Alles, was rechts ist

von Thomas Trappe 2. März 2015

Im Kampf gegen rechts ist sich die Prenzlauer Berger Politik einig: Rechtsextremisten soll man möglichst wenig sehen, weder in Kneipen, noch in eigenen Läden. Das ist eine bequeme Position, nutzt aber leider wenig.

Wo wollen die Prenzlauer Berger ihre Nazis am liebsten sehen? Vor knapp einem Jahr, im März war es, gab es dazu eine ziemlich beeindruckende Kundgebung: 50 Demonstranten zogen vor einen Supermarkt in die Ostseestraße. Nicht, weil sie noch Milch brauchten, sondern weil sie erfahren hatten, dass drinnen ein Nazi anderen Menschen einen Kassiererjob wegnimmt. Christian S. war der Grund für den Antifa-Aufzug, denn S. gilt als Prenzlauer Berger Neonazi-Kader – und hatte damit offenbar das Recht verwirkt, im Supermarkt zu arbeiten. Die Aktion war aus vielerlei Gründen beeindruckend. Zum ersten wegen ihrer Entschlossenheit und der Bereitschaft, S. mit Klarnamen an den Pranger zu stellen. Zum zweiten, weil die Aktion Erfolg hatte. S. wurde gefeuert, offenbar wegen seiner politischen Überzeugungen. Wirklich beeindruckte aber die Botschaft, die hinter der Aktion stand: Neonazis in Prenzlauer Berg haben kein Recht, ein bürgerliches Leben zu führen. Zum Beispiel als Kassierer im Supermarkt.

So sieht es die Antifa. Christian S. darf das nicht, und zwar, weil er denkt, wie er nun mal denkt. Ein universeller Anspruch, wie damals im Slogan der Demo deutlich wurde: „Ob beim Arbeiten, beim Einkaufen oder dem Zahnarztbesuch: Keine Basis für rechte Hetze(r)!“ Um es klar zu sagen, und das muss man bei solch einem Thema ja fast zwingend: Rechte Hetze ist nichts, wofür man Eintritt zahlen würde, es kommt meist so gelegen wie Erbrochenes auf dem Fußweg – daraus aber einen Anspruch abzuleiten, in einer Nationalisten-befreiten Zone Prenzlauer Berg zu leben, sollte wohl doch mal eine Debatte wert sein. Gerade weil solche Bestrebungen in Prenzlauer Berg derzeit nicht von der Hand zu weisen sind: Kneipen, in denen sich Neonazis treffen, geraten ins Visier, Läden, in denen sie ihre Klamotten kaufen, ebenso. Und der Bürgermeister will den Rechten das Shoppen vermiesen.

Kann man machen. Muss man begründen können.

 

Vermieter werden „sensibilisiert“

 

„Was soll daran problematisch sein?“ Das schreibt Matthias Köhne (SPD), Bürgermeister von Pankow, als Antwort auf die Frage, ob es nicht problematisch sei, Eigentümer von Gewerbeimmobilien in Prenzlauer Berg darauf aufmerksam zu machen, dass sie lieber nicht an Ladenbetreiber vermieten sollten, die rechtsextremes Publikum anlocken könnten. Dass Köhne dies tut, erklärte er zuvor in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage, die ihm der Grünen-Bezirksverordnete Stefan Senkel stellte. Es ging dabei um das inzwischen wohl wieder geschlossene Modegeschäft in der Mühlenstraße 66 im Ortsteil Pankow – hier wurden Marken verkauft, die in der rechtsextremen Szene und unter Hooligans Zuspruch finden. Senkel wollte wissen, ob durch den Shop eine Gefahr für ein Asylbewerberheim in der Nähe ausgehe, Köhne erklärte in der Antwort, dass dazu nichts bekannt sei. Allerdings könne „jedoch gesagt werden, dass potenzielle Käufer aus einem gewaltbereiten beziehungsweise Gewalt verherrlichenden Kampfsportmilieu kommen“, so Köhnes Einschätzung.

