Späti Raumer 6

„Wir sind hier wie eine Familie” 

von Mona Linke 16. Juni 2020

Dem Späti Raumer 6 in Prenzlauer Berg droht das Aus. Doch die Anwohner*innen wollen das nicht akzeptieren – und planen die Rettung des Ladens.


Spätkauf: Das ist ein kleines Geschäft mit erweiterten Öffnungszeiten, das Getränke, Tabakwaren und Ähnliches verkauft – so definiert es der Duden. Der Späti Raumer 6 am Helmholtzplatz jedoch ist viel mehr als das, glaubt man dem Dutzend Leute, die sich an einem Freitagabend vor dem Kiosk versammelt haben und Club Mate trinken. Für sie ist der Späti eine Institution, ein „Treffpunkt für alle Generationen”, sagt zum Beispiel die 23-jährige Isvari, die am Helmholtzplatz aufgewachsen ist und nie an dem Raumer 6 vorbeikommt, ohne sich kurz zu setzen. Oder David, der fast jeden Abend hier ist und die Getränke auswendig kennt, wie er sagt. Özgur Simsek wiederum betreibt den Laden seit fünf Jahren. „Er ist nicht nur Verkäufer, sondern auch Nachbar und Kumpel”, sagt David. „Die gute Seele vom Helmi quasi”. 

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Kündigungsgrund: Ein Fehler im Mietvertrag

„Wir sind hier wie eine Familie”, meint auch Özgur Simsek selbst. Der 38-Jährige – Statur Türsteher – sitzt auf einer selbtsgebauten Holzbank vor seinem Laden, alle zwei Minuten grüßt er, wenn eine Fahrradfahrerin ihm zuwinkt oder ein Spaziergänger einen schönen Abend wünscht. Özgur lächelt dann, bevor sich seine Miene kurz darauf wieder verdunkelt. Trübsal steht in seinem Gesicht, und die ist nicht unbegründet: Dem Späti am Helmholtzplatz droht die Schließung. Oder besser gesagt: Sie ist bereits gesetzte Sache. In den nächsten Tagen wird der Gerichtsbeschluss eintrudeln, der Özgur Simsek eine dreimonatige Frist einräumt, bevor er den Laden zumachen muss. Der Grund: Ein Fehler im Mietvertrag. Es fehlt die Adresse in den Unterlagen, die Hausverwaltung hat damals versäumt, sie einzutragen. Das reicht, um Simsek aus dem Vertrag zu werfen, hat der Richter Mitte Mai befunden. 

„Die dürfen mir wirklich kündigen”, sagt der zweifache Familienvater, als könne er es selbst nicht ganz glauben. Dass die Kündigung rechtens ist, haben ihm allerdings schon die drei Rechtswanwälte bestätigt, an die sich der Familienvater inzwischen gewandt hat. Glaubt man Simsek, dann ist das Ganze nur die Spitze eines Eisbergs. Seit zwei Jahren würden seine Vermieterin und ihr Freund versuchen, ihn aus dem Laden zu drängen. Ins Geschäft marschieren und seine Frau anfahren, die häufig ebenfalls hier arbeitet. Oder um 8 Uhr abends die Polizei rufen, wegen Lärmbelästigung.

„Die Beamten haben selbst festgestellt, dass die Lautstärke nicht vom Späti, sondern vom Restaurant nebenan kommt”, berichtet Simsek. Der Familienvater hat seine eigene Theorie, warum er verschwinden soll: Ein Bekannter der Vermieterin sei selbst an dem Laden interessiert, das habe man ihm über zwei Ecken gesteckt. Vielleicht aber ist auch der Mietpreis der Grund. Ein Investor würde die 780€ wohl als skandalös niedrig befinden, die der 38-Jährige jeden Monat überweist. Die Restaurantbetreiber von Gegenüber würden mehr als das fünffache bezahlen, sagt Simsek. 

Späti Raumer 6

Die kleine Ida aus der Nachbarschaft hat bereits das erste Protestschild gemalt, um Özgur Simseks (rechts) Laden zu retten. Foto: Mona Linke

In der Nachbarschaft formiert sich Widerstand 

Was auch immer der wahre Grund sein mag: Noch im Herbst diesen Jahres soll das Raumer 6 am Helmholtzplatz Geschichte sein. Seine Stammgäste aber wollen das nicht akzeptieren. Sie wollen Flyer drucken und im Kiez verteilen, außerdem sind eine Unterschriftensammlung und ein Straßenfest geplant. „Keine Schwarze-Block-Demo, sondern mit Luftballons und Kinderschminken”, erklärt David. Der Gedanke dahinter: Genügend öffentlichen Druck aufbauen, damit die Vermieterin die Klage doch noch zurückzieht. 

Insgesamt sind es etwa 35 Leute, die Özgur Simsek seit Jahren zur Seite stehen und versuchen, zwischen den Parteien zu vermitteln, indem sie zum Beispiel selbst die Hausverwaltung anschreiben. Doch die Versuche wurden ignoriert, ein echtes Gespräch ist bis heute nicht zustande gekommen. Immer wieder hätten Hausverwaltung und Vermieterin ihn bei Anfragen jeweils an die andere Partei verwiesen, berichtet Simsek. Sein Ziel sei immer ein Kompromiss gewesen. Vor zwei Jahren habe er deswegen zum Beispiel die Bierbänke vor seinem Laden weggeräumt, um die Lautstärke zu reduzieren. Auch habe er angeboten, freiwillig 500 € mehr Miete zu zahlen. Doch keine Chance: „Ihr müsst hier raus”, sei die einzige Reaktion gewesen, die er von seinen Vermietern stets bekommen habe. 

 

„Der Ort ist essentiell”

Der Familienvater glaubt nicht daran, dass sein Laden noch gerettet werden könnte. Doch auch wenn die Aktionen seiner Gäste nichts bringen sollte: Die Nachbarschaft soll Bescheid wissen über das, was sich hier abspielt. Und kampflos will er das Feld nicht räumen. Umziehen, das würde der 38-Jährige im Zweifelsfall zwar in Betracht ziehen. Für seine Kund*innen aber wäre es nicht dasselbe: „Der Ort ist essentiell”, sagt Isvari. Schon Simseks Vorgänger sei es „um die Community” gegangen. Sollte der 38-Jährige nun wirklich im September den Laden aufgeben, dürfte es mit ebendieser Community erst einmal vorbei sein. 

 

Fotos: Mona Linke

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