Der Großstadtjäger

von Kristina Auer 10. Mai 2016

Mäuse, Ratten, Ungeziefer – auch die ungeliebten Wildtiere leben in Prenzlauer Berg. Um sie kümmern sich Kammerjäger. Wir waren mit einem von ihnen unterwegs.

„Ohne uns Schädlingsbekämpfer würde es die Menschheit schon längst nicht mehr geben“, sagt Mario Heising und steigt aus seinem schwarzen BMW. Heising, 50 Jahre, etwas über 1,70 m, Schnurrbart, blaue Augen und aufgeweckter Blick, leitet seit 26 Jahren die Firma SchaDe Schädlingsbekämpfung und Desinfektion in der Danziger Straße. Heute ist er auf einem Grundstück im Osten von Prenzlauer Berg vor Ort, um Köder zu kontrollieren. Die Hausverwaltung des alten Plattenbaus hat ihn zu Hilfe gerufen. Das Problem: Rattenbefall auf dem Grundstück und im Müllraum.

Ratten und Mäuse seien in Prenzlauer Berg die häufigsten Schädlinge, im Sommer kämmen noch ein paar Insektenarten dazu, erklärt der Kammerjäger. Das ist in einer Stadt normal, denn die Nager suchen die Nähe des Menschen, weil sie bei ihm Nahrung finden. Sie sind typische Kulturfolger, wie es im Fachjargon heißt. „Überall da, wo Kanalisation ist, gibt es auch Ratten und Mäuse“, sagt Heising. „Das ist dort auch gar kein Problem, sondern erst dann, wenn sie in unseren Lebensraum eindringen. Wo Schächte, Fenster und Rohre kaputt sind, kann ein Befall auftreten.“ Dann können die Tiere für uns Menschen gefährlich werden, weil sie Wohnräume verschmutzen und Krankheiten übertragen.

 

Erdnussbutter und Sardellen

 

Auf den Beeten rings um den Parkplatz wächst dichtes Buschwerk. „Das müsste hier alles weg, damit die Tiere kein geschütztes Versteck mehr haben“, sagt Heising. Und tatsächlich: An einem der Beete ist ein faustgroßes Loch zu sehen, der Eingang zur Rattenbehausung, daneben steht bereits eine Köderbox der Firma SchaDe. Mit Handschuhen kontrolliert Heising die kleine Kunststoffkiste. Die Box ist Vorschrift, wenn giftige Köder an frei zugänglichen Orten platziert werden. Sie sorgt dafür, dass er nur für schädliche Nager erreichbar ist, Hunde und Kinder werden geschützt. Das innere der Kiste ist leer, der Köder wurde gefressen. Heising geht zurück zum Auto und holt seinen hellgrauen, kastenförmigen Arbeitskoffer, um den Köder nachzufüllen. Eine Ratte, die vom Köder gefressen hat, stirbt innerhalb der nächsten ein bis drei Tage. Das Befüllen wird so lange wiederholt, bis der Köder übrig bleibt. „Dann geht es mit der Population zu Ende“, sagt Heising.

In dem Koffer findet sich alles, was man benötigt, um den schädlichen Nagern den gar auszumachen. Ganz obendrauf: Erdnussbutter und Sardellen. Die benützt der Kammerjäger, um Schnappfallen zu befüllen. „Die Erdnussbutter ist für Mäuse, die Sardellen für die Ratten“, sagt er. Solche Fallen dürfen aber nur in geschlossenen Räumen aufgestellt werden, wo sie keine anderen Tiere oder Kinder gefährden.

