Andreas Ziehl moskito gegen Antisemitismus

Ein weites Feld

von Kristina Auer 27. Juni 2018

„Das christlich-jüdische Abendland ist erstunken und erlogen“, sagt Andreas Ziehl von der Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus. Ein Gespräch über die vielen Gesichter von Antisemitismus.


Prenzlauer Berg hat eine Fach- und Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus und für Demokratie und Vielfalt: Das Büro von moskito liegt am Teutoburger Platz, beim sozialen Träger Pfefferwerk und wird vom Bezirk Pankow gefördert. Moskito setzt sich für ein solidarsiches Gemeinwesen ohne Diskriminerung ein und koordiniert seit 2015 das UnterstützerInnen-Netzwerk Pankow Hilft! für Geflüchtete. Seit 2005 sammelt moskito im Pankower Register rassistische, antisemitische, homophobe oder auf andere Art diskriminierende Vorfälle. Andreas Ziehl arbeitet dort seit fünf Jahren.

Wir treffen uns vor dem Café Chagall am Senefelder Platz. Draußen sitzen ist heute keine gute Idee, über uns braut sich gerade was zusammen, also auf ins Innere. Ganz schön dunkel ist es hier drin, so kurz nach Mittag, aber auch wunderbar ruhig. Wir setzen uns in Fensternähe und beobachten aus gemütlicher Distanz den heraufziehenden Sturm. Andreas Ziehl bestellt schwarzen Kaffee, ich Saftschorle. Auf einem Messingschild hinter ihm an der Wand steht dieser etwas kitschige Spruch: Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende

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Herr Ziehl, ich habe neulich mal zwanzig Minuten lang im Pankower Register gelesen, danach war ich ziemlich deprimiert. Was macht Ihr Job mit Ihrem Menschenbild?

Das ist unterschiedlich: Einerseits lehrt er einen, dass man wachsam bleiben muss. Keine Gesellschaft ist davor gefeit, in autoritäre oder menschenverachtende Strukturen zu kommen. Dass gewisse Formen nicht mehr passieren, ist die Verantwortung von uns allen. Deswegen glaube ich ist es gut, sich damit auseinanderzusetzen. Besonders wenn man sich im Nachhinein nicht vorwerfen will, dass man nichts mitgekriegt hätte.

Auf der anderen Seite bin ich auch immer wieder überrascht, wie viele unterschiedliche Menschen sich für eine menschenfreundliche Gesellschaft einsetzen wollen – auch wenn es natürlich immer noch viel mehr sein dürften (lacht). Aber ich bin der festen Überzeugung, dass es die große Mehrheit ist, die so eine offene und inklusive Gesellschaft will. Dass es immer wieder solche Leute gibt, die sich engagieren, ermuntert mich.

 

Was können Sie mir durch Ihre Arbeit bei moskito über Antisemitismus in Prenzlauer Berg sagen? In was für einer Situation befinden wir uns jetzt im Moment?

 

Wir verzeichnen in den letzten Jahren einen leichten Anstieg bei den antisemitischen Taten, was aber auch daran liegen kann, dass es jetzt das Recherche- und Informationszentrum Antisemitismus (RIAS) gibt, das sich zunehmend mit der jüdischen Gemeinde vernetzt. Das kann zur Folge haben, dass dort langsam immer mehr Fälle gemeldet werden, die sonst nicht bekannt geworden wären. Insgesamt sind die Zahlen nicht wahnsinnig hoch, es lässt sich aber schwer quantifizieren, wie viele Vorfälle gar nicht gemeldet werden. Deswegen kann ich auch nur alle ermutigen, uns möglichst viele Fälle zu melden.

In Prenzlauer Berg passieren nach wie vor die meisten Fälle im ganzen Bezirk, auch die meisten körperlichen Angriffe. Das liegt aber auch daran, dass hier die am meisten genutzten Verkehrsknotenpunkte und Umsteigebahnhöfe sind, wo sich die Gelegenheit eher bietet.

Was die Entwicklungen angeht, lässt sich sagen, dass seit den 90er Jahren in Prenzlauer Berg mehrere rechte Gruppierungen aktiv waren. In den frühen 2000er Jahren war dann beispielsweise die VNNO – Vereinigung der Nationalisten Nordost hier recht groß. Die aktiven Gruppen haben sich im Laufe der Jahre örtlich etwas verschoben, in den letzten Jahren wurden vor allem aktive Neonazi-Gruppierungen im Ortsteil Buch bekannt.

Trotzdem finden wir auch in Prenzlauer Berg immer wieder Hakenkreuz-Schmierereien oder auch Aufkleber der Identitären Bewegung. Am Schwimmbad in der Thomas-Mann-Straße wurde neulich „Heil Deutschland“ gesprüht. Die Zahlen sind aber noch nicht so, dass man sagen könnte, hier findet eine Raumeinnahme statt.

