, erzählt Barack. Früher habe man zusammen Ausflüge gemacht. Die Sozialarbeiter*innen waren beispielsweise mit gut dreißig hilfsbedürftigen Personen in den Gärten der Welt und im Pergamonmuseum. Doch solche Ausflüge sind aufwendig, zwei der drei Sozialarbeiter*innen, die in der Einrichtung arbeiten, müssen dabei sein. Weil die Stellen gekürzt wurden, ginge das jetzt nicht mehr.

Auch vor Ort mussten fast alle Veranstaltungen gestrichen werden. Früher habe man manchmal zusammen gekocht. Für ein Drei-Gänge-Menü etwa habe man extra eine Tafel geschmückt, weiße Tischdecken aufgedeckt und Kerzen draufgestellt. Auch das Frauen-Frühstück gebe es wegen der Kürzungen und Corona nicht mehr. Eigentlich sei aber das besonders wichtig, weil Frauen auf der Straße außerordentlich vulnerabel seien, schlimme Sachen erlebten und einen Ort nur für sich bräuchten.

Doch nicht nur die Angebote des Sozialprojekts haben sich aufgrund der Pandemie und den Kürzungen im Budget verändert. Auch die Bedürfnisse der Menschen, die hier herkommen seien jetzt anders, erzählt Barack. „Einer der ersten Orte, die, während Corona zugemacht haben, waren die Ämter. Diese Gruppe von Menschen ist da total ausgeschlossen gewesen. Die, die weder Smartphone noch Tablet oder gar Internetzugang haben. Ich habe die Arbeit der Ämter teilweise mitgemacht. Noch mehr als vorher.“

Foto: Sonja Koller

 

Nun suchten im Sozialprojekt Menschen Hilfe, die deutlich jünger seien als es vor Corona der Fall war. Es seien Personen, die vorher selbstständig waren oder in der Gastronomie gearbeitet haben. Durch die Pandemie haben sie jedoch ihre Wohnung verloren oder kein Geld mehr. Es sei schwierig, die erhöhte Nachfrage nach Sozialberatungen zu decken, so Barack.

 

Die Menschen hinter der Suppenschüssel

Ist die Suppe aufgegessen, gehen die leeren Teller zurück zu Matze in die Küche. Zehn Jahre lang hat er als Koch gearbeitet, eine Ausbildung hat er nicht. Jetzt überlegt er, wie es weitergehen soll. Bis es mit dem neuen Job klappt, hilft er hier in der Küche aus „und auch überall anders, wo man mich braucht.“ Schon zum zweiten Mal arbeitet er in der Einrichtung, weiß aber gar nicht genau, für wie viel Monate ihn das Arbeitsamt dieses Mal zugeteilt hat. Er ist einer von sechs Personen, die hier gerade für etwa zwei Euro die Stunde arbeiten. Den Job hat er, um seine Rückkehr ins Berufsleben zu erleichtern, im Takt des Arbeitslebens zu bleiben.

Auch Klaus, der mittlerweile als Sozialassistenz arbeitet, hat in der Küche des Sozialprojekts angefangen. Damals sei es ihm schwer gefallen, aus dem Stand für 60 Personen zu kochen. Erfahrung in der Küche habe er damals noch keine gehabt, musste aber teilweise sieben verschiedene Nudelarten mit verschiedenen Garzeiten zubereiten.

Denn die Zutaten, mit denen gekocht wird, sind gespendet. Andreas verwaltet sie im Lagerraum. Er ist gerade 62 Jahre geworden: für das Arbeitsamt gilt das als zu früh für die Rente, für Arbeitgeber*innen zu spät für einen neuen Job. Jetzt, so erzählt er, schwebe er dazwischen, schreibe täglich Bewerbungen. Er wolle sich aber nicht unter seinem Wert verkaufen. Deswegen sei auch er nun erneut für drei Monate beim Sozialprojekt tätig. Das sei besser, als deprimiert zu Hause zu sitzen, erklärt Barack. Andreas stimmt ihr zu. Außerdem verlerne er das Fahren nicht, wenn er zudem auch immer wieder als Fahrer aushelfen könne, erzählt Andreas. Einen Führerschein habe er, ein Auto, mit dem er die Fahrpraxis beibehalten könne, nicht.

Foto: Sonja Koller

 

Menschen wie Andreas, Matze und Klaus und der Einrichtung zu helfen, sei eigentlich ganz einfach. Dabei sollte man aber darauf achten, einen Fehler zu vermeiden. „Spenden kann man immer brauchen. Dann können wir das kaufen, was wir auch wirklich brauchen“, meint Barack. Wer regelmäßig spenden will sollte das über den Förderverein „Beratung und Leben“ tun.

Langsam versucht das Sozialprojekt wieder, sich aufzurappeln. Menschen sollen nicht nur wegen des warmen Essen in die Dunckerstraße kommen. Deswegen will Barack nun einmal im Monat nachmittags einen Film zeigen. Auch Spielenachmittage sollen wieder stattfinden. Dann können die hilfsbedürftigen Menschen bei Doppelkopf und Kanaster für ein paar Stunden ihren Alltag vergessen.

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