Inklusion

Kultur ohne Hindernisse

von Julia Schmitz 25. Juni 2020

Wenn es um das Thema Barrierefreiheit und Inklusion geht, wird der Kulturbereich häufig vernachlässigt. Pankow möchte das ändern.


Ich gehe selten ins Theater, weil die „Übertitel“ oft nicht für Hörbehinderte gedacht sind. Sprich, wenn jemand einen Namen ruft, wird das meist nicht untertitelt, wenn Geräusche eine Rolle spielen (z.B. ein Schuss im Off), auch nicht. Es gibt englische Untertitel für Leute, die kein Deutsch sprechen, aber für Gehörlose/Schwerhörige sind sie eher selten.

Wille Zante ist Journalist, Schauspieler und Dramaturg – und er ist gehörlos. Gerade im Kulturbereich stößt er immer wieder auf Barrieren: Bei Theaterstücken würden oft nur die reinen Dialoge per Übertitel versprachlicht, in Videoinstallationen im Museum fehlten sie oft ganz, bemängelt er. Und auch der Kinobesuch muss aufwändig vorbereitet werden: „Nicht alle Filme sind untertitelt, es ist schwer, zuverlässig herauszufinden, wo welcher Film mit Untertiteln läuft. Da gucke ich dann lieber zuhause einen Stream.“

Dass akuter Nachholbedarf in Sachen Inklusion im Kultursektor besteht, weiß man auch in Pankow. Über 31.000 schwerbehinderte Menschen waren 2019 im Bezirk registriert, hinzu kommen tausende Menschen mit niedrigerem Grad der Behinderung sowie körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen. Auf einen Antrag der Bezirksverordneten von SPD und Grünen hin entwickelte das Bezirksamt Pankow in den vergangenen Monaten deshalb eine Strategie für die Einbeziehung von Menschen mit Beeinträchtigung; daraus soll wiederum ein Inklusionsplan erarbeitet werden, der die bezirklichen Kultureinrichtungen – darunter die Wabe, das Theater unterm Dach und die Volkshochschule – umfasst.

Aktuell wird in Zusammenarbeit mit den einzelnen Häusern ermittelt, wo Bedarf an Änderungen besteht und wie diese zügig umgesetzt werden können. Erste Vorstöße dazu hatte es bereits 2016 gegeben; aufgrund von Personalmangel im Amt für Weiterbildung und Kultur hatte der Inklusionsplan zu dem Zeitpunkt aber nicht erstellt werden können.
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Inklusion

Wille Felix Zante / Foto: Claudia Göpperl

 

Mehr als Barrierefreiheit

Carolin Huth begrüßt das aktive Eingreifen des Bezirks. Sie arbeitet in der von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur ins Leben gerufenen Konzeptions- und Beratungsstelle für Diversitätsentwicklung Diversity Arts Culture, die öffentliche Einrichtungen dabei unterstützt, Diversität zu fördern. „Wenn es um das Thema Inklusion geht, fällt die Kultur häufig hinten runter“, sagt sie, „meistens macht sich jede Kultureinrichtung einzeln auf den Weg und es gibt selten koordinierte Planungen.“

Ein weiteres Problem: Oft reduziere man Inklusion auf das Thema Barrierefreiheit. Doch mit Rampen, Aufzügen und behindertengerechten Toiletten allein sei es nicht getan, erklärt sie: Kultur müsse sowohl auf der Ebene des Publikums, aber vor allem auch beim Programm und beim Personal Menschen mit Beeinträchtigung miteinbeziehen. Künstler*innen mit Behinderung sind mittlerweile sichtbarer, zum Beispiel auf der Theaterbühne – das Theater Rambazamba in der Kulturbrauerei ist eines der bekanntesten Beispiele für inklusive Kunst. Doch bei Regisseur*innen, Dramaturg*innen und Kurator*innen gebe es deutlichen Nachholbedarf, unterstreicht Huth. Das bestätigt auch Wille Zante:

Als Kulturschaffender sind viele Bereiche nicht zugänglich für mich. Ich bin als Theatermacher darauf angewiesen, dass ich Leute kenne, die hören können, damit diese mich vernetzen. Ich könnte schon selber etwas auf die Beine stellen, aber ohne Connections geht das nicht. Und die Connections kriegt man ja nur, wenn man auf Partys rumsteht und mit Leuten quatscht. Zugespitzt ausgedrückt, klar. Aber es ist einfach ein Weg, der mir und anderen Theaterleuten versperrt bleibt. Ich finde, es sollte da irgendeine Form der Finanzierung von tauben Theaterleuten geben; weil ich glaube, dass das Gehörlosentheater ein gewaltiges Entwicklunsgpotenzial in sich hat, das bei weitem nicht ausgeschöpft wird.

Wollen sich Institutionen mit Inklusion und Barrierefreiheit auseinandersetzen, muss die Diskussion also tiefer ansetzen: Wie erreicht man es, dass sich Menschen mit Behinderung willkommen fühlen? Welche strukturellen Veränderungen sind nötig, um Personen mit Beeinträchtigungen eine problemlose Teilnahme zu ermöglichen? Die Maßnahmen reichen von barrierefreien Webseiten und die vereinfachte Buchung von Tickets über die Audiodeskription von Ausstellungen und Begleitheften bis hin zu baulichen Veränderungen wie festgelegten Rollstuhlplätzen. Gerade Letzteres war bisher oft auf Widerstand seitens der Spielstätten gestoßen; eine Änderung der Bestuhlung sei nicht möglich, habe es auf Nachfrage oft geheißen. „Und jetzt kann aufgrund von Corona und den erforderlichen Hygienemaßnahmen plötzlich doch etwas an der Bestuhlung geändert werden“, wundert sich Huth.

 

Community miteinbeziehen

Nicht zuletzt sei die Auseinandersetzung mit dem eigenen Programm vonnöten. Wird Behinderung nicht nur äußerlich, sondern auch im Programm selbst aufgegriffen? Müssen Menschen mit Behinderungen als ’stilistisches Merkmal‘ herhalten und stets einen Charakter mit Behinderung spielen – oder könne die körperliche Beeinträchtigung auch in den Hintergrund treten? „Eine Person mit Behinderung kann auch den Othello spielen“, sagt Carolin Huth.

Wichtig sei es, die jeweils angesprochene Community mit in die Planungen einzubeziehen: Werden Führungen durch eine Ausstellung in Gebärdensprache durchgeführt, so sollte dies unbedingt jemand übernehmen, der selbst taub ist. Wille Zante wünscht sich vor allem weniger Aufwand: „Im Idealfall sagt man einfach an der Kasse Bescheid: Ich brauche Untertitel, und die Person an der Kasse drückt einen Knopf, der die Untertitel aktiviert.“

Bis kulturelle Institutionen vollständig inklusiv arbeiten, wird es allerdings noch dauern. „Barrierefreiheit vollständig umzusetzen ist sehr aufwändig. Außerdem ist es ein Prozess: Was heute noch gut war, ist es morgen unter Umständen nicht mehr“, betont Huth. Pankow macht sich immerhin auf den Weg.

 

Foto: Theater Rambazamba Der nackte Wahnsinn / Foto: Andi Weiland

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