Senkels Fragen, ob der Bezirk aktiv gegen den Ladenbetreiber vorgegangen sei oder auf den Vermieter „eingewirkt“ habe, den Vertrag zu beenden, verneint Köhne, dazu habe es keine „rechtlichen Möglichkeiten“ gegeben. Bejaht wird hingegen, dass es Initiativen gebe, die in „besonders gefährdeten Bezirksregionen oder bei erkennbar hohem Leerstand von Ladenlokalen auf das Problem aufmerksam machen“. Auf Nachfrage der Redaktion erklärt Köhne, dass er damit die Informationskampagne meinte, die er vor Jahren zusammen mit dem Handelsverband Berlin-Brandenburg auf den Weg gebracht habe. Darin sollte dafür „sensibilisiert“ werden, „dass keine Mietverträge mit Geschäften abgeschlossen werden, die rechtsextreme Kunden anziehen“. Dies sei eine politische Entscheidung, so Köhne.

 

Rechte sollen sich nicht austauschen dürfen

 

Ein Verfechter der eingeschränkten Gewerbefreiheit für Läden, die rechtsextremes Publikum anziehen könnten – wohlgemerkt nicht rechtsextreme Ladenbetreiber – ist die kommunal geförderte  „Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus – moskito“. Moskito hat seinen Sitz in Prenzlauer Berg und  erstellt das Pankower Register, in dem Vorfälle, die mit Rechtsextremismus in Verbindung stehen, aufgelistet werden. Projektmitarbeiter Andreas Ziehl räumt ein, dass die ihm bekannten Vorfälle im Umfeld von Läden mit rechtsextremem Publikum überschaubar seien. In der Nähe des Thor-Steinar-Ladens, den es seit 2011 in Weißensee gibt, habe es rechtsextreme Parolen und Beschädigungen gegeben, und zwar an einem „ Kleider-Container zur fachgerechten Entsorgung von Thor-Steinar-Artikeln“. Außerdem nennt er das „Hexogen“, einen 2014 geschlossenen Laden in Schöneweide. Von dem sei zu berichten, dass dort indizierte rechtsextreme Musik verkauft worden sei, und zwar unter der Ladentheke. Nur: Indizierte Musik ist nicht verboten, sie darf nur nicht offen angeboten werden, sondern nur auf Nachfrage. So gesehen verhielten sich die Verkäufer, stimmt Ziehls Darstellung, absolut richtig.

Dass sogenannte Nazi-Läden eine gesundheitliche Gefahr darstellen, belegen die geschilderten Erlebnisse nun also gerade nicht. Es sei denn, man betrachtet es als Gefahr, dass Rechtsextremisten überhaupt Gelegenheit haben, sich irgendwo zu treffen. Oder, wie es Andreas Ziehl formuliert: „Es geht immer eine Gefahr von solchen Läden aus. Denn rechtsextreme Szene Läden – auch wenn sie scheinbar nur ‚Modemarken‘ verkaufen – dienen auch immer als Ort der sozialen Zusammenkunft, wo sich Gleichgesinnte treffen und austauschen.“ Heißt: Gefährlich sind nicht rechtsextreme Handlungen, sondern schon der soziale Austausch von Menschen, die so denken oder sprechen könnten, schlimmstenfalls sogar miteinander.

 

Arbeiter- oder doch Nazikneipe?

 

Es verwundert nicht, dass der Blick der Antifa sich nicht nur auf Naziläden, sondern auch auf Nazikneipen richtet, denn die sind ja noch vielmehr Orte, in denen soziale Interaktion stattfindet, und zwar institutionell auf Stammtischniveau. Und da wird es kompliziert, schauen wir mal auf eine Alltagserfahrung.

