Lässt der Bezirk die Mieter alleine?

von Kristina Auer 31. März 2017

Trotz Milieuschutz und Zweckenfremdungsverbot hat der Bezirk bisher nichts gegen den jahrelangen Leerstand in der Prenzlauer Allee 45 unternommen. Jetzt soll es für ein Eingreifen zu spät sein.

„Das hat mit Milieuschutz nichts mehr zu tun, dabei hat man sich deswegen immer so auf die Schultern geklopft“, sagt Andreas Heuer. Er ist einer der 61 verbleibenden Mieter der Prenzlauer Allee 45/45a. Heuer und seine Nachbarn fürchten seit Februar um ihre Wohnungen – und das, obwohl das Haus im Milieuschutzgebiet „Winskiez“ liegt. Der Grund für die Beunruhigung: Die Hausbewohner erhielten Post vom Notar mit der Meldung, dass das Haus verkauft werde, laut Schreiben an die Mieter für die stolze Summe von sieben Millionen Euro. Seit Sonntag protestiert die Mietergemeinschaft mit einem Banner an der Hausfassade gegen den Verkauf. Sie fürchten nun, Ihre Wohnungen durch Sanierung, Mieterhöhung oder Kündigung zu verlieren. „Wir wollen uns nicht einfach so wehrlos geschlagen geben“, sagt Heuer.

 

Dank Leerstand: Vorkaufsrecht schützt die Mieter nicht

 

Dank Milieuschutz haben die Mieter bei einem Hausverkauf das Vorkaufsrecht der eigenen Wohnung, so auch in der Prenzlauer Allee 45. Das Problem: Weil zwölf von 37 Wohnungen leerstehen, kann der neue Käufer, Investor Nedeljko Prodanovic, diese Wohnungen alle zusammen kaufen, da dort kein Mieter das Vorkaufsrecht in Anspruch nehmen könnte. Laut einer vorab getroffenen Stimmregelung hängt das Stimmrecht der künftigen Eigentümergemeinschaft von der Quadratmeterzahl des Eigentums ab. Der Investor, dem auf einen Schlag zwölf Wohnungen gehören, könnte die anderen Eigentümer so leicht überstimmen. An etwaigen Baumaßnahmen müssten aber alle Eigentümer mitbezahlen.

„Das ist für uns ein unkalkulierbares Risiko“, sagt Mieter Andreas Heuer. „Je nach dem, welche Arbeiten gemacht werden sollen, müssten wir mit Kosten zwischen 50 000 und 200 000 Euro rechnen. Und wir hätten praktisch keine Möglichkeit, mitzubestimmen.“ Ein Dachausbau sei schon angekündigt worden. Damit der Kauf des Hauses für sieben Millionen Euro für den Investor wirtschaftlich sinnvoll sein kann, müssten gravierende Sanierungsmaßnahmen erfolgen. Deswegen schrecken die meisten Bewohner davor zurück, ihr Kaufrecht in Anspruch zu nehmen.

Verzichten Sie, gewährt der Milieuschutz ihnen für zehn Jahre einen Schutz vor einer Mietkündigung. Erfahrungsgemäß ziehen in ähnlichen Fällen trotzdem viele Mieter vorher aus, wegen Mieterhöhungen, Bauarbeiten oder auf Druck von außen. „Ich habe eine Frau und zwei Kinder. Wenn wir ausziehen müssten, würde das bedeuten, wir ziehen weg aus Prenzlauer Berg“, sagt Andreas Heuer. „Hier könnten wir zu viert keine bezahlbare Wohnung mehr finden.“

 

Kein Eingreifen gegen Leerstand

 