 

Gibt es auch Antisemitismus von Gruppen, die sich als politisch links bezeichnen?

Die Kampagne Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) ist auch in Prenzlauer Berg aktiv. Sie wurde ursprünglich von israelischen Linken in Israel gegründet, um darauf aufmerksam zu machen, wie mit palästinensischen Kulturschaffenden umgegangen wird. Beispielsweise ruft BDS zum Boykott des Popkultur-Festivals in der Kulturbrauerei auf, weil es von der Israelischen Botschaft gesponsert wird. Man muss das in Deutschland sehr kritisch betrachten, weil die Kampagne anschlussfähig für antisemitische Argumentationen ist.

Ansonsten wurden von sich selbst als links bezeichneten Gruppen auch immer wieder Bilder und Erzählungen verwendet, die für antisemitische Verschwörungstheorien anschlussfähig sind, also Theorien einer israelischen Weltherrschaft oder ähnliches. Keine Gruppierung ist vor diskriminierenden Strukturen gefeit, das gilt für Antisemitismus ebenso wie für Rassismus oder Sexismus.

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Wie sieht es mit Antisemitismus in der muslimischen Bevölkerung aus?

Grundsätzlich muss man einfach sehen, dass Antisemitismus sehr viele Facetten hat. Dazu empfehle ich das Lagebild Antisemitismus der Amadeu-Antonio-Stiftung, dort werde die verschiedenen Ausprägungen sehr differenziert dargestellt. Aus subjektiven Berichten hören wir, dass antisemitische Diskriminierungen immer wieder zunehmen, wenn es im Nahost-Konflikt neue kritische Ereignisse gibt.

Zu der Frage, ob die Zahl der antisemitischen Taten durch die geflüchteten Menschen, die zu uns gekommen sind, nach oben gegangen sind, gibt es noch keine aussagekräftigen Zahlen. Dass es in der muslimischen Bevölkerung Antisemitismus gibt oder dass Migranten gegebenenfalls einen spezifisch israelbezogenen Antisemitismus mitbringen, damit müssen wir uns auseinandersetzen. Hier ist politische Bildungsarbeit ganz besonders wichtig, beispielsweise die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus ist da sehr aktiv. Hier muss ein Verständnis dafür vermittelt werden, dass durch die Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust Positionen zu Israel in Deutschland anders verhandelt werden und verhandelt werden müssen.

Es muss also immer unterschiedliche Bildungsangebote zum Thema Antisemitismus geben. Da reicht es nicht, zu sagen „Wir haben hier ein christlich-jüdisches Abendland“. Das ist erstunken und erlogen, ein Konstrukt von Rechtspopulisten, das es nie gegeben hat. Es verschweigt, wie jüdische Menschen seit dem Mittelalter bis in die Neuzeit von christlichen Menschen behandelt worden sind. Man muss sich ja nur anschauen, dass offenes jüdisches Leben in Berlin leider nach wie vor nicht möglich ist. Uns erzählen Familien, die schon seit 30 Jahren oder länger in Prenzlauer Berg leben, dass sie immer wieder Drohbriefe bekommen. Wer vom jüdisch-christlichen Abendland fantasiert, hat ein instrumentelles Verhältnis zum Antisemitismus, der weder den Betroffenen von Gewalt und Diskriminierung noch der Komplexität der Dimensionen gerecht wird.

 

Und was kann man gegen all diese Facetten von Antisemitismus tun?

Für die politische Bildung würde ich sagen: Die kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen ist sehr wichtig. Theodor Adorno hat in seiner Erziehung nach Auschwitz geschrieben, es brauche einen kritisch-reflexiven Menschen mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion.

Zusammen mit über hundert sozialen Trägern in Berlin haben wir genau das vor kurzem gemacht und uns in einer gemeinsamen Erklärung zu den Menschenrechten bekannt. Ich glaube, wir sind gerade in einer gesellschaftlichen Situation, wo es notwendig ist, sich zu positionieren. Die Gefahr von Rechtspopulismus ist einfach zu immanent, sei es in Familiengesprächen, bei der Arbeit, oder auch auf den Pausenhöfen. Hier ist es einfach wichtig, Haltung zu zeigen und zu sagen „Halt. Nein. Stop. Das geht jetzt zu weit“. Jetzt haben wir noch die Chance zu sagen: Wir wollen eine inklusive demokratische Stadtgesellschaft. Deswegen sollten wir das auch so oft und so laut wie möglich tun.

Vielen Dank für das Gespräch!

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