Es begibt sich ja tatsächlich, dass man sich als Prenzlauer Berger gelegentlich auch mal abseits der üblichen Routen auf neue Wege begibt, die dann in eine dieser schönen Kaschemmen führen, denen man ansieht, dass es sie länger gibt als einen selbst. Schlimmstenfalls treibt einem die Ironie hierhin, bestenfalls der harmlose Wunsch, einen Abend zu glauben, dazu zu gehören, zu den Männern, die hier schon saßen, als man sich nicht entscheiden musste, was man trinkt, sondern einfach trank. Man gönnt sich dann seine drei Bier und das Sonderangebot des Tages, zwei Currywürste, und nach drei Stunden und Belausche der Gespräche an den Nachbartischen geht es, gut durch, nach Hause. Vielleicht belebt, weil das ja mal eine ganz andere Kiez-Erfahrung war. Der Besucher kann aber auch recht indigniert das Lokal verlassen, dann nämlich, wenn er sich eingesteht, dass die lustigen Jungs nebenan mit ihren Äußerungen, sagen wir mal zu den „Fidschis“, im öffentlichen Raum kaum satifiskationsfähig wären. Oder schlicht feststellen muss, um es mit den Worten der Antifa Berlin zu sagen, er sich offenbar gerade in einer „rechtsoffenenen Kneipe“ ganz gut gefühlt hat. Die Grenze zwischen Arbeiter- und Nazikneipe, sie ist fließend. Nicht für die Antifa: Sie macht in ihrem Prenzlauer Berger Nazikneipen-Index deutlich, was sie alles nicht duldet: Ein Lokal mit „alltagsrassistische Trinker*innen“ beispielsweise, und eines, vor dem gelegentlich Linke „dumme Sprüche“ kassierten und der Wirt offenbar ostalgische Sticker auf der Weste trägt. Immer wieder geht es darum, dass in den Bars NPD-Leute und „Faschos“ verkehren sollen.

Die Rigorosität der Antifa, geht es um Nazis, ist legendär. Erinnert sei zum Beispiel daran, wie sie sich vor anderthalb Jahren damit brüstete, beim Flohmarkt im Mauerpark „eine Sammlung revisionistischer und militaristischer Feldpostkarten aus dem 1. Weltkrieg“ konfisziert zu haben. „Konfisziert“, so stand es tatsächlich in der Meldung der Antifa, die hier, ganz ähnlich wie bei der Kneipen- und Nazilädendebatte, zeigte, wie sie so tickt: Was nicht passt, muss weg. Historische Analogien oder totalitarismustheoretische Erwägungen braucht es da gar nicht, um den üblen Mundgeruch dieser Idee zu riechen. Noch deutlicher: Wenn sich jemand den Führer in die Küche stellen will, dann soll er halt. Er wird wohl sonst nicht viele Freuden haben im Leben.

 

Rechtsextremismus wird zum ästhetischen Problem degradiert

 

In Prenzlauer Berg, auch in der Verwaltung, setzt man aufs Verbot, auf die Exklusion. Man verbannt Thor Steinar aus der Bezirksverordnetenversammlung. Man verhindert mit Bürgermeisters Segen die Ansiedlung von Läden oder Kneipen, die rechtsextreme Menschen anziehen könnten. Man macht damit Rechtsextremismus zu einem ästhetischen Problem, bei dem nur darum geht, die Symptome zu verdecken und dies mit einer Therapie zu verwechseln. Ganz grandiose Erfahrungen hat man mit dieser Taktik zum Beispiel in Sachsen gemacht, wo es Gemeinden und Bürgermeister über Jahre schafften, so zu tun, als gäbe es keine NPD, die dann ganz nebenbei Sportvereine und Feuerwehren unterwanderte. Wie froh man war, als die NPD aus dem Landtag verschwand, wie entsetzt, dass ihre Anhänger wenig später mit Pegida-Banner wieder auf der Straße marschierten. Jetzt, nach der Selbstauflösung von Pegida, ist die Freude wieder groß. Aber sie ist genauso trügerisch wie der Glaube, eine Nazikneipe weniger bedeutet weniger Nazis. Es passt, dass Pegida-Chef Lutz Bachmann letztlich nicht über seine rassistischen Sprüche stolperte, sondern über ein lächerliches Hitlerbärtchen-Foto. Bei Nazis in Deutschland ist vor allem eines wichtig: Man will sie nicht sehen. Die Nazikneipe ist dabei der Hitlerbart der Gewerberäume.

