Helfen mit dem Baby auf dem Arm

von Anja Mia Neumann 9. Dezember 2015

Wer sind eigentlich die Flüchtlingshelfer in Prenzlauer Berg? Das fragen wir in unserer neuen Serie. Nina Reithmeier ist gerade in Elternzeit. Und sie hilft – mit ihrem Baby in der Trage.

„Ich bin die mit dem Baby. Frag einfach bei der Security. Alle kennen mich hier.“ So weist Nina Reithmeier, eine junge Frau mit dunklen Locken und wachen Augen, einem Besucher den Weg. Seitdem die Sporthalle in der Winsstraße in der vergangenen Woche zur Notunterkunft für Flüchtlinge wurde, hilft sie dort als Ehrenamtliche. Sie koordiniert, leitet die Facebook-Gruppe, ist Ansprechpartnerin. „Der Netzwerk-Knotenpunkt“, wie sie es nennt. Immer mit dabei: ihre Tochter, fast acht Monate alt.

Eben noch hat die 34-Jährige geholfen, Trennwände in der Sporthalle aufzustellen. Für ein bisschen Privatsphäre unter den Bewohnern. Betten werden über unseren Köpfen durch den Raum getragen.

 

Miss E spielt mit ihren Söckchen

 

Dann läuft Reithmeier durch den Flur vor einem improvisierten Arztzimmer. Eine junge Frau kommt auf sie zu: Sie ist Hebamme, wohnt um die Ecke und ist gerade selbst in Elternzeit. „Großartig, wenn du helfen kannst“, sagt Reithmeier. Es gebe eine junge Mutter mit einem drei Monate alten Kind in der Notunterkunft. Ganz apathisch wirke sie. „Wer weiß, wo sie das Kind geboren hat.“

Wir setzen uns in einen Umkleideraum, um in Ruhe zu reden. Blauer Fliesenboden, Plastikbänke. Reithmeier nimmt ihre Tochter aus der Trage. „Sie ist der Eisbrecher hier und sorgt für gute Laune. Sie ist schon berühmt, weil ich sie auf Facebook immer Miss E nenne.“ Reithmeier setzt Miss E auf den Boden – die spielt mit ihren bunten Söckchen – und beginnt, zu erzählen.

 

Worum kümmerst du dich gerade?

„Ich habe heute Regale organisiert. Über Kontakte: Der kennt den, der jemanden kennt. Von der Auflösung einer Filmfirma in Kreuzberg. Dann habe ich über Facebook Helfer organisiert und wir sind zusammen hingefahren. Regale sind super wichtig in so einer Unterkunft, damit man die Kleiderspenden und die Hygieneartikel sinnvoll wegsortieren kann. Außerdem haben wir sicher zehn Pläne gemalt, wie wir am besten die Trennwände in der Halle aufstellen.“

 

Wie kamst du darauf, dich für die Flüchtlinge zu engagieren?

„Ich war im Sommer in Italien im Urlaub und habe in einem Ferienhaus gelesen, was meine Freunde vom Lageso berichten. Es war so heiß und die Menschen hatten alle nichts zu trinken. Irgendwann lag ich nur noch im Bett und habe die Berichte gelesen. Ich konnte mich gar nicht mehr entspannen und habe gedacht: Das macht mich ja wahnsinnig. Man muss irgendetwas tun. Auf einmal sind die Nachrichten vor deiner Haustür.

Zurück in Berlin habe ich dann überlegt, was kann ich mit ihr (zeigt auf ihre Tochter, Anm. der Redaktion) tun? Auf dem Lageso kann ich mit ihr nicht den ganzen Tag Essen verteilen. Also bin ich einkaufen gegangen: mit Spenden von 500 Euro. Mittlerweile bin ich bei 5500 Euro. Als Beweis habe ich die Fotos auf Facebook gepostet.

Dann entstand die Notunterkunft in der Storkower Straße und ich habe angefangen, dort zu helfen. Ich würde die Nachrichten nicht ertragen, wenn ich nichts täte. Viele kennen mich schon im Bötzowviertel, wo ich wohne.“

 

Hier geht es zum Arzt: Hebammen, Krankenschwestern und Ärzte helfen in ihrer Freizeit. Foto: Anja Mia Neumann

 

Was machst du sonst?

„Ich bin eigentlich Schauspielerin im Grips-Theater. Seit sechs Jahren. Und jetzt gerade mit Elternzeit zu Hause. Miss E habe ich überall mit hingeschleppt. Und sie ist so cool. Vielleicht ist sie sehr umgänglich oder sie wurde es notgedrungen. Babys sind ja auch sehr anpassungsfähig. Ich habe sie eigentlich kaum auf dem Arm, sondern sie wandert von Arm zu Arm und alle knutschen sie ab. Alle kennen mich durch sie. Es ist total leicht, in Kontakt zu kommen.“

 

Nina Reithmeier muss husten. „Oh, ich merke, dass ich stundenlang nichts getrunken habe.“ Sie läuft durch die Tür. An den Duschen für die Sportler sind Waschbecken. Sie trinkt aus einem Hahn und kommt kurz darauf wieder zurück. „Das sagen die Anderen auch teilweise: Boah, es ist Nachmittag und ich habe noch nicht mal gefrühstückt.“

 

Gibt es etwas, worüber du dich ärgerst?

„So ganz allgemein ärgere ich mich über die Situation in Berlin, vor dem Lageso, was einfach der Ursprung von so viel Leid, Frustration und Wut ist. Auch bei den Helfern, weil man gar nicht so richtig beraten kann. Mir ist es peinlich: Wir können nicht BER-Flughafen, da lachen uns alle aus – und wir können auch gerade nicht Flüchtlingsregistrierung. Das kriegen die Bayern (wo Reithmeier herkommt, Anm. der Redaktion) und andere einfach besser hin. Ich habe Angst, dass wieder dieselben Fehler gemacht werden mit der Integration wie in den 70er-Jahren mit den Gastarbeitern.“

 

Worüber freust du dich?

„Es gibt eine gewisse Befriedigung zu helfen, wenn man sieht, da ist gerade wirklich eine Not. Jemand friert und hat Hunger und ich kann ihm was geben. Dann freut mich der Zusammenhalt, dass man einfach gemeinsam etwas für die Sache tut. Das setzt wahnsinnige Energien frei. Und ich habe so viele Menschen kennengelernt auf der Helferseite, die total bereichernd und toll sind. Und so viele Geflüchtete, denen wir die Türen aufmachen können und die auch so offen sind. Vor allem die jungen.“

 

 

Wer sich für Flüchtlinge engagieren möchte, kann sich in unserem kleinen Flüchtlingshandbuch oder unter www.pankow-hilft.de informieren.

 

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