„Architektur, die Gewalt antut“

von Dominique Roth 21. April 2017

WIEDERHOLUNG: Der Neubau in der Pasteurstraße erregt die Gemüter, besonders die aus Metallgittern bestehende Fassade ist vielen im Bötzowkiez ein Dorn im Auge. Ein Anwohner sagt dem Gebäude nun den Kampf an.

ARTIKEL vom 20. März 2017:

Carsten Meyer ist ein Mann der Tat. Der Lehrer in Ruhestand engagiert sich in vielerlei Hinsicht im Bötzowkiez: er ist Teil der Gärtnerinitiative am Arnswalder Platz, Mitglied des Vereins Pro Kiez Bötzowviertel e.V. – und mit seinen eigenen Worten „verhinderter Architekt“. Über seine Heimatstadt Bremen hat er ein komplettes Buch zur Nachkriegsarchitektur veröffentlicht, der Titel: „Mehr als nur Fassaden. Bremer Haus-Schicksale.“

Es ist also nicht verwunderlich, dass Carsten Meyer etwas tut, wenn er sich in seinem Bötzowviertel an einer Fassade stört. Einer Fassade, die ihm „Gewalt antut“, wie er sagt. „Für mich ist dieser Bau ein Bruch gegen den Geist des Baugesetzbuchs, genauer gesagt gegen Paragraph 34. Dort heißt es, ein Bauvorhaben dürfe das Ortsbild nicht beeinträchtigen, es müsse sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen.“ Die einzige Konzession aber, die dieser Neubau an die Umgebung macht, ist laut Meyer die Traufhöhe. „Ansonsten dominiert es jedoch die benachbarten Bauten regelrecht mit seinem Superbreitbandformat.“

 

In früheren Plänen sah die Fassade noch anders aus

 

72 Meter ist das Gebäude breit, die umliegenden Häuser kommen im Schnitt auf ein Viertel. „Dazu ist die Fassade völlig monoton, in den unteren vier Stockwerken reiht sich eine Metallblende an die andere“, gibt Meyer resignierend zu Protokoll.

In den früheren Entwürfen des zuständigen Architekturbüros zanderrotharchitekten habe diese Fassade noch anders ausgesehen. Auf den ersten Plänen, die in den Anwohnerversammlungen vor sechs, sieben Jahren vorgestellt wurden, seien noch goldbraune Holzpaneele eingezeichnet gewesen. „Und dann“, holt Meyer mit beiden Armen aus „dann hieß es auf einmal: Überraschung, das Haus kommt in grauen Metallrosten daher.“ Die Architekten von zanderroth verweisen im vorherigen Entwurf darauf, dass die Abbildung nicht verbindlich ist. Auf unsere Anfrage, wie die Änderung der Fassadenpläne zustande kam, hat zanderroth bisher keine Rückmeldung gegeben.

Da habe sich der Rentner einmal bei den Anwohnern kundig gemacht. „Die waren alle total entsetzt“, so Meyer. Ihn habe das wiederum dazu veranlasst, deren Aussagen zu sammeln und an den zuständigen Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Bürgerdienste, Vollrad Kuhn (Grüne), weiterzuleiten.

 

„Wenn sich die Fassade eines geplanten Gebäudes während der Bauphase so stark ändern kann, sind wir davor ja auch bei zukünftigen Projekten nicht geschützt“, sagt Meyer, der noch auf eine Antwort von Kuhn wartet, trotzig. „Ich bin überzeugt, dass Politik und Bauverwaltung für Bauten sorgen müssen, von deren Qualität die Allgemeinheit profitiert und damit auch Akzeptanz schafft.“ Auf unsere Anfrage, ob der Bezirk bei Fragen der Fassadengestaltung Einfluss nehmen kann, hat Stadtrat Kuhn uns bisher keine Rückmeldung gegeben.

 

Was die Anwohner aus dem Bötzowviertel von der Fassade halten, haben Sie Carsten Meyer erzählt. Hier einige Kommentare:

 

Das mit den Metallgittern und ja die ganze Architektur ist doch der gespielte Witz, oder? Ich dachte, die wären nur temporär angebracht. Ich bin wirklich entsetzt. Wie ist so etwas Geschmackloses möglich? Ich kann das wirklich nicht glauben.“

 

… ein Kontra dem Bötzowkiez; wie geht es den Menschen, die gegenüber wohnen? Ich bin heilfroh so einen Anblick nicht vor meinem Fenster zu haben und ertragen zu müssen.