Diese Denke funktioniert nicht. Rechtsextremisten wird es immer geben, und sie werden ihre Treffpunkte haben, nennen wir sie meinetwegen Nazi-Kneipen. Wird die Idee eines Kiezes ohne Nazikneipen zu Ende gedacht, landet man bei einem Kiez ohne Nazis – eine politische Vision so praxisrelevant wie der Weltfrieden und eine Besiedelung des Mars‘. Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Sexismus, Homophopie, all das Zeug – das wird es wohl immer geben, und Menschen, die so denken, werden auch immer in Prenzlauer Berg anzutreffen sein. Ein paar wird man vielleicht ändern, viel ist schon erreicht, wenn sie unter sich bleiben. Eine stramme Kaschemme, in der von Zucht, Ordnung und deutschem Wesen geschwärmt wird, kann da, jawoll, durchaus ein Katalysator sein. Oder, besseres Bild: Ein Staubsauger. „Solche Läden stellen somit immer ein Ort dar, wo die menschenverachtende Ideologie verbreitet und gefestigt wird“, meint dazu wieder Andreas Ziehl von moskito e.V. Ja nun, dann ist das wohl so. Glaubt wirklich jemand, Ideologie wackelt, wenn man seinen Träger im Hobbykeller einsperrt?

 

Die NPD ist längst da, nur nicht sichtbar

 

Doch was ist nun mit der Gewalt, die von Rechtsextremisten und daher vielleicht auch von „rechtsoffenen“ Lokalen und Läden ausgeht? In ihrer Auflistung für Prenzlauer Berger Kneipen berichtet die Antifa von Propagandadelikten, Beleidigungen, Drohungen und Einschüchterungen, aber auch Gewalttaten: So hätten Hogesa-Demonstranten im Januar vor der „Stumpfen Ecke“ zwei Gegendemonstranten angegriffen, 2013 sei ein Jugendlicher vor einer anderen Kneipe mit einer Bierflasche beworfen worden, die ihn verfehlte. „Die Regelmäßigkeit gewalttätiger rechter Übergriffe hat in der Gegend rund um die Greifswalder Straße und den Thälmann Park über die Jahre abgenommen“, schreibt die Antifa. Von regelmäßiger Gewalt, die von einzelnen Lokalen ausgeht, ist nichts zu hören. Sollte es solche Läden geben, ganz klar, gehören sie geschlossen. Möglich ist das aber bereits jetzt, wenn der Betreiber verurteilt wird für ein Vergehen, das „hinsichtlich des ausgeübten Gewerbes Auswirkungen hat“, wie Bürgermeister Köhne auf die Kleine Anfrage zum Laden in der Mühlenstraße gerade erklärte. Eine Kneipe, in der regelmäßig zu Gewalt angestiftet wird, dürfte es damit nicht geben, wenn Recht durchgesetzt wird.

Die Antifa und offenbar inzwischen auch das Bezirksamt bevorzugen einen anderen Weg: Rechtsextremismus hat im Straßenbild, zumal jenem von Prenzlauer Berg, nichts zu suchen. Ebensowenig „rechtsoffene Kneipen“. Im Stadtteil Buch rütteln handgreifliche Rassisten derweil an Bauzäunen eines Asylbewerbercontainers, sie machen aus ihrer Gesinnung kein Geheimnis. In Prenzlauer Berg treten die Rechtsextremisten biederer auf. In der jüngsten Sitzung des Ausschusses für Bürgerbeteiligung der Bezirksverordnetenversammlung berichteten die Pankower NPD-Kameraden via Facebook über den Verlauf der Sitzung. Thor-Steinar-Klamotten trugen sie offenbar nicht. Das ist verboten, so soll der Rechtsextremismus aus dem Bezirksparlament herausgehalten werden. Eine schöne Idee. Schön simpel.

 

Korrektur vom 9.3: In einer vorherigen Version des Textes wurde als Beispiel für die fließenden Übergänge zwischen Arbeiter- und „Nazi“-Kneipe ein Buch von Alexander Osang über die Stumpe Ecke angeführt. Das war falsch, da Osang über eine andere Kiezkneipe gleichen Namens schrieb. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen und danken dem Kommentator. Auch die vielen grammatischen Fehler in der Ausgangsversion wären vermeidbar gewesen.

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