Casting

„Uuuund bitte!“

von Isabella Caldart 7. März 2019

Alexander Sellschopp betreibt ein Castingstudio in Prenzlauer Berg. Ob für den „Tatort“, die nächste Netflix-Produktion oder einen ZDF-Spielfilm – Schauspieler beweisen bei ihm ihre Passgenauigkeit für eine Rolle.


„Darf ich dir einen Kaffee bringen?“ Kaum betritt man das Castingstudio Berlin in der Zionskirchstraße, steht Studioassistentin Julia bereit. Sie hat Snacks angerichtet und beantwortet etwaige Fragen der Schauspieler, die auf ehemaligen Sesseln des Lichtblick Kinos darauf warten, dass das Studio frei wird. Dort steht Alexander Sellschopp hinter der Kamera und filmt eine Szene in verschiedenen Varianten. Am heutigen Tag wird für die ZDF-Filmreihe „Inga Lindström“ gecastet. Mit ihm im Raum sind Producerin Christina Henne, die seit 2013 bei Bavaria Fiction die Serie betreut, und Casterin Gwendolyn Clayton. Letztere hat in den Wochen und Monaten zuvor geeignete Schauspieler gesichtet und aus 120 Menschen, die auf ihrer Liste standen, die zweimal 13 Paare, die gestern und heute Szenen im Castingstudio einspielen, zusammengestellt.

Die Tür geht auf, das Paar, das eben die Probeszene gefilmt hat, ist fertig, die nächsten sind dran. Fünf Inga-Lindström-Filme werden von Mitte Mai bis Ende September in Schweden gedreht, und für sie findet an diesen zwei Tagen ein Casting statt. Im Moment ist Berlinale und „alle“ Schauspieler in Berlin – eine Gelegenheit, die genutzt werden muss – auch wenn generell sehr viele Schauspieler*innen in Prenzlauer Berg wohnen.  Während Gwendolyn Clayton dem nächsten Paar Stimmung und Setting der Szene erläutert – „Anna“ und „Leon“ werden ihrer Beziehung noch eine letzte Chance geben – verschickt Alexander Sellschopp bereits den Link, damit in München Produzent und Redaktion ins Casting schauen können, während es noch läuft.

___STEADY_PAYWALL___

Filmbegeistert von klein auf

„Wir kommen zum Casten meistens hierher“, sagt Clayton, „wie inzwischen die ganze Bavaria. Wenn Alex nicht kann, gehen wir zähneknirschend woanders hin.“ Kein Wunder: Dass Sellschopp Spaß bei der Arbeit hat, merkt man ihm an. Das ist ihm auch wichtig. „Man verändert mit seiner Art die Atmosphäre im Raum“, erklärt er. „Ich bin sehr oft hier, manchmal sieben Tage die Woche. Das ist ganz schön viel Lebenszeit. Wenn man da schlecht gelaunt ist, schneidet man sich ins eigene Fleisch.“

Seit 2007 führt der gelernte Regisseur das Castingstudio. Bis dahin war es ein weiter Weg: Nach ersten Spielereien mit der Super-8-Kamera seines Vaters widmete sich Sellschopp nach der Schule zunächst anderen Zielen, bis er bei einem Kurzfilmwettbewerb mit dem Thema „Blickwechsel Ost/West“ gemeinsam mit einem Freund den dritten Platz erreichte. Die alte Filmleidenschaft war wieder geweckt. Mitte der Neunziger kam er von Hamburg nach Berlin, weil er einen der 16 Studienplätze an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb) ergatterte. „Das war der Knaller, ich war so stolz“, erinnert er sich zurück. Schon während des Studiums an der Akademie arbeitete er als Kameramann in einem Castingstudio. „Die sahen Ende der Neunziger noch ganz anders aus: Da stapelten sich entlang der Wände VHS-Tapes von Tausenden Schauspielern.“

 

Immer die gleiche Szene

Zurück bei „Inga Lindström“ können sich Henne und Clayton endlich eine Pause gönnen. Nach welchen Kriterien die Schauspieler schlussendlich ausgesucht werden, verrät Christina Henne: „Es gibt gewisse Mechanismen in unserem Genre. Die Schauspieler müssen Kraft und Ausstrahlung haben. Außerdem geht es in der Reihe um starke Emotionen, da spielt sich viel im Gesicht ab.“ Henne begleitet die „Lindström“-Filme von der ersten Idee bis zur Auslieferung. „Das Casting ist essentiell“, betont sie. Es wird nicht in den Paaren zwangsläufig besetzt, die ihre Kollegin Gwendolyn Clayton für die Aufnahmen bei Sellschopp gematcht hat. „Aber natürlich macht es es der Redaktion leichter, wenn das ganze Paket stimmt.“

Weder Sellschopp noch Henne oder Clayton werden müde, die gleiche Szene immer und immer wieder zu sehen, im Gegenteil: „Die Schauspieler sind so unterschiedlich, sei es vom Typ her oder in der Interpretation des Textes, dass es immer wieder spannend ist“, so Henne. Sobald das Casting abgeschlossen ist, werden die Aufnahmen der lohnenswerten Schauspieler von Regisseuren und Redaktion gesichtet und dann entschieden, wer demnächst großen Herzschmerz auf der Mattscheibe mimen darf.

Auch als Julia alle Kaffeetassen in die Spülmaschine geräumt hat und Gwendolyn Clayton und Christina Henne bereits auf dem Rückweg nach München sind, sitzt Perfektionist Alexander Sellschopp noch am Computer, es gibt nämlich immer etwas zu tun. Und für den morgigen Tag hat sich bereits die nächste Filmproduktionsfirma angekündigt.

 

Dieser Text gehört zu unserem Schwerpunkt „Kino in Prenzlauer Berg“. Es ist der zweite Teil.

Teil 1: Matthias Freihof war Hauptdarsteller des ersten „schwulen“ Films in der DDR: „Coming Out“. Im Interview erzählt er vom Eldorado Ostberlin.

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar