Hassgeliebter Prenzlauer Berg

von Constanze Nauhaus 2. Dezember 2015

Früher gab es fiese Wunden durch Dornen und verqualmte Kioske mit Süßem, heute sind mehr Erwachsene als Kinder am Klettergerüst. Über die Hassliebe eines ehemaligen Kolle-Kindes zu seinem Kiez.

Montagmorgen, 8 Uhr, draußen sind zwei Grad. In der Sredzkistraße in Prenzlauer Berg sitzen Menschen in Decken gehüllt. Vor dem Türkenbäcker, obwohl man das ja eigentlich nicht sagt. Sie wärmen die klammen Hände an ihrem Cappuccino und lesen Zeitung. Sie wollen Deutschland so lange in den Hintern treten, bis Italien daraus wird. Zwei Stunden später, die Temperaturen haben sich ihrer inzwischen erbarmt, sitzen diese armen Menschen noch immer dort. Vielleicht sind es auch andere als vorher.

Man fragt sich: Wer erwirtschaftet eigentlich das ganze Bruttoinlandsprodukt? So viele offensichtlich arbeitsfähige Herren in den besten Jahren sieht man sonst nur auf den Piazzen mittelitalienischer Kleinstädte. Vielleicht haben sie alle gut laufende Galerien in der Linienstraße, die erst mittags öffnen. Und während all dieser Überlegungen hat der Berliner Schweinehund tief innen schon wieder angefangen zu hetzen: „Ja, diese ganzen saturierten Biowessis mit ihren Gören, die man zu allem Überfluss auch noch gebürtige Berliner nennen muss, die haben uns das ganze Viertel kaputtgemacht mit ihrer Kohle!“ Das Herz suhlt sich in seinem Fremdenhass, dankbar für die praktische Einrichtung der Natur, dass früher alles besser war.

 

Früher. „Als Essen nur satt machen und nicht sinnstiftend sein musste“

 

Früher, als die Läden noch nicht Manufakturen hießen. Noch nicht Hofladen, noch nicht Wunschkind. Als hier alles noch ehrlich, rau und dreckig war, die Straße voll mit Spinnern, Künstlern und Alten. Als unsanierte Häuser noch nicht faule Zähne hießen, weil das ganze Gebiss aus ihnen bestand. Als Essen nur satt machen und nicht sinnstiftend sein musste. Zum Beispiel bei Hohnke, dem ganz objektiv besten Imbiss der Welt. Der kulinarische Place To Be auf der Danziger, nein, Dimitroffstraße. Es gab Tagessuppe mit Bockwurst für zwei Mark fuffzig, dazu den lieblichen Ruf von Frau Hohnke, „Ein Essen Eeeiins“. An der Wand hing ein Knüppel, darunter stand „Hausordnung“.

Während die sich zur Kolle-Gang stilisierten Kinder am Wochenende auf dem Kollwitzplatz Fange spielten, sich gegenseitig mit den langen Dornen der Büsche fiese Stichwunden zufügten und im verqualmten Kiosk in der Kollwitzstraße neonfarbene Gummitierchen kauften, saßen die Eltern beim Italiener und tranken einen Rosé nach dem anderen.

Heute tummeln sich auf und neben dem Klettergerüst mehr Erwachsene als Kinder. Man hört auf der Straße kaum noch ein drohendes „Sejick so aus wie wenn nüsch oda wat!“, sondern Sätze wie „Angesichts der unfassbar günstigen Quadratmeterpreise dachten wir, warum nicht auch eine Wohnung im Prenzlauer Berg kaufen.“ Die Zitty verwies den Bezirk auf Platz 20 im Kiez-Ranking und lästerte über das „homogene Biobürger-Milieu“, das für Familien toll sei, aber „fast unerträglich für alle, die das Lebensmodell nicht teilen“.

 

„Und die einstigen Kolle-Kinder? Sie haben inzwischen eigene Kinder.“

 

So ganz homogen ist es aber nicht. Die rosétrinkenden Eltern von früher zum Beispiel wohnen noch hier. Heute sitzen sie auf ihren Ostmietverträgen wie die Henne auf dem Ei und bleiben unter ihresgleichen. Mittlerweile sagen sie Dinge wie „Dass die Häuser nicht verfallen, ist ja irgendwie auch gut.“ Den Zugezogenen begegnen sie mit freundlicher Gleichgültigkeit. Auch sie sind in den Achtzigern zugezogen, aber das ist natürlich etwas ganz anderes. Man kann getrost von einer Parallelgesellschaft sprechen, die soll es in anderen Bezirken ja auch geben.

Und die einstigen Kolle-Kinder? Sie sind inzwischen erwachsen und haben eigene Kinder. Mit einem Kaffee sitzen sie in Grüppchen auf dem Spielplatz und lästern über die Schwabenmütter, weil die in Grüppchen mit einem Kaffee auf dem Spielplatz sitzen. Wenn es regnet, gehen sie, dankbar für die grandiose Idee eines Indoor-Sandkastens, ins Kiezkind auf dem Helmholtzplatz und hoffen, dass sie keiner sieht.

Ihre große Liebe aus dem Erasmusjahr in Paris ist ihnen schon vor einigen Jahren hierher gefolgt, aber die ganzen Franzosen hier nerven sie wahnsinnig. Sie tun bei jeder Gelegenheit kund, dass man hier eigentlich nicht mehr wohnen kann. Und beten jeden Abend heimlich zum Gott des Mietspiegels, hier niemals wegziehen zu müssen.

 

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