Obdachlos

Außen vor

von Dominique Roth 10. Februar 2017

Bei Minusgraden im Freien schlafen: Auch in Prenzlauer Berg gibt es nicht genügend Übernachtungsmöglichkeiten für Obdachlose. Wie kommt es zu den miserablen Zuständen? Ein Erklärungsversuch.

„Manchmal“, sagt Mara Fischer mit einem gequälten Lächeln „da bieten wir natürlich einzelnen Leuten eine Verlängerung an“. Wenn etwa ein kranker oder ein älterer Obdachloser mit Behinderung bei ihnen übernachte, so die Leiterin des Vereins mob e.V., der unter anderem die Notunterkunft in der Storkower Straße 139c betreibt, „dann können wir den ja nicht mir nichts dir nichts wieder auf die Straße schicken.“

Eigentlich, betont sie, müsse sie das aber, denn der Regelaufenthalt in Notunterkünften liege bei drei Tagen. Für längerfristige Unterbringung sei das Bezirksamt zuständig, wo sie die Wohnungslosen auch in aller Regelmäßigkeit hinschicke. „Nur, es kommen mindestens 80 Prozent der Leute wieder zu uns zurück, weil alle Unterbringungsmöglichkeiten in den Bezirken ausgeschöpft sind“. Fischer wirkt sichtlich frustriert. „Es ist alles voll, es gibt einen regelrechten Rückstau auf die Straße!“

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Bezirke verpflichtet, ausreichend Unterkünfte bereitzustellen

6000 Obdachlose gibt es Schätzungen zufolge in Berlin, hinzu kommen weitere 14.000 wohnungslose Menschen, die bei Bekannten schlafen oder anderweitige Möglichkeiten der Unterbringung haben. Dem gegenüber stehen knapp über 1000 Plätze in Berliner Notunterkünften. Ganzjährig werden sogar nur rund 150 Betten bereitgestellt, der Rest läuft über die Kältehilfe, deren Betten für Wohnungslose nur von Anfang Oktober bis Ende März zur Verfügung steht. Zahlen zu den Unterkünften privater Träger gibt es im Pankower Bezirksamt nicht.

Laut Fischer ist die Situation miserabel – und der Bezirk in der Pflicht. Denn nach Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG) müssen die Bezirke jedem Menschen ein Obdach zur Verfügung stellen. „Prinzipiell könnte man sich sogar in eine Unterkunft einklagen“, führt Fischer aus.

Bezirksstadträtin Rona Tietje (SPD) weiß das auch: „Wir versuchen gerade händeringend, Plätze zu finden“, sagt sie. Die Zunahme sei in den vergangenen Monaten und Jahren immens gewesen, beispielsweise durch Wanderarbeiter aus Osteuropa. „Wir müssen erst einmal entsprechend Immobilien bauen“, sagt Tietje.

 

Zweierlei Maß im Baurecht

Den größten Spielraum sieht die Sozialstadträtin in Gewerbegebieten, daher sei sie auch in engem Kontakt zum Bauamt. Denn dort dürfe man eigentlich keine Obdachlosen unterbringen – im Gegensatz zu Geflüchteten. Für die gebe es weniger Einschränkungen. „Es ist für Viele nicht mehr nachvollziehbar, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird“, sagt Tietje. Nun versuche man kurzfristig, Genehmigungen für Gebäude in Mischgebieten zu bekommen.

Eine weitere Maßnahme sei es, die Kältehilfe aufzustocken, so Tietje. Für Mara Fischer von mob e.V. ist das jedoch zu wenig. „Die Kältehilfe ist gut und nötig, aber dort können Wohnungslose keine längerfristige Hilfe erhalten.“ Diese Leistung könne man nur in ganzjährigen Unterkünften gewährleisten. Nur so sei es möglich, die Situation der Menschen nachhaltig zu verbessern, so Fischer.

 

Gentrifizierung sorgt für immer mehr weibliche und ältere Obdachlose

„Viele Obdachlose leben in einem Teufelskreis“, sagt Fischer. „Ohne Arbeit haben sie auf diesem Wohnungsmarkt keine Chance. Aber wie sollen sie sich eine Arbeit besorgen, wenn sie den ganzen Tag nach einer Bleibe suchen müssen?“ Mob e.V. und andere freie Träger böten hier Unterstützung an, helfen etwa bei Behördengängen oder bei der Jobsuche. „Viele dieser Menschen sind überaus motiviert. Die arbeiten im wahrsten Sinne des Wortes für ihr Leben“, sagt Fischer.

Die nähere Zukunft sieht Fischer dennoch skeptisch. „Berlin ist sehr attraktiv als Schmelztiegel, viele Arbeiter aus Osteuropa suchen hier ihr Glück. Für die ist es immer noch besser hier obdachlos zu sein als zuhause zu bleiben“, sagt sie und wirkt resigniert. Erst kürzlich habe sie eine Familie aus Polen wegschicken müssen, weil sie nicht leistungsberechtigt war. „Ich habe ihnen geraten, sich in den nächsten Zug zurück zu setzen.“

Ein Gesichtspunkt, der Fischer noch mehr beunruhigt ist, dass die Gentrifizierung auch immer öfter Menschen aus der Mitte der Gesellschaft trifft. „Wir bemerken hier, dass Wohnungslosigkeit immer weiblicher wird und inzwischen auch oft Senioren betroffen sind, die ihre Miete nicht mehr bezahlen können.“

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