Königspaar sucht Zweiraumwohnung

von Kristina Auer 14. September 2016

Die Mieterpartei hat sich im Februar gegründet und tritt nur in Pankow auch zur Bezirkswahl an. Ihre Wahlkampfwerbung auf der Straße ist so ganz anders als die der übrigen Parteien.

An einem Stromkasten in der Greifenhagener Straße hängt ein Zettel: „Zimmer gesucht. Berliner Trümmerfrau (91) sucht nach Zwangsräumung für ihre verbleibenden paar Monate ein kleines Zimmer im Prenzlauer Berg.“ Wer in den vergangenen Tagen durch Prenzlauer Berg gegangen ist, dem sind wahrscheinlich noch mehr dieser Aushänge aufgefallen. Sie sehen aus wie Wohnungsangebote oder -gesuche, auf ihnen stehen Sätze wie „Zu verkaufen! 100 qm Wohnung am Helmholtzplatz, garantiert mieterfrei“ oder „Junges Königspaar sucht 2-Zimmer-Wohnung im Prenzlauer Berg.“ Darunter kleiner: „Bei erfolgreicher Vermittlung bekommen sie unser Erstgeborenes als Dankeschön“. Beim Lesen bleibt man erst einmal verwundert stehen und denkt: Ist das echt?

 

Ungewöhnliche Wahlwerbung

 

Erst beim zweiten Blick fällt auf, dass auf den Schnipseln, die zum Abreißen unten an den Zetteln hängen, keine Telefonnummer steht, sondern der Name Sven Fischer. Er ist Direktkandidat der Mieterpartei im Wahlkreis 6 zwischen Bornholmer Straße und Helmholtzplatz. Und selbst unmittelbarer Betroffener von Wohnungsnot und Mietsteigerung in Prenzlauer Berg: Mit seiner Familie lebt er als letzter Mieter in der Kopenhagener Straße 46. Zwischenzeitlich glich die Wohnung einer Baustelle, denn das Haus wurde komplett saniert. Während alle anderen Mieter nach und nach aufgaben und auszogen, blieb Fischer und kämpfte gegen die Eigentümer, die ihm Heißwasser, Heizung und Strom abstellten, den Schornstein zertrümmerten und fast die Decke auf den Kopf fallen ließen. „Inzwischen ist die Wohnung wieder bewohnbar, ich denke wir haben das Gröbste überstanden“, sagt Fischer den Prenzlauer Berg Nachrichten. „Aber es laufen noch gerichtliche Auseinandersetzungen. Und es kann passieren, dass wir uns die erhöhte Miete letztendlich nicht leisten können.“

 

Die Mieterpartei gibt es seit Februar

 

Die Mieterpartei, bei der Fischer als Direktkandidat antritt, hat sich im Februar dieses Jahres neu gegründet. Ziel ist es, der „Brutalität der Investoren, der rücksichtlosen Entmietung und den völlig überhöhten Preisen etwas entgegenzusetzen“, sagt Fischer. Bei der Abgeordnetenhauswahl tritt die Partei mit drei Direktkandidaten in Wahlkreisen in Pankow und Mitte an. Bisher hat die Mieterpartei nur einen Bezirksverband, und zwar in Pankow. Man kann sie also am Sonntag mit dem dritten Stimmzettel in die Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) wählen.

Auf den Aushängen stünden zwar nicht hunderprozentig reale Fälle, aber „in jedem steckt Wahrheit drin“, sagt Fischer. „Dass alte Menschen zwangsgeräumt werden, die Verzweiflung von Leuten auf Wohnungssuche, das habe ich alles schon so mitbekommen.“ Auf einem der Zettel steht etwas von einer Wohnung in der Kopenhagener Straße, die nach der Modernisierung 2.937 Euro statt wie früher 645 Euro kosten soll, also viereinhalbmal so viel. „Die Mieterhöhungsankündigung haben wir für unsere Wohnung so bekommen“, sagt Fischer.

 

Grundrecht auf Wohnen

 

Die Wahlwerbung sei provokativ und teils humorvoll gemeint, so Direktkandidat und BVV-Anwärter Fischer. „Es soll die Leute zum Stehenbleiben bringen und ihnen ins Bewusstsein rufen, wie absurd und unmenschlich die Miet- und Wohnungssituation geworden ist. Manche Menschen sind bereit, völlig unreflektiert horrende Preise für Wohnungen und Mieten zu bezahlen. Das wollen wir bewusst machen.“

Die Mieterpartei will für die Rechte von Bürgern gegenüber wirtschaftlichen Interessen eintreten. Die Parteineugründung sei erforderlich, da die etablierten Parteien diese Rechte nicht zu Genüge verteidigten, stattdessen stürzten sie Mieter in die politische Ohnmacht, so die Parteimitglieder auf iher Webseite. In ihrem Grundsatzprogramm wird unter anderem die Aufnahme eines Rechts aufs Wohnen in das Grundgesetz gefordert. Direktkandidat Fischer will laut Webseite „die völlige Abschaffung der Modernisierungsumlage auf die Mieter, einen kompletten Umwandlungsstopp von Miet- in Eigentumswohnungen und eine energetische Modernisierung, welche die Umwelt wirklich schützen hilft“ erreichen.

 

(Fotos: Anja Mia Neumann)

Wir haben den Text am 15.09. aktualisiert, nachdem wir mit Sven Fischer sprechen konnten.

 

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 Die Prenzlauer Berg Nachrichten haben die Bezirksbürgermeisterkandidaten getroffen. An einem Ort ihrer Wahl, der für sie Prenzlauer Berg ausmacht: Rona Tietje (SPD, 28,1% bei der letzten Wahl), Jens-Holger Kirchner (Grüne, 20,8 %), Sören Benn (Linke, 18,5 %), Torsten Kühne (CDU, 13,9%), Jan Schrecker (Piraten, 10,2%), Sophie Regel (FDP, 1,1%) und Herbert Mohr (AfD, /).

 

Gute Wahl wünschen die Prenzlauer Berg Nachrichten!

 

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