 

Architektur war – und ist – ja immer auch Ausdruck von Zeitgeist. Für mich ist dieses Haus wie ein Sinnbild für immer mehr Abgrenzung, Kälte, Härte und Brutalität die offenbar und offensichtlich unaufhaltsam in der Welt und Gesellschaft voranschreiten. Es passt natürlich überhaupt nicht in die Umgebung, aber wen hat das interessiert? Wer hat das freigegeben?
Und ich bin ganz bestimmt keine Gegnerin von moderner Architektur. Im Gegenteil: Ich finde die Verbindung von alt und neu wirklich toll und dafür gibt es ja auch genug gelungene Beispiele im Prenzlauer Berg.
Wir haben uns auch schon darüber lustig gemacht i.S.v. „Wird das die neue chinesische Botschaft?“. Oder die amerikanische? Könnte man ja inzwischen auch fragen…
Kann man nur hoffen, dass die neuen Bewohner nicht nur Kapitalanleger sind, sondern auch wirkliche Nutzer, die ihre Metallläden auch mal öffnen. Und vielleicht auch Blumen pflanzen?
Eins würde mich wirklich interessieren: wie fühlt es sich eigentlich IN diesem Gebäude an?“

 

Als ich es gesehen habe, war ich entsetzt. Ich mag moderne Architektur sehr. Aber die komische Metallfront, die Proportionen…. Uff… ich bin sehr gespannt, ob das etwas weniger grausig wirken wird, wenn die Baustelle abgebaut ist.
Der Sinn des Metallverschlags erschließt sich mir nicht wirklich und die Gestaltung ist ein trauriger Bruch zu den Gebäuden, zwischen die der Bau gesetzt ist. Da ist es ein kleiner Trost, nicht selbst einziehen zu müssen.
Es wirkt sehr geschlossen, abweisend, etwas gefängnishaft. Schade – ich sehe es als verspielte Chance, eine gute moderne Architektur in unseren Kiez zu bringen.

 

Ich fand das Gebäude bei der Präsentation in der Aula der Homerschule auch schon etwas bedenklich. Die Gebäudehöhen wurden wahrscheinlich mehr als ausgereizt. Nun ragen die Fassadenteile auch noch weit über den Gehweg. Ursprünglich sollten das wohl verschiebbare Holzelemente werden, die man heutzutage für den sommerlichen Wärmeschutz benötigt.
Letztens bin ich mal über die REWE-Parkplätze in den Innenhof gegangen (Tür war offen) – dort ist die Fassade noch hässlicher, wie ein Bürogebäude.
Aber die Ansicht-Renderings der Architekten (s.u.) sind ja immer viel „schöner“ als die Realität. Das war beim Neubau gegenüber auch so. Traurig.

 

Letztens habe ich mit meinen Partner über den REWE-Bau gesprochen und in ihm das erste Mal jemanden gefunden, der auch „positive“ Worte gefunden hat (er ist übrigens Bildhauer. Sein Material ist u.a. Metall, das zum Verständnis).
Er meinte so in der Art, der Bau sei eine Bereicherung für unseren Kiez, weil es einen enormen Bruch schafft. Er gäbe unserem beschauligen Kiez etwas „weddinghaftes“.
Ich weiß immer noch nicht, wie ich diese Einschätzung bewerte. Aber immerhin sehe ich den Bau, wenn ich nun vorbei gehe, unter diesem Aspekt und kann immer ein klein bisschen schmunzeln. Humor ist der Knopf, der verhindert, daß einem der Kragen platzt, gelle? (Übrigens nicht von mir oder Zille sondern vom geehrten Herrn Ringelnatz).

 

Von dem neuen Haus in der Pasteurstraße gibt es in der E 18 im sogenannten Nobiraum an der Wand noch eine Entwurfszeichnung von der Veranstaltung, die wir mit dem Architekturbüro mal hatten. Darauf sind die Fensterläden vor der Balkongalerie aus Holz und ich bilde mir ein, in den Wochen vor der Fertigstellung der Fassade auch welche aus Holz an dem Haus gesehen zu haben. Ob die jetzigen Metallgitter Provisorien sind oder ob das Geld für die Holzläden nicht mehr gereicht hat, könnte man ja mal nachfragen. Ansonsten finde ich die Fensterläden als Sonnenschutz und Isolierschicht vor einer Fensterfront nach Süden gut. Wenn die Leute in dem Haus wohnen, werden die Läden auch nicht mehr alle gleichzeitig geschlossen sein, wodurch die Fassade nicht mehr wie eine glatte Fläche aussehen wird, sondern immer wieder an unterschiedlichen Stellen durchbrochen.“

 

Ich finde es schade, dass diese Stimmungsmache gegen einen Neubau betrieben wird, der noch gar nicht bezogen wurde. Ich bezweifel, dass die Fassade immer so geschossen aussehen wird, wie beim Dänischen Bettenlager. Das ist wohl nur in den heißen Sommerwochen mit starker Sonneneinstrahlung der Fall. Ansonsten findet ja auch eine große Verdunklung für die dahinter liegenden Räumen statt. Wie sieht die Fassade bei geöffnetem Zustand wohl mit Pflanzen aus?
Ich persönlich finde andere Fassaden auch attraktiver. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass es gute Gründe gab, diese Fassadenform zu wählen. Schließlich hat nicht ein anonymer Bauträger unter Kostenaspekten gebaut, sondern die Bewohner selbst. Und das sind unsere Nachbarn. Sie jetzt so willkommen zu heißen finde ich schade. Außerdem wohnt niemand direkt gegenüber und als Fußgänger muss man nicht immer in die Luft schauen.
Tatsächlich finde ich die Fassade so gewagt provokant, dass ich mich freue, das sie als individueller Ausdruck und Vielfalt in unserer Gemeinschaft möglich ist.

 

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