Dirty Velvet Bar Helmholtzplatz

„Das ist erst der Anfang“

von Mona Linke 22. Juli 2020

Fast 900 Briten haben sich wegen des Brexit allein 2019 in Berlin einbürgern lassen. Thomas Barrington Leclerc lebt schon seit 2014 hier und betreibt eine Bar in Prenzlauer Berg. Die Folgen des Austritts bekommt der Brite schon jetzt zu spüren.



Am 23. Juni 2016 sitzen Thomas Barrington Leclerc und seine Freunde in einer Hostel-Bar an der Landsberger Allee. Es ist “Free-Beer-Night” und der Fernseher läuft. Die ganze Nacht hindurch flackern aufgeregte BBC-Moderatoren über den Bildschirm, britische Lokalpolitiker an Mikrofonen und der Premierminister, der wenige Stunden später sein Amt niederlegen wird. „We’re out!”, werden britische Zeitungen am nächsten Morgen titeln.
Vier Jahre ist das historisch einmalige Referendum nun her, bei dem sich Großbritannien selbst aus der Euopäischen Union wählte. „Ich war geschockt”, sagt Leclerc heute. „Geschockt und beschämt”. Das Ganze sei keine politische Debatte gewesen, sondern ein „Marketing-Event”. 

Leclerc, kurzärmliges Hemd und das ausgedünnte Haar zu einem Dutt gebunden, hat auch heute wieder ein Bier vor sich – allerdings sitzt er an diesem lauen Juni-Abend vor seiner eigenen Bar: Dem Dirty Velvet am Helmholtzplatz. Der 43-Jährige ist inzwischen offiziell ein “Resident”, ein Bewohner Berlins. Im Januar hat er den Antrag gestellt, nachdem Großbritannien offiziell aus der EU ausgetreten ist. Vielleicht wird er sich in ein paar Jahren auch um einen deutschen Pass bewerben, sagt der Brite. „Dann muss mich das alles überhaupt nicht mehr kümmern”. 

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Briten sind erstmals größte Grupper unter den Einwanderern

Thomas Barrington Leclerc, geboren in Brighton nahe London, ist einer von 2113 Briten, die seit dem Referendum 2016 offiziell in Berlin leben. Allein vergangenes Jahr haben sich 841 Briten in Berlin einbürgern lassen – sie stellten damit erstmals die größte Gruppe unter den Heimatstaaten.  Leclerc lebt schon seit 2014 hier, vor zwei Jahren hat er an der Lychener Straße sein Lokal eröffnet. Glaubt man ihm, dann redet inzwischen kaum noch ein Brite über den Brexit. Nachdem sich bis vor wenigen Wochen jede Diskussion darum gedreht hätte, sei jetzt Corona das Top-Thema. „Wir haben einfach genug von dem Brexit-Thema und nutzen jede Gelegenheit, nicht mehr darüber zu reden”, sagt Leclerc und lacht. An diesem Abend aber holt der Unternehmer noch mal aus: 

„Das Ganze kann verheerende Auswirkungen haben”. Zwar würden bislang noch die Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU laufen und sich die Briten in einer Übergangssituation befinden, sagt Leclerc. Zölle zum Beispiel gebe es noch nicht – ein Handelsabkommen allerdings auch nicht. Und doch spürt der gebürtige Brite schon jetzt, dass sich etwas verändert: Die Preise für britische Produkte, für englischen Gin, Cider, Rum oder Tonic Water seien um 15 Prozent gestiegen. Ob tatsächlich Brexit- oder doch zum Teil Corona-bedingt, kann der Barbetreiber nicht einschätzen. Und dennoch: „Das ist nur der Anfang”, ist sich Leclerc sicher. „Es kann jederzeit passieren, dass die Preise über Nacht explodieren. Für den Barbetreiber, der zu 50 Prozent britische Produkte verkauft, hätte das schwerwiegende Folgen: Marken wie Tanqueray, Hendricks oder Fever Tree könnte er sich schlichtweg nicht mehr leisten.