Der springende Punkt: Leerstand in Wohnungen ist seit dem Inkrafttreten der Zweckentfremdungsverbotverordnung am 1. Mai 2014 verboten. Der kalkulierte Verzicht auf das Vermieten leerstehender Wohnungen gilt als Indiz für Verkaufs- oder Modernisierungspläne und Immobilienspekulation. Spätestens seit November 2014 muss der Leerstand dem Bezirksamt bekannt gewesen sein, denn da stellte die Linksfraktion die erste kleine Anfrage zu diesem Thema. Es folgten mehrere Anzeigen durch die Mieter. Leicht zynisch mutet die Antwort des Wohnungsamtes auf eine der Anzeige an, die den Prenzlauer Berg Nachrichten vorliegt. Dort heißt es lediglich: „Wir werden der Sache nachgehen, sobald entsprechende Mitarbeiter vorhanden sind.“ Inzwischen sollen Bußgeldverfahren gegen die früheren Hausbesitzer anhängig sein.

Allerdings soll das Haus in den letzten Jahren mehrfach den Besitzer gewechselt haben, was das Zweckentfremdungsverbot in Sachen Leerstand quasi aushebelt. Nach jedem Eigentümerwechsel kann ein Leerstand erst nach einem halben Jahr angezeigt werden. „Investoren kennen in der Regel Wege, um das Leerstandsverbot zu umgehen“, sagte Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) den Prenzlauer Berg Nachrichten auf Anfrage. Fest steht: Wäre der Leerstand der Wohnungen verhindert worden, hätte die Mietergemeinschaft das Haus mit ihrem Vorkaufsrecht ohne erhöhtes Kostenrisiko quasi gemeinsam kaufen können.

 

Bezirk hält eigenes Vorkaufsrecht nicht für nutzbar

 

Das Unternehmen Stonhedge, welches die Immobilien-Firmen des Investors Prodanovic bündelt, zeigte sich verwundert über den frühen Mieterprotest. „Wir sind etwas irritiert, bisher ist ja noch gar kein Kaufvertrag abgeschlossen worden, da die bisheringen Eigentümer zunächst das Vorkaufsrecht mit den Mietern klären müssen“, sagte eine Sprecherin von Stonehedge den Prenzlauer Berg Nachrichten auf Anfrage. Sobald es konkretere Fortschritte gebe, wolle der neue Eigentümer auf die Mieter zugehen und das Gespräch suchen. „In jedem Fall sind wir ja reguliert durch den Milieuschutz, das heißt wir könnten uns überhaupt nicht aufführen wie die rücksichtslosen Spekulanten, und das sind wir auch nicht“, sagte die Sprecherin weiter.

Die Mieter wünschen sich nun, dass der Bezirk an ihrer statt vom Vorkaufsrecht Gebrauch macht und das ganze Gebäude erwirbt. Auch der hat in Milieuschutzgebieten nämlich dieses Recht. In der Kreuzberger Wrangelstraße ist dieses Verfahren bereits einmal geglückt. Die Mietergemeinschaft hat hierfür schon im Stadtentwicklungsausschuss vorgesprochen – und von Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) eine Absage erhalten. Der Kauf komme nicht in Betracht, weil die Wohnungen in dem Haus in Einzeleigentum umgewandelt worden seien, das heißt, jede Wohnung wird einzeln vekauft, so Kuhn im Antwortschreiben an die Mieter. Außerdem sei der zeitliche Rahmen zu eng, um eine Finanzierung, biespielsweise durch eine der kommunalen Wohnungbaugesellschaften, aufzustellen. Die Frist für die Inanspruchnahme des Vorkaufsrechts endet am 9. April.

„Wir stehen derzeit noch in Kontakt mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, um unsere Möglichkeiten nochmals zu prüfen“, sagte Bürgermeister Benn den Prenzlauer Berg Nachrichten. „Der Drops in der Sache ist noch nicht gelutscht.“ Die Vorgehensweise de Ämter in solchen Angelegenheiten sei noch nicht eingeübt. Der Fall erhöhe allerdings den Druck auf die Politik, sich künftig klar aufzustellen. Ob die Absicht, sich besser zu organisieren, den Bewohnern der Prenzlauer Allee 45 noch etwas nutzen wird, ist mehr als ungewiss.

 

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