 

Diese Mausefalle wird mit Erdnussbutter befüllt                            (Foto: Kristina Auer)

 

ALDI gegen KaDeWe

 

Nicht immer ist es einfach, die Tiere dazu zu bringen, die Köder zu fressen. Denn wo sie auftreten, ist meistens schon Nahrung vorhanden. „Stellen Sie sich vor, da hinten ist die Feinkostabteilung vom KaDeWe“, sagt Heising, „und ich stelle Ihnen jetzt hier vorne einen ALDI hin. Bei beiden kostet es nichts. Wo würden Sie hingehen?“ Während seiner Ausbildung in der ehemaligen DDR hat Heising noch gelernt, selbst Köder herzustellen. So konnten manche Tiere besser bekämpft werden, die sich auf ein bestimmtes Lebensmittel spezialisiert hatten. Seit es EU-Richtlinien für die Schädlingsbekämpfung gibt, dürfen allerdings nur noch industriell gefertigte Köder verwendet werden. Sehr zum Ärger Heisings: „Bei Medikamenten sind sie längst nicht so streng, da können Sie sich einwerfen, was sie wollen. Nur ich darf nicht mal mehr ein bisschen Fisch mixen.“

Ein Detail auf dem Grundstück macht Heising Sorgen: „Vor dem Loch liegt keine Erde. Ich glaube, die Ratten haben das nicht ausgegraben, sondern sind von unten hierher gekommen. Wahrscheinlich wurde hier nach der Wende nicht richtig entkernt und in der Erde liegen noch alte Wasserrohre. Wenn das stimmt, dann kommt der Befall natürlich immer wieder, da kann ich so viele Köder auslegen, wie ich will,“ sagt Heising. Sein fundiertes Fachwissen wird hier auf dem Gelände eigentlich sekündlich erkennbar. Er sieht mit ganz anderen Augen als der Laie, bemerkt kleinste Details, liest Spuren und zieht Schlüsse über das Verhalten der Tiere. Über sämtliche heimischen Schädlinge weiß er genau Bescheid, kennt die Larvenstadien unterschiedlicher Insekten genauso wie die Fressgewohnheiten und das Lernverhalten von Nagetieren. Acht weitere Schädlingsbekämpfer beschäftigt er in seinem Betrieb.

 

Der Fachmann sieht mehr

 

Weiter geht es zur Kontrolle des Müllraums. Schon einige Meter vor der schweren Metalltür bleibt  Heising stehen und seufzt. Der Grund: Unter der Tür ist ein breiter Spalt zu sehen. „Sowas ärgert mich, das ist eine neue Tür. Hätte die jemand richtig dicht eingebaut, gäb’s wahrscheinlich gar kein Rattenproblem. Aber sowas fällt einem Hauseigentümer ja nicht auf, der ist ja bloß Anwalt oder Arzt. Auch dafür sind wir da, um darauf hinzuweisen,“ sagt Heising.

Im Innern des kleinen Müllraums offenbart sich das ganze Grauen des Rattenbefalls: Es stinkt nach Rattenurin, der Kot klebt auf den Müllcontainern und überall auf den Rohren und Wegen haben die Tiere braune Spuren hinterlassen, schmutziger Abrieb von ihrem Fell. Und tatsächlich, neben einem der Container geht zwischen Gartenwerkzeug und Gerätschaften seelenruhig eine Ratte spazieren. Immerhin, die Tiere scheinen vom Gift gefressen zu haben, die kleinen Plastikschalen mit den rosanen Haferflocken auf dem Boden sind umgekippt, die Flocken im ganzen Raum verteilt. Heising füllt die Flocken auf und kontrolliert den Aufkleber an der Tür, den seine Kollegen zur Warnung angebracht haben. „Ich bin ganz stolz auf meine Jungs, die haben alles richtig gemacht.“

Dann wird der Koffer zugeklappt und es geht zurück zum Auto, auf zum nächsten Termin. An Aufträgen mangelt es einem Schädlingsbekämpfer in einer Stadt wie Berlin nämlich nie. Früher am Morgen hat Mario Heising bereits eine schwimmende Ratte aus einer Kita-Toilette gefischt.

 

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Diese Woche kümmern wir uns in unserem Schwerpunkt um die Tierwelt in Prenzlauer Berg. Hier erfahrt Ihr, welche Wildtiere in Prenzlauer Berg leben. Außerdem haben wir in unserem Podcast den Nachtigallen auf Partnersuche gelauscht.

 

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