 

„Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer“

6 bis 8 Euro kostet der Drink in Leclercs Bar, das große Bier gibt es schon ab 1,70 Euro. Die Preise künftig anzuheben, kommt für den Wahl-Berliner allerdings nicht infrage. „Ich habe eine Philosophie: Ich will die Leute zusammenbringen, egal ob Studenten, Arbeiter oder Beamte. Was wir hier haben, ist eine Community”. Mit der wäre es allerdings schnell vorbei, könnten sich nur noch die obersten 10 Prozent einen Abend im Dirty Velvet leisten, ist sich Leclerc sicher. Der 43-Jährige will das um jeden Preis vermeiden – auch, um nicht die gleichen Verhältnisse einreißen zu lassen wie in Großbritannien, wo die meisten Menschen wegen viel zu hoher Preise gar nicht mehr ausgehen und sich inzwischen nur noch teure High-End-Barbetreiber die hohen Steuern auf Alkohol leisten können. „Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer”, resümmiert der Brite. Die englischen Marken würde er deswegen einfach nicht mehr verkaufen – auch wenn Tanqueray & Co. in gewisser Weise den Charakter einer englischen Bar ausmachen, würde sein Geschäft wohl auch weiterhin laufen, meint der Wahl-Berliner. 

 

Prenzlauer Berg: „The nicest place to be” 

„Hier in Prenzlauer Berg haben die Leute Lust auf eine britische Bar”, sagt Leclerc. Mehr als in anderen Bezirken zumindest. Dass er gerade hier in Prenzlauer Berg seinen Pub eröffnet hat, hat allerdings einen anderen Grund: „Ich habe hier jahrelang mit meinen Freunden getrunken”. Von Anfang an sei der Prenzlauer Berg für ihn “the nicest place to be” gewesen. 

Gut möglich, dass einige von Leclercs Freunden ihm früher oder später folgen und auch nach Berlin auswandern werden, spekuliert der Brite. Nicht nur wegen des Brexit: Seit 2009 unterliegt die Insel einer rigiden Sparpolitik, Menschen verlieren ihre Jobs, ohne eine neue Anstellung zu finden und können sich schlichtweg das einfache Leben nicht mehr leisten. „Ich selbst lebe hier ja in einer liberalen Filterblase”, so Leclerc. „Wie schlecht es den Leuten auf der andere Seite der Skala geht, kann man nur schwer nachvollziehen“. Teilweise wundere es ihn gar nicht, dass sich Millionen seiner Landsleute von populistischen Propaganda-Parolen haben einwickeln lassen, die den ganzen Tag im Fernsehen verbreitet werden. „Sie sind nun mal in einer ganz anderen Lebenssituation“. 

Es liegt ein frustrierter Gesichtsausdruck auf Thomas Barrington Leclercs Gesicht, wenn man mit ihm über die Verhältnisse in Großbritannien spricht. Ob er überhaupt noch Hoffnung hat, dass vielleicht doch alles glimpfich ausgeht? „Nun ja, den Schaden wird man nicht wieder reparieren können, den das Ganze jetzt schon angerichtet hat“, so Leclerc. „Aber ja. Man hofft natürlich irgendwie noch auf einen ‘Brexit-Light’”. Der 43-Jährige meint damit ein Handelsabkommen, einen guten Deal zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich, mit dem Szenarien wie höhere Zölle oder Handelslizensen vielleicht noch abgewendet werden könnten. Für realistisch hält er das Ganze allerdings nicht. 

In wenigen Stunden, genauer gesagt um 24 Uhr, wird der gebürtige Brite sein Bar an der Lychener Straße wieder schließen. Das ist er so aus England gewohnt, wo ab Punkt Mitternacht die Bordsteine hochgeklappt werden. Es ist wohl die einzige Sache, in der er seinem Heimatland bis heute treu geblieben ist. 

Foto: Mona